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"Du rufst mich sofort an, wenn du auf dem Weg nachhause bist und erzählst mir alles, hörst du?" Yara sieht mir verschwörerisch in die Augen. Es scheint, als sei meine beste Freundin mindestens genau so aufgeregt wegen dieses Treffens wie ich. Sie drückt mir noch schnell einen Abschiedskuss auf die Wange und steigt in ihre Straßenbahn.

Ich überquere die Straße und nehme wenige Minuten später eine Bahn in die andere Richtung als Yara, die nicht wie wir im Herzen Neuköllns, sondern weiter südlich im Ortsteil Gropiusstadt mit ihrer Mutter lebt.

Naels Familie wohnt in einem Zwanzig-Parteien-Haus unweit von unserer Wohnung entfernt. Je näher ich dem Hochhaus mit der dreckig-gelben Fassade komme, desto schneller schlägt mein Herz.

Ich war noch nie bei einem Jungen alleine Zuhause. Dass der erste Junge, den ich besuche, nun Nael ist, macht es sowohl leichter als auch gleichzeitig schwieriger für mich.

Vor den vielen Schellen bleibe ich kurz stehen und scanne sie ab, bis ich Naels Nachnamen "Jaziri" auf einer von ihnen entdecke. Auch wenn ich Nael schonmal gemeinsam mit Zayn abgeholt habe, habe ich den Wohnklotz noch nie betreten. Es dauert einen Augenblick, bis ich mich mit klopfendem Herzen dazu überwinden kann, wirklich auf den Klingelknopf zu drücken.

Als der Türöffner leise summt, drücke ich die schwere Eingangstür auf und laufe direkt auf den schmalen Fahrstuhl zu. Ich betrachte beiläufig die Edding-Schmierereien an den Stahlwänden, während ich in die dritte Etage fahre.

Nael empfängt mich schon an der Wohnungstür mit einem schüchternen Grinsen. Er trägt noch immer den schwarzen Jogginganzug, den er in der Schule anhatte, sein kurzes, schwarzes Haar ist leicht verwuschelt.

Unschlüssig bleibe ich vor ihm stehen, da zieht er mich in eine sanfte Umarmung. Er riecht nach Vanille und Weichspüler, so vertraut, und trotzdem fühlt sich seine Umarmung fremd an.

"Komm rein", fordert er mich auf. Ich streife meine Turnschuhe von den Füßen und folge ihm durch den kargen Flur in sein Zimmer. Türkise Wände, ein schmales Bett mit dunkelgrauer Bettwäsche, akkurat zusammengelegt. Vor Kopf ein weißer Schwebetürenschrank und ein Schreibtisch, auf dem auch sein PC mit allerlei Zubehör steht, von dem ich keine Ahnung habe, wofür man es braucht. Über seinem Bett hängt ein Schwarz-Weiß-Poster von N.W.A. und an der gegenüberliegenden Wand, über einer kleinen, weißen Kommode, ein gerahmtes Familienbild von Nael, Faiz und ihrem Vater in schicken Anzügen und ihrer Mutter in einem dunkelroten Abendkleid.

"Hast du extra für mich aufgeräumt oder bist du so viel ordentlicher als ich dachte?", frage ich ihn beeindruckt. Dagegen sind die Zimmer meiner Brüder die reinste Müllhalde.

"Ich hab es gerne ordentlich. Wenn hier überall Zeug rumfliegt, lenkt mich das nur ab", antwortet er verlegen.

Sanft schiebt er mich auf sein Bett und setzt sich neben mich.

"Du wolltest also mit mir reden", falle ich direkt mit der Tür ins Haus. Kein Smalltalk, keine Floskeln. Ich bin einfach zu neugierig darauf, was Nael mir sagen will.

"Genau", antwortet Nael und wirkt ein wenig unsicher. Er kratzt sich am Kinn und legt den Kopf schief. "Hör zu, Shalia. Es ist schon länger so, dass du mir irgendwie mehr bedeutest. Ich will dich ständig in meiner Nähe haben, ich liebe es mit dir zu reden und manchmal glaube ich, keiner versteht mich so gut wie du. Ich habe mir lange eingeredet, dass das zwischen uns nur Freundschaft ist, aber seit gestern bin ich mir sicher, dass da mehr ist." Er atmet tief durch und greift zögerlich nach meiner Hand. "Ich war kurz davor völlig die Fassung zu verlieren und dich zu küssen und wir wissen beide, dass es passiert wäre, wenn Zayn nicht hereingeplatzt wäre."

Mein Herz trommelt aufgeregt gegen meine Brust und meine Haut brennt unter seiner Berührung wie Feuer.

"Zayn wird dir sicherlich dasselbe gesagt haben wie mir, dass wir uns voneinander fernhalten sollen, damit unsere Freundschaft nicht zerbricht, damit er sich nicht zwischen dir und mir entscheiden muss und sowas, aber ich bin mir sicher, dass er seine Meinung ändern wird, wenn er sieht, wie ernst es mir mit dir ist. Ich würde dich niemals belügen, verarschen oder betrügen. Ich würde dich niemals zu etwas drängen, was du nicht willst, sondern deine Grenzen immer respektieren. Ich will einfach Zeit mit dir verbringen, dich noch enger kennenlernen und mir eine Zukunft mit dir aufbauen."

Süß wie Baklava Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt