Kapitel 28

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Langsam aber stetig begann sich in meinen Tagen eine Routine aufzubauen.

Morgens stand ich auf oder war noch wach von der Nacht, ging runter, trank etwas und setzte mich an meine nächste Meditation. Das Meditieren gab mir halt, auch als Deen nach zwei weiteren Tagen nicht auftauchte. Ingrid meinte, ich würde immer besser werden und das war das einzige was zählte.

In mir brodelte es, wenn ich über die Menschen nachdachte, welche mich in den letzten Jahren für alles verantwortlich gemacht hatten.

Niemand war dort geworden, niemand hatte das gesehen, was ich gesehen hatte, also hatte auch niemand das Recht dazu, mich schuldig zu erklären. Ich fand heraus, dass ich nicht nur mit fröhlichen Gefühlen, sondern auch mit Wut Illusionen erzeugen konnte, welche die auch noch stark waren.

Gestern hatte ich Ingrid eröffnet, dass ich die Menschen finden will, welche mich töten wollen. Mein stärkstes Argument war, dass sie mich nicht mehr überraschen können, wenn ich sie finde, bevor sie mich gefunden hatten. Seitdem trainieren ich und Ingrid noch härter, denn sie wollte nicht, dass ich das alles alleine tat.

Eine Verbundenheit baute sich zwischen uns auf, auch wenn ich wusste, dass ich am Ende alles alleine machen musste. Es half jemanden neben sich zu haben, welche die Augenringe nicht infrage stellte oder den entstandenen Hang zu Alptraum Illusionen.

In den nächsten Tagen wurde das Brodeln in mir immer stärker, doch manchmal erwischte ich mich selbst dabei, wie ich zu der Kette griff und sie umklammerte. Oft stand ich einfach irgendwo und starrte ins Nichts, während ich vorsichtig über die Kette fuhr.

Ausgeklappt hatte ich sie nicht mehr, doch das Gefühl der Kette unter mir reichte schon aus, um die Erinnerungen zurückzuholen. Deen kam nicht wieder und mit den Tagen hatte sich das in meinen Kopf gepflanzt.

Wie ein Mantra sagte ich es manchmal in meinem Kopf vor mich hin, um jede Hoffnung zu ersticken, doch sie war immer noch da. Sie ging einfach nicht, vor allem nicht in der Nacht, in der ich von eigenen Alpträumen geholt wurde und mich ablenken musste.

Deen war meistens meine Ablenkung und während ich mir tagsüber einredete, dass er nicht wieder kommen würde, sprach ich nachts von Hoffnung und dass er nur dringend irgendwo hin musste. Pure Verzweiflung überholte mich des Öfteren und mir wurde schaudernd bewusst wie wichtig Deen mir geworden war und wie präsent er jeden Tag in den letzten Wochen für mich war.

Kopfschüttelnd riss ich mich auch diesmal wieder von diesen deprimierenden Gedanken los und gab mich vollstes den Illusionen hin. Mittlerweile ließ ich mehrere parallel laufen und erschuf einzelne, die sich bewegen konnte. Mein Ziel war es eine kleine Armee zu erschaffen oder eine Kampftruppe, welche mich unterstütze.

Ingrid hatte auch angefangen, mich im Nahkampf zu unterrichten. Zwar hatte ich früher einmal kurz ein paar Dinge gelernt, doch was Ingrid mir zeigte war mehr als das und es begann mich zu begeistern.

Ingrid und ich begannen auch gegeneinander zu kämpfen. Mit und ohne Hexerei, bis wir erschöpft auf das Sofa fielen, so wie jetzt. Ich hatte sie mit mehreren Illusionen angegriffen und es war ziemlich ausgeartet, sodass ich langsam wieder Kopfschmerzen in mir breit machten.

,,Ingrid?" Murmelte ich nach einiger Zeit und sah zu der Frau, welche gerade mit Aufräumen beschäftigt war. ,,Ja?" Rief sie, drehte sich jedoch nicht zu mir um, sondern räumte weiter auf. ,,Was ist damals mit meiner Mutter passiert?"

Jetzt hatte ich ihre volle Aufmerksamkeit und wie bestellt und nicht abgeholt schwebten mehrere Gläschen neben ihr, während sie sich zu mir umdrehte.

