Kapitel 31

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Es war einer dieser seltenen Winter, in denen man sich im wahrsten Sinne des Wortes den Arsch abfrieren konnte. Und vor ein paar Wochen war der Krieg ausgebrochen, zumindest fühlte es sich so an - ein Krieg zwischen Robert und Maryse Lightwood. Sie hatte sie Scheidung eingereicht und war mit den Kindern ausgezogen. Doch er wollte die Kinder und das Sorgerecht für sich beanspruchen. Keiner wollte nachgeben.

Für ihn war es, als würde seine Welt ein weiteres Mal zerbrechen. Das erste Mal war das geschehen, als seine leiblichen Eltern gestorben und ihn im Alter von 9 Jahren allein zurück gelassen hatten. Doch dann hatte eine Freundin seines Vaters ihn aufgenommen und ihre Familie hatte ihn adoptiert. Er hatte gelernt jeden in dieser Familie auf seine eigene Weise zu lieben. Maryse liebte er wie er seine eigenen Mutter geliebt hatte. Sie war zwar selten zuhause, aber wenn sie es war, war sie herzlich und warm. Genauso verhielt es sich mit seiner neuen kleinen Schwester. Sie war zwar nur ein Jahr jünger aber etliches an Zentimetern kleiner als er. Aber sie war ein Wirbelwind und verstand es ihn immer zum Lachen zu bringen. Sein neuer Vater, nun ja, es war ein zwiespältige Liebe. Er war ihm dankbar dafür, dass er ihn aufgenommen hatte. Aber er hatte auch Angst vor ihm, besonders dann, wenn er ihn enttäuschte. Und dann war da noch sein neuer großer Bruder. Mit ihm verband ihn eine gewisse Hass-Liebe. Sie waren Konkurrenten in so ziemlich allem und Robert maß sie grundsätzlich aneinander. Verfehlungen des einen wurden auch dem anderen angekreidet. Diese Familie war nicht perfekt, aber sie war alles was er hatte. Und jetzt zerbrach auch das... War es seine Schuld? Niemand sagte etwas, aber manchmal glaubte er die vorwurfsvollen Blicke zu sehen.

Und eines Tages hatte ein Klassenkamerad das herausgefunden. In der Pause hatte dieser einen dummen Witz darüber gemacht. Doch er hatte ihn nicht witzig gefunden, im Gegenteil. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er seine Faust gegen jemand anderen als seinen Bruder erhoben und er wusste schon in dem Moment, als seine Knöchel das Gesicht des anderen berührten, dass er ihm die Nase gebrochen hatte. Ja, mit Alec schlug er sich regelmäßig und sie beide hatten gelernt sich zu verteidigen. Das hatte dieser Junge nicht. Aber das hatte Jace zu spät erkannt, viel zu spät. Erschrocken war er zurück gezuckt und hatte sich seine blutige Hand angesehen. Und als der Lehrer auf ihn zukam, sah er nur noch rot. Er war aus dem Klassenzimmer gestürmt, blickte nicht links und blickte nicht rechts. Er war einfach nur wütend, wütend auf seine Adoptivmutter, die alles zerstörte, wütend auf seinen Adoptivvater, der nicht da war und wütend auf sich selbst, weil er ausgerastet war. Wenn Robert davon erfuhr, würde es wieder Ärger geben und davor hatte er Angst – was ihn nur noch wütender machte. Er war eben nicht so perfekt wie sein großer Bruder und das machte ihn zusätzlich auch noch wütend auf Alec.

Er war einfach gelaufen und gelaufen. Erst als die Kälte seine Wut etwas gelindert hatte, schaute er sich wieder um. Er war nicht mehr in der Schule, nicht einmal mehr auf dem Schulgelände und... er hatte weder Jacke, noch Schal, Handschuhe oder Mütze dabei. Er hatte nur seine Jeans und den Pullover und es hatte wieder angefangen zu schneien. Und das brachte ihn zu seinem nächsten Problem. In dem ganzen Weiß sah eine Straße wie die andere aus, ein Baum wie der andere. Sie waren erst vor kurzem in diese Gegend gezogen und er kannte sich noch nicht wirklich aus. Seine gesamten Landmarken, die er sich zur Orientierung gemerkt hatte, waren eingeschneit und unkenntlich. Verloren sah er sich um und versuchte einen Anhaltspunkt zu finden. Doch dann hörte er die rufende Stimme. Alec... Verdammt, warum ausgerechnet er? Warum mussten die Lehrer immer ihm Bescheid sagen? Alec war doch nur ein Jahr älter als er. Murrend wandte er sich ab und wollte in die entgegen gesetzte Richtung davon laufen. Doch da spürte er schon die Berührung auf seiner Schulter und das machte ihn sofort wieder wütend. Hitzig schüttelte er die Hand ab und wirbelte herum.
Ein Wort ergab das andere, doch schon bald hatten sie die Geduld miteinander verloren und waren von Worten zu Fäusten gewechselt. Aber Jace spürte schnell die Kälte, anders als sein Bruder, der wenigstens seinen Mantel trug. Also hatte der Jüngere irgendwann die Flucht ergriffen. Er wollte einfach nur weg, er wollte seine Ruhe und er wollte nach Hause. Doch der Schneefall war immer dichter geworden und zu spät bemerkte er, dass er den falschen Weg eingeschlagen hatte. Knacken und knarzen ertönte unter ihm, erst leise, doch ziemlich schnell lauter werdend. Panisch hatte er sich umgesehen, doch da gab der Boden unter seinen Füßen schon nach. Wasser umfing ihn, eisig kalt und durch seine Kleidung beißend. Panik stieg in ihm auf und er versuchte die Kante der Eisfläche zu erreichen, sich daran festzuhalten, doch seine Finger waren in Sekunden so taub, dass er nicht zugreifen konnte. Immer wieder sank er unter die Wasseroberfläche, hinab gezogen von seiner vollgesogenen Kleidung. Und in dieser Welt aus klirrender Kälte gab es nur Dunkelheit und dumpfes Rauschen. Er kämpfte dagegen an, strampelte sich wieder an die Luft und sog gierig den Sauerstoff in seine Lunge, aber leider auch kaltes Nass. Das brachte ihn zum Husten.
Doch plötzlich glitt etwas neben ihm in das unregelmäßige Loch im Eis und er konnte spüren, wie sich ein warmer Arm um ihn legte. Er fühlte einen warmen Körper in seinem Rücken. Jemand hielt ihn über Wasser.

Beruhige dich, Jace, ich hab dich."
Alec... Der Alec, mit dem er sich vor wenigen Augenblicken noch geschlagen hatte, den er angeschrien hatte, dem er seine Wut entgegen geschleudert hatte, den er zum Teufel gewünscht hatte. Und nun war er hier? Sein großer Bruder war hier bei ihm?

Feuer und FlammeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt