Sina
Mit klopfendem Herzen schließe ich Doktor Newgates Tür und puste die Luft aus, die ich stellenweise angehalten habe.
In was für einer Praxis bin ich hier eigentlich gelandet? Ich hatte ja Dr. La Roux schon für gutaussehend und unheimlich sympathisch gehalten, doch... bei Dr. Newgate bekomme ich weiche Knie. Wortwörtlich.
Er ist nicht nur verboten attraktiv mit seinem großen, stattlichen Körper, den zerzausten, blonden Haaren und diesem dauermüden Blick in seinen gletscherblauen Augen - er strahlt auch noch so eine immense Ruhe und Selbstsicherheit aus, dass ich mich in seiner Gegenwart sofort vollkommen wohl und geborgen fühle. Und dann sein Lächeln... jep, da sind die weichen Knie wieder.
Träumerisch kehre ich ins Büro zurück, das mir in den letzten Wochen schon so richtig ans Herz gewachsen ist. Mein erster richtiger Job in meinem ersten richtigen Leben... und dann gleich so ein Glückstreffer! Endlich, endlich scheint es auch für mich so richtig bergauf zu gehen. All die Mühe und die Kraft, die ich in den letzten Jahren investiert hab, scheinen sich nun doch endlich auszuzahlen! Stolz und Zufriedenheit durchströmen mich und lassen mich gefühlt um einige Zentimeter wachsen. Auch wenn das bei meiner verschwindend geringen Körpergröße wohl niemandem auffallen würde.
Bestens gelaunt sehe ich auf die große Uhr im Wartebereich. Kurz vor acht, in fünf Minuten beginnt der Arbeitstag und ich schalte schon mal den Anrufbeantworter aus. Die Praxistür muss ich nicht aufsperren; wie ich mittlerweile weiß stürmt Dr. La Roux auf den letzten Drücker hier rein und lässt direkt offen. Wo ich gerade beim Thema bin! Ich lege seine Patientenakten, die Termintabelle und eine große Tasse Kaffee mit drei Löffeln Zucker auf den Tresen.
Erwartungsvoll blicke ich zur Tür, und...
...schon klimpert ein Schlüssel hektisch im Türschloss. Breit grinsend sehe ich dem Chaoten, der abgehetzt, aber quietschfidel hereinstürmt, entgegen.
„Guten Morgen Doktor La Roux!", begrüße ich ihn gut gelaunt.
Der Angesprochene lacht mich an und schüttelt sich den Regen aus seinen leuchtend roten Haaren.
„Guten Morgen Sonnenschein! Na, alles bereit für den Tag?", posaunt er munter und nimmt erst einmal einen großen Schluck Kaffee. „Ah, ich liebe dich! Willst du mich nicht doch heiraten?"
Zugegeben, ich hatte mich an seine sehr zwanglose, unbekümmerte Art erst einmal gewöhnen müssen. Ich komme aus einer förmlichen, steifen Umgebung und in der ersten Woche hier habe ich ihn wohl mehrmals angesehen wie ein Huhn, wenn es blitzt. Aber schon in der zweiten Woche waren wir beim ‚du' angekommen und ich gewöhnte mich an seinen fast schon kindlich-charmanten Übermut. Mittlerweile genieße ich seine Gegenwart und unser scherzhaftes Geplänkel sehr.
„Tut mir wirklich leid Darling, aber da muss ich dich enttäuschen. So leicht bin ich nicht zu haben!", erwidere ich und werfe ihm eine Kusshand zu. Shanks sieht mich schelmisch an und lehnt sich zu mir.
„Keine Sorge Kleines, ich finde schon noch raus was dein Kryptonit ist!", haucht er mir gespielt anrüchig zu, was mich endgültig dazu bringt, laut loszulachen.
„Sag Bescheid, wenn du es gefunden hast!" Er lacht nun ebenfalls und klemmt sich die Akten unter den Arm. Dann dreht er sich jedoch noch einmal um.
„Ist Marco eigentlich schon wieder da?" Marco heißt er also... ich muss mich stark am Riemen reißen und greife hastig zu ein paar Unterlagen.
„Äh... Ja, Doktor Newgate ist hier".
Shanks lehnt sich ein Stück näher zu mir.
