Ein perfekter Abend

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Marco (Teil 2)



„...stellt der mir doch echt einen vollen Maßkrug Bier hin. Hast du so ein Teil schon mal gesehen? Die haben mich total reingelegt mit dieser blöden Wette... Aber ich habs durchgezogen und das Ding ausgetrunken, danach war ich aber wirklich jenseits von Gut und Böse. Meine Studienkollegen haben sich bei meinem Anblick quasi weggeworfen vor Lachen!", beendet Sina mit leidendem Blick ihre Geschichte. Prustend lachen wir beide los – oh Gott, das kann ich mir bestens vorstellen.
Seit wir fertig gegessen haben, reden wir über Deutschland und unsere einprägsamsten oder lustigsten Erlebnisse dort. Ich komme ursprünglich aus der Nähe von Hamburg, Sina hat in München gearbeitet und studiert.

Ein penetrantes Brummen unterbricht uns dann jedoch. Mein Handy klingelt. Ich nehme es aus der Brusttasche - und fluche plötzlich.
„Wer ist...? Oh, verdammt!", schließt sie sich mir an, nachdem sie auf die Uhr gesehen hat. Zwanzig nach acht. Sie kann erraten, wer mich gerade anruft. Beschwörend sehe ich sie an, woraufhin sie sich demonstrativ eine Hand vor den Mund hält.
„Yoi, Shanks", grüße ich ihn gelassen und halte mein Handy in weiser Voraussicht ein Stück weg vom Ohr.
HEY MARCO! Wo zum Teufel steckst du?! Hast du uns vergessen?", dröhnt seine vorwurfsvolle Stimme durch den Lautsprecher.
„Nein, euch nicht - nur die Zeit, tut mir leid! Ich mach mich gleich auf den Weg, yoi?", entgegne ich seufzend und bleibe damit völlig bei der Wahrheit: die Zeit ist wirklich wie im Flug vergangen, nie hätte ich gedacht, dass es schon so spät sein könnte. Mit meiner bezaubernden Begleitung scheint die Zeit wirklich nur so zu verfliegen...
Die Zeit vergessen? Dein Ernst? Du lässt nach, alter Mann. Dann beeil dich, bis gleich!"
Alter Mann... schnaufend lege ich auf und stecke mein Handy zurück. Sina hat schon der Kellnerin gewunken und sieht mich nun zerknirscht an.

„Oh man, tut mir echt leid, dass ich dich aufgehalten hab, Marco!"
„Mir aber gar nicht!", entgegne ich mit einem Grinsen und bezahle unsere Rechnung. Sie lacht amüsiert auf, bedankt sich bei mir und wir gehen gemeinsam nach draußen.
„Wo ist die Bar, in der ihr euch trefft?", will sie vor der Tür wissen. Ich deute nach links.
„Nur zehn Minuten Fußweg von hier. Aber ich bring dich erst mal zu deinem Auto, yoi?", antworte ich lächelnd und will nach rechts gehen, doch ich werde überraschend kräftig am Hemd zurückgezogen.
„Kommt ja gar nicht in Frage! Es ist eine halbe Stunde von hier bis zum Auto, du wärst erst in einer Stunde bei den anderen! Du gehst schön in die andere Richtung", bestimmt sie resolut. Höchst amüsiert darüber, dass diese bezaubernde halbe Portion mir Befehle erteilen will, ziehe ich die Augenbrauen hoch.

„Ach... und wenn ich das nicht mache?", will ich herausfordernd wissen, was ihr ein diabolisches Lächeln ins Gesicht zaubert.
„Dann werde ich Shanks anrufen und ihm sagen, wo er dich abholen kann!"
Autsch, das geht unter die Gürtellinie! Empört starre ich den kleinen Teufel an.
„Das würdest du nicht!", stoße ich ungläubig hervor. „Damit schießt du dir doch ins eigene Knie!" Denn sobald Shanks etwas von unserem Date erfährt... oh Gott, ich kann mir die anzüglichen Sprüche und das penetrante Dauergrinsen bestens vorstellen. Der Todesstoß für meine Nerven, garantiert. Sina zuckt jedoch grinsend mit den Achseln.
„Zum Teil, ja. Aber ich glaube DICH trifft es härter!", stellt sie bedauerlicherweise absolut zutreffend fest. Finster sehe ich sie an, doch sie lacht nur unschuldig und kommt näher.