Nachdenklich sah sie mich so, als sie näher kam und sich auf dem Sofa neben mir sinken ließ. ,,Du sagtest, es sei komplizierter und größer als ich dachte?" Langsam richtete ich mich auf und sah sie auffordernd und neugierig an.

Ingrid nickte und sah auf ihre Hände, welche sie in ihrem Schoß gefaltet hatte. ,,Es ist weitaus komplizierter als du jetzt glauben magst und ich glaube auch nicht, dass deine Mutter wollte, dass du genau darüber Bescheid weißt, was damals passiert ist."

Neugierig sah ich sie an und merkte nicht, wie sich mein gesamter Körper anspannte. ,,Deine Mutter war schlau, bildhübsch und als Hexe unglaublich mächtig." Erzählte sie und sah weiter auf ihre Hände, wirkte jedoch, als wäre sie sehr weit weg.

,,Sie wusste, als sie schwanger war, was das für Konsequenzen haben würde und sie musste eine Entscheidung treffen." Ihr Blick hob sich und sie sah mich voller Trauer an. Diese war jedoch nicht an mich gerichtet.

,,Sie bekam dich", schluckend war nun ich diejenige, welche auf ihre Hände sah. ,,Daraufhin passierte das unvermeidliche, als herauskam was du warst, wurdet ihr verband und du", sie seufzte und mein Kopf schoss hoch.

,,Du wurdest zum Tode verurteilt."

Geschockt klappte mein Mund auf und ich starrte sie an. ,,Was?" Ingrid nickte und sah mich mit leeren Augen an. ,,Du warst noch klein und deiner Mutter hat es das Herz gebrochen. Sie wollte dich schützend, mit allem, was sie hatte. Doch", stockend hielt sie inne und schüttelte den Kopf, ,,es war gefährlich."

Ernst sah sie mich an, ,,viele begannen nach dir zu suchen und schließlich kam es wie es kommen musste. Deine Eltern wurden vor ein Ultimatum gestellt." Wieder hielt Ingrid inne und schien mit sich zu kämpfen, ob sie mir das folgende erzählen sollte oder lieber nicht.

Auf meinen drängenden Blick hin nickte sie seufzend und sah ergeben auf ihre Hände herunter. ,,Alle hatten Angst vor dir und der Macht, welche in dir wohnte, also verlangten sie deinen Tod oder Krieg." Panisch riss ich die Augen auf, als mir klar wurde, dass ich immer noch lebte.

Nickend sah Ingrid nach vorne, ,,Deine Mutter traf erneut eine Entscheidung und kam zu mir.  Das ist der Tag, an den du dich erinnerst." Leicht lächelnd sah sie zu mir, ,,Du warst so ein süßes Kind." Leicht lachte sie, bis sie plötzlich wieder gedankenverloren nach vorne sah.

,,Ich und deine Mutter waren Freunde. Mit Annelise vielleicht sogar die besten Freunde. Doch diese Entscheidung konnte ich nicht gutheißen." Schmerz legte sich über ihr Gesicht und sie sah beschämt auf ihre Hände hinunter. ,,Es ist alles meine Schuld, was damals passierte, doch ich möchte, dass du weißt, dass ich das niemals wollte."

Sie warf mir einen eindringlichen Blick zu und ich nickte auffordernd. Seufzend sah sie wieder auf ihre Hände, ,,Deine Mutter, sie", schluckend haderte sie mit sich, ,,sie wollte dich umbringen."

Es fühlte sich an, wie als würden alle Geräusche verschwinden, nur ein fiepen blieb in meinem Ohr, während alles zu schwanken begann. ,,Was?" Ächzte ich, ,,Das ist ein Scherz, oder?" Hoffnungsvoll sah ich sie an, doch Ingrid sah weiter auf ihre Hände.

,,Meine Mutter", stotterte ich, ,,meine eigene Mutter", schlucken hielt ich mir meine Hand vor den Mund, um meine Übelkeit bei mir zu behalten, ,,wollte mich umbringen". Entgeistert sah ich Ingrid an, ,,ihr eigenes Kind."

Meine Stimme klingelte schrill in meinen Ohren, während ich Ingrid nicken sah.


After the NightfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt