Kapitel 41

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Noch immer starrte er auf das Bild, dass vor ihm auf dem Tisch lag.
Magnus vor der Galerie, mit einem Helm in der Hand – gemacht am Nachmittag, nachdem sie sich vor dem Krankenhaus verabschiedet hatten.
Langsam ließ er sich wieder auf seinen Stuhl sinken, während die fremden Finger zum nächsten Bild blätterten.
Magnus und er auf seinem Motorrad – die Aufnahme stammte eindeutig aus dem Inneren eines Fahrzeugs. Man hatte sie verfolgt.
Dann folgten ältere Aufnahmen, aber noch immer alle aus den Tagen nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden war und immer zeigten sie seinen Freund. Entweder zusammen mit ihm oder seinen Geschwistern, auch mit Cat und seinen Freunden – beim Spazieren, beim Einkaufen, vor dem Club und sogar in der Galerie und vor dem Haus der Geschwister. Wie nur, wie hatte das niemandem auffallen können?
Noch einmal schoben sich die Finger in sein Blickfeld und fächerten die letzten Bilder vor ihm auf. Kurz hielt er die Luft an, ehe er sie gepresst wieder entweichen ließ. Sein Blick heftete sich auf die Einrichtung der alten Wohnung seines Freundes. Jeder Raum war fotografiert worden. Die Küche mit den zuletzt benutzten und gespülten Tassen, die zum Trocknen auf der Arbeitsfläche standen. Das Bad, wo noch immer eine Flasche seines Lieblingsduschgels und ein Set seines Rasierzeugs stand. Das Arbeitszimmer, in dem sich die Kisten mit Deko stapelten. Das Schlafzimmer mit dem großen Doppelbett und der kühlen Satinbettwäsche. Und zuletzt der Flur, wo Magnus' leichter Sommermantel und sein Blazer an der Garderobe hing. Doch dieses Bild zeigte noch etwas mehr. Denn darauf war auch recht deutlich ein selbstgebauter Brandsatz zu sehen.
Fast schon behutsam legten sich die verfluchten Finger nun auf seine blutende Hand und zog sie mit sanfter Gewalt vom Tisch. Erst jetzt blickte Alec auf und in Jonathans Gesicht, der nun neben ihm kniete und sich daran machte die Verletzung zu begutachten und zu versorgen.
„Du solltest dir genau überlegen, was du jetzt tust." raunte er ihm ohne aufzusehen zu. Stattdessen tupfte er das Blut von der blassen Haut, legte eine Kompresse über die Handfläche und wickelte eine Mullbinde darum. Noch einmal blickte Alec auf die Bilder und schluckte schwer. Die Fotos übermittelten eine eindeutige Nachricht.
„Schreib ihm einen Brief, mach Schluss mit ihm. Das ist für euch beide das Beste."
„Und wenn ich es nicht tue?"
Jonathan zuckte mit den Schultern, sagte jedoch nichts. Musste er auch nicht, die Bilder hatten ihre eigene Sprache. Würde er sich nicht fügen, würden andere darunter leiden – Magnus, seine Geschwister und seine Freunde.
Kurz schloss er die Augen und atmete tief durch. Er konnte den musternden Blick seines Vaters auf sich spüren. Mühsam drängte er seine Wut und die aufkommenden Tränen zurück. Er würde nicht hier und jetzt zusammenbrechen.
Als er eine Bewegung an seiner Seite spürte, öffnete er die Augen wieder. Jonathan hatte sich wieder erhoben und räumte das Erste-Hilfe-Paket zusammen.
„Vielleicht sollten wir ihrem Sohn einen Moment geben, um diese Neuigkeiten zu verarbeiten, Mister Lightwood. Miss Emma wird in 20 Minuten eintreffen, vielleicht sollten wir mit dem Essen bis dahin warten."
Abschätzend lag Roberts Blick auf seinem Sohn, doch schließlich nickte er leicht.
„Bring ihn in den Salon, er sieht aus als bräuchte er einen Drink."
Mit diesen Worten erhob sich der Ältere und verließ ebenfalls den Raum, nicht ohne noch einmal mit Geringschätzung in den Augen zurück zu blicken.
„Wenn deine Verlobte eintrifft, erwarte ich ein entsprechendes Benehmen von dir, Alexander."


Mit einem Ächzen erhob er sich und wandte sich der Küchenzeile und der darauf stehenden Kaffeemaschine zu. Gefühlt hatte er bereits Stunden damit zugebracht auf den Monitor seines Laptops zu starren, dabei waren es gerade mal etwas mehr als 30 Minuten. Für so was war er einfach nicht gemacht, er brauchte Bewegung.
„Ich hab mir den Job eines Polizisten immer spannender vorgestellt. Verfolgungsjagden, Schießereien, böse Jungs... Noch jemand Kaffee?"
Izzy blickte von ihrem Monitor auf, blinzelte ein paar Mal und verzog leicht das Gesicht.
„Klar, genauso wie die Feuerwehr immer nur Feuer löscht. Das hier gehört genauso dazu – auch wenn es nicht unbedingt zu meinen Aufgaben gehört. Sei lieber froh, dass Ragnor mich Überstunden im HomeOffice machen lässt."
Leise seufzte er. Er wusste, dass seine Schwester recht hatte. Eigentlich würden sie diese Aufnahmen nie zu Gesicht bekommen und hätten nicht die Chance aktiv helfen zu können. Trotzdem hatte er das Bedürfnis sich auf seine Maschine zu schwingen und die ganze Stadt abzufahren bis er eine Spur gefunden hätte. Ein sinnloses Unterfangen, auch das wusste er.
Kurz glitt sein Blick über die Anwesenden. Izzy hatte es sich in einer Ecke des Sofas gemütlich gemacht und die Beine unter ihren Körper gezogen, den Blick auf das Tablet auf ihren Knien gerichtet. In der anderen Ecke des Polstermöbels saß Maryse, die Beine elegant übereinander geschlagen und die Aufmerksamkeit auf einen Laptop auf dem niedrigen Couchtisch gerichtet. Magnus hingegen hatte sich mit einer Decke in einen der Sessel gekuschelt, während seine Augen den Monitor eines weiteren Laptops beobachteten. Man sah ihm an, dass er versuchte stark zu sein und sich zusammen zu reißen. Doch hin und wieder war das Zittern seiner Hände deutlich zu sehen. Sein Blick glitt weiter zu dem zweiten Sessel. Dort saß Clary, seine Freundin, ebenfalls vor einem Bildschirm und für einen Moment versuchte er sich vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn sie spurlos verschwunden wäre. Ein Gefühl von Panik stieg in ihm auf und ein beklemmender Druck in seiner Brust drückte auf seine Lunge. Einmal mehr verspürte er den Drang hinaus zu stürmen und die gesamte Stadt auf Links zu drehen.
Erneut seufzte er und fuhr sich durch seine blonden Haare, er musste sich zusammenreißen. Kurzerhand beschloss er für alle Kaffee zu machen, so konnte er sich zumindest für einen Moment mit etwas anderem beschäftigen, als mit den Aufnahmen der Krankenhausparkplätze. Mit trommelnden Fingern wartete er, bis das Wasser aufgeheizt war und er die Tassen nacheinander auf die dafür vorgesehene Fläche stellen konnte. Cappuccino für die Damen, ein Latte Macchiato für Magnus und ein einfacher Kaffee mit einem Schuss Milch und ein wenig Zucker für sich selbst.
„Mein Gott..."
Beinahe wäre das Flüstern im Geräusch der laufenden Kaffeemaschine untergegangen, aber nur fast. Sofort lag die Aufmerksamkeit aller auf der rothaarigen Frau, die sich eine Hand vor den Mund geschlagen hatte. Nur Izzy sprang sofort auf und setzte sich auf die Armlehne des Sessels. Geschwind ließ sie ihre Finger über die Tastatur gleiten. Nur einen Moment später standen auch die anderen hinter ihr.
„Da ist er."
„Ja, aber wer ist der andere Typ? Hey Moment, da ist doch noch einer. Was macht der da?" rief Jace aus.
Hilflos mussten sie zusehen wie Alec Stunden zuvor in ein Gespräch verwickelt wurde, während ein älterer Mann zwischen den parkenden Autos an ihn heran trat. Schnelle hatte er dem Feuerwehrmann etwas auf Mund und Nase gedrückt und versuchte ihm mit einem Arm um den Hals ruhig zu halten. Ein kurzes Gerangel entstand während Alec versuchte sich gegen seine beiden Angreifer zu wehren, ehe er schließlich kraftlos zusammen sackte und liegen blieb.
„Die haben ihn betäubt..."
Unglauben schwang in der Stimme des blonden Mannes mit.
„Und sie haben ihn in ein Auto verfrachtet." stellte Clary mit zittriger Stimme fest.
„Ist das Kennzeichen zu sehen?" stellte Jace die entscheidende Frage während er sich näher zum Laptop beugte.
„Jupp."
Izzy antwortete nur knapp und hatte bereits ihr Handy an Ohr.
„Ruhe jetzt, ihr seit gar nicht da."