„Und? Wie findest du den alten Spießer?", fragt er mich ganz direkt und seine Augen blitzen schalkhaft. Uff, cool bleiben. Einfach cool bleiben.
„Er... äh... scheint sehr nett zu sein!", antworte ich bemüht neutral und vermeide Augenkontakt, indem ich die Unterlagen lieber nach Datum statt dem Alphabet nach zu sortieren. Ist viiiieeel besser!
„Soso... sehr nett, also? Also ist bei euch Turteltäubchen schon ein Date geplant?" Entrüstet hebe ich den Kopf, öffne den Mund und - shit, Falle. Der Mistkerl grinst mich derart provozierend an, dass mir augenblicklich die Röte in die Wangen schießt. Was er mit einem erneuten, lauten Lachen quittiert.
Bah.
Ich habe soeben beschlossen, das Gespräch auf der Stelle zu beenden; deshalb drehe ich mich mit aller verbliebenen Restwürde um und verschwinde fluchtartig ins Büro. Himmel, was für ein verrückter Montag!
Zum Glück verscheucht der erste hereinkommende Patient Shanks in sein Sprechzimmer und ich kann gefahrlos meinen Platz an der Front einnehmen. Lächelnd blicke ich dem jungen Mädchen entgegen.
„Guten Morgen Stefanie! Wie geht's dir heute?" Schüchtern lächelt sie zurück, was definitiv schon ein Fortschritt ist - vor zwei Wochen ist sie bei meinem Gruß erst mal zwei Schritte zurückgesprungen und hat mich angesehen als wäre ich Lord Voldemort persönlich. Ich weiß, dass sie in der Schule übel gemobbt wurde und nun bei Shanks eine Verhaltenstherapie macht, um das Erlebte aufzuarbeiten und ihre extreme Schüchternheit zu überwinden.
„Schon besser, danke", murmelt sie undeutlich und reicht mir ihre Krankenkassenkarte. Ich öffne ihre Akte am PC, ziehe die Karte durch das Lesegerät und melde sie an.
„Setz dich ruhig schon nach hinten, Dr. La Roux ruft dich sicher gleich auf. Bis später!" Ich reiche ihr die Karte zurück sehe zu, wie sie zu den Sitzplätzen im Gang schleicht. Arme Kleine, grade mal vierzehn Jahre und schon ist ihr so böse mitgespielt worden...
Keine zwei Minuten später öffnet sich die Tür erneut und ein junger Mann tritt ein. Sein Blick ist finster und rebellisch, er hat beide Hände tief in den Hosentaschen stecken und stellt sich fast schon bockig vor mich.
„Cole", knallt er mir ohne Begrüßung und ohne mich anzusehen seinen Namen hin. Mich beeindruckt das aber nicht.
„Guten Morgen Mister Cole! Schön Sie kennenzulernen. Geben Sie mir bitte Ihre Versichertenkarte?", begrüße ich ihn gewohnt herzlich, was ihn erst verwundert, dann noch finsterer dreinschauen lässt, ehe er mir die Karte noch rabiater auf den Tresen knallt als seinen Namen zuvor. Ungerührt nehme ich sie entgegen und melde auch ihn an. Weil er ein neuer Patient ist, reiche ich ihm ein Klemmbrett mit einem Formular sowie einen Kugelschreiber.
„Danke, würden Sie mir bitte dieses Formular ausfüllen? Schräg hinter Ihnen ist der Wartebereich, dort können Sie sich hinsetzen. Wenn Sie Hilfe brauchen, fragen Sie mich einfach. Dr. Newgate ruft Sie gleich auf!" Mürrisch reißt er mir das Klemmbrett aus der Hand und schlurft ins Wartezimmer.
So merkwürdig das klingt, ich liebe meine Arbeit hier. Nach der ‚sehr netten' Begegnung mit meinem zweiten Chef vorhin sogar noch ein Stückchen mehr. Schmunzelnd wende ich mich dem klingelnden Telefon zu und tauche in den Alltag ein.
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Trust in Me
FanfictionReallife - Nach einer katastrophalen Beziehung hat Marco das Interesse am weiblichen Geschlecht verloren. Zumindest, bis er nach seinem Urlaub eine neue Arzthelferin in seiner Praxis vorfindet. Sofort weckt der kupferhaarige Wirbelwind sein Interess...