„Nimms mir nicht übel, aber deine Freunde warten. Und ich bin schon ein großes Mädchen, den Weg zurück finde ich auch allein, okay?"
Geschlagen seufze ich und nicke.
„Meinetwegen... aber bei unserem nächsten Date läuft das anders, yoi?", warne ich sie schon mal vor und hebe gespielt drohend den Zeigefinger. Sina strahlt mich daraufhin jedoch nur aufrichtig glücklich an – und lässt mein Herz damit deutlich schneller schlagen.
„Es gibt also ein nächstes Date?"
Schmunzelnd streiche ich ihr eine entflohene Strähne hinters Ohr und genieße es, sie nun auch auf diese Weise berühren zu dürfen.
„Natürlich! Ich hab dir doch etwas versprochen...", erinnere ich sie leise. Nämlich, dass ich ihr Vertrauen gewinnen will.
Und ihr Herz.
Spätestens nach dem heutigen Tag ist mir nämlich endgültig bewusst geworden, dass Sina etwas Besonderes ist - und mich bereits verzaubert hat.

„Stimmt! Na, dann... tausend Dank für diesen wunderschönen Nachmittag und Abend! Es war wirklich schön. Wir sehen uns spätestens Montag wieder, Chef!" Mit einem Schritt ist sie auf einmal direkt vor mir und drückt mir einen flachen Gegenstand in die Hand. Als ich reflexartig nach unten sehe, fühle ich plötzlich weiche Lippen an meiner Wange. Mein Herz setzt kurz aus.
Bevor ich reagieren oder mich fassen kann, hüpft Sina breit grinsend von mir weg Richtung Auto.
„Gute Nacht, Marco!"
Sprachlos sehe ich ihr nach, fasse geistesabwesend an meine Wange, ehe sich ein strahlendes Lächeln auf meine Lippen stiehlt. Der beste Tag seit langem, definitiv!! Wobei ich mich wirklich frage... ich betrachte schmunzelnd den Bierdeckel in meiner Hand.
Wann hat sie es geschafft, ihre Handynummer da drauf zu kritzeln?

******

Zehn Minuten später öffne ich die Tür zu Rayleighs Pub. Noch bevor ich ganz im Raum bin, schlagen mir vielfache Begrüßungsrufe entgegen.
„MARCO, endlich!" Eine riesige Haartolle raubt mir die Sicht und mein bester Freund zieht mich überschwänglich in eine rippenbrechende Umarmung.
„Thatch! Schön dich zu sehen!", erwidere ich grinsend und lasse mich umgehend an die Bar schleifen.
„Ah, Marco! Gut siehst du aus!", begrüßt mich auch Rayleigh kameradschaftlich und stellt mir direkt ein Glas Bier hin.
„Stimmt, du siehst wirklich gut aus! Kann mich gar nicht mehr erinnern, wann du dich das letzte Mal so rausgeputzt hast!", grinst nun auch Ace, der neben mir Platz genommen hat. Seine Aussage ruft auch umgehend Shanks auf den Plan.

„Tatsächlich... gibts dafür einen speziellen Grund?" Sein lauernder Blick bohrt sich in mein Pokerface.
„Natürlich. Ich hab mir deine Standpauke zu Herzen genommen und werde versuchen, etwas an mir zu arbeiten, yoi?", antworte ich so dicht an der Wahrheit wie möglich - der Rothaarige hat wie mein Vater die unheimliche Gabe, eine Lüge auf hundert Meter Entfernung zu wittern. Doch Shanks scheint glücklicherweise mit meiner Erklärung zufrieden zu sein, er lächelt mich ehrlich stolz an und prostet mir mit einem „Wird auch Zeit!" zu.
„Standpauke? Was denn für eine Standpauke?", will Ace sofort wissen und auch die anderen beiden spitzen die Ohren. Ich seufze nur, denn ich bin mir völlig sicher, dass Shanks ohnehin darauf brennt, ihnen zu antworten. Und richtig:
„Na, ich hab ihm nochmal klar gemacht, dass er endlich sein Einsiedlerdasein beenden und sich gefälligst wieder in den Sattel schwingen soll! Und dass es nicht angehen kann, dass dieses verlogene Luder von Exfreundin sein Leben so nachhaltig negativ beeinflusst", dröhnt er energisch und erntet zustimmendes Gemurmel.
„Da hat er absolut recht, Junge. Schön, wenn du endlich drüber hinwegkommst, wir haben uns schon richtig Sorgen um dich gemacht", gesteht Rayleigh mit einem väterlichen Lächeln - und ich kann gar nicht anders, als es aufrichtig dankbar zu erwidern. Gibt es etwas Besseres im Leben, als echte Freunde?