Stocksteif stand Magnus unterdessen hinter dem Sessel und krallte seine Finger in das Poster der Rückenlehne. Schweigend hatte er auf den Monitor gestarrt und dort lag sein Blick noch immer - auf den beiden Männern, die seinen Freund, seinen Geliebten vor Stunden verschleppt hatten. Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.
„Valentine..." keuchte er, was ihm einen kurzen finsteren Blick seiner Schwägerin in Spe einbrachte. Doch nur einen Wimpernschlag später weiteten sich ihre Augen.
„Morgenstern?"
Unglaube schwang in ihrer Stimme mit, doch noch ehe sie weiter nachhaken konnte, ertönte ein Stimme aus ihrem Telefon.
„Will? Hör zu! Du musst ein Auto für mich finden. Ich hab dir einen Screenshot geschickt."
Kurz lauschte sie und nickte, ehe sie bemerkte, dass ihr Gesprächspartner es nicht sehen konnte.
„Ist klar und ja, Ragnor kann damit zur Staatsanwaltschaft gehen und wenn er den Vermerk Morgenstern dazu packt, kriegt er eh alles, was er haben will."
Mit einem undefinierbaren Blick wandte sie sich zu ihrem Bruder um, der inzwischen einen Arm um die Schultern ihres gemeinsamen Freundes gelegt hatte.
„Und ich werde mich um eine Verstärkung von der Feuerwehr kümmern. Ich vermute dass es einen Zusammenhang mit wenigstens einer Brandstiftung gibt."
Nun war es Jace der erstaunt aufschaute. Kurz blickte er seine Schwester fragend an, dann dämmerte es ihm und er antwortete ihr mit einem grimmigen Nicken. Mit einem letzten prüfenden Blick auf Magnus zog auch er sein Handy aus seiner Hosentasche und verließ den Raum. Schnell hatte er die Nummer seines Vorgesetzten gewählt.
„Luke? Ich brauche das Team und einen Einsatzwagen."


Schweigend und gedankenverloren drehte er das Kristallglas in seiner Hand und beobachtete die bernsteinfarbene Flüssigkeit, die leicht darin umher schwappte. Er wusste nicht wie lange er schon in diesem Sessel saß. Jonathan hatte ihn wortlos in einen anderen Raum geführt und an den Schultern auf das Polster gedrückt. Nur einen Moment später hatte das Glas vor ihm gestanden.
Getrunken hatte er davon nichts. Er drehte es einfach nur und betrachtete das Spiel des sich in den Kanten brechenden Lichtes. Ein kurzes Lächeln legte sich auf eine Mundwinkel, als ein kleiner Regenbogen über seine Hand wanderte. Doch so schnell wie es gekommen war, verschwand es auch wieder. Er dachte an Magnus, sein schillernder und strahlender Magnus und daran, was er ihm antun müsste, um ihn zu schützen.
Doch plötzlich riss ihn die Stimme seines Vaters aus seinen Überlegungen und fast im selben Moment stand auch Jonathan wieder neben ihm.
„Wie es scheint ist deine Verlobte eingetroffen."
Mit einer auffordernden Geste trat der Rotblonde einen Schritt zurück. Ein letztes Mal atmete Alec tief durch und stellte das Glas zurück auf den kleinen Tisch. Dann erst erhob er sich und straffte die Schultern. Mit langen Schritten kehrte er in den Raum mit dem gedeckten Tisch zurück und stockte.
Für einen Augenblick glaubte er Lydia neben Robert stehen zu sehen. Blondes Haar zu einem lockeren Zopf geflochten, ein schlichtes aber elegantes Kleid, dass sich um ihren athletischen Körper schmiegte. Doch als sie sich ihm zuwandte, blickte er in braune Augen in einem fremden Gesicht.
„Emma, mein Liebe, das ist mein Sohn Alexander. Und das mein lieber Sohn..." Dieses Wort betonte sein Vater extra. „...Ist Miss Emma. Ich hoffe das ihr euch gut verstehen werdet."
Robert sah ihn äußert eindringlich an, als er die Hand der jungen Frau in die seines Sohnes legte.
„Und nun kommt, das Essen wartet."
Damit wandte er sich ab und ging auf seinen Platz zu. Er überließ es Alec sich um seine Zukünftige zu kümmern. Dennoch beobachtete er gespannt, wie die zwei sich verhalten würden.
Es kostete Alec einiges an Mühe seine Hand nicht sofort wieder zurück zu ziehen. Er wusste genau, was von ihm erwartet wurde und er wusste, dass bei einer Weigerung andere dafür bezahlen würden. Also zwang er sich ein Lächeln ins Gesicht und begleitete die Frau, die seine Verlobte werden sollte zum Tisch. Fürsorglich zog er ihr den Stuhl zurecht, ehe er sich an ihre Seite setzte.

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