„Hey Marco, soll ich dir was erzählen?", platzt Ace plötzlich dazwischen und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Offenbar hat er Neuigkeiten, die er nicht länger zurückhalten kann, so ungeduldig wie er mit dem Hintern auf seinem Stuhl hin und her rutscht. Erheitert wende ich mich dem Energiebündel zu.
„Na klar, schieß los!"
„Ich bin seit zwei Wochen mit Sabo zusammen!", platzt er auch schon vor Begeisterung sprühend los und lacht glücklich. Überrascht und mehr als erfreut legt sich ein breites Lächeln auf mein Gesicht, ehe ich dem deutlich Jüngeren stolz durch die Haare wuschle.
„Oi, das freut mich wirklich für euch! Glückwunsch, Kleiner!" Ace sieht mich mit leuchtenden Augen an und schenkt mir sogar eine Umarmung.
„Danke für alles, Marco...", murmelt er aufrichtig, ehe er mich wieder loslässt. Ja, Ace ist nicht nur auch eins von Vaters ‚Ziehkindern' und somit quasi mein Bruder, er hatte auch arge Probleme damit, seine Homosexualität zu akzeptieren. Er ist in einer sehr katholischen, konservativen Umgebung aufgewachsen; sein ganzes Umfeld hat ihn glauben lassen, er sei krank, falsch und gottlos. Abschaum, ein Monster - so hatte er sich selbst betitelt, als wir die Therapie begonnen haben.
Ihn jetzt so glücklich zu sehen, erfüllt mich mit unendlich viel Stolz und Wärme.

„Ist ja auch Zeit geworden mit euch... wie lang streift ihr schon umeinander herum wie zwei läufige Hunde?", grinst Thatch, was Ace verlegen lachen lässt. Der hübsche, blonde Engländer namens Sabo ist vor knapp anderthalb Jahren eher zufällig zu uns gestoßen, als er, der damals angehende Junganwalt, Ace in einem Rechtsstreit behilflich war. Die beiden hatten sich auf Anhieb gut verstanden und die gegenseitige Anziehung war für alle schon früh offensichtlich gewesen, doch ihnen hatte es an Mut gefehlt, den nächsten Schritt zu wagen. Bis offenbar vor zwei Wochen. Nein, ich freue mich wirklich von Herzen für die beiden!
„Darauf trinke ich, yoi? Auf Ace und Sabo!", rufe ich ausgelassen und heben mein Glas, woraufhin die anderen Anwesenden es mir gleichtun.
„Auf Ace und Sabo!", rufen Thatch, Shanks und Rayleigh gut gelaunt und prosten dem ziemlich rot gewordenen, aber breit grinsenden Ace stolz zu. Zufrieden setze ich mein Bier wieder ab und seufze glücklich – wie viel besser kann ein Tag noch sein?

Der weitere Abend verläuft sehr feucht-fröhlich. Es wird viel gelacht und noch mehr getrunken. Selbst ich gönne mir heute mehr als üblich, meine Stimmung ist einfach zu ausgelassen, um groß vernünftig zu sein. Irgendwann weit nach Mitternacht finde ich mich an einem kleinen Tisch etwas abseits von den anderen an der Bar wieder, nur Thatch sitzt neben mir und mustert mich mit einem seltsamen Grinsen.
„Was ist?", will ich irritiert wissen und strenge mein alkoholgetrübtes Hirn an, was ich verpasst haben könnte. Doch mir fällt spontan nichts ein.
„Wie heißt sie?", fragt er statt einer Antwort unverblümt und ich erstarre augenblicklich. Mist, hab ich mich verraten?!
„Wie bitte? Ich weiß nicht...", setze ich bemüht neutral an, doch mein bester Freund schnaubt amüsiert.
„Ah, du Lügner! Du kannst Shanks damit abspeisen, aber mich nicht... dazu kenn ich dich schon ne ganze Ecke länger, mein Freund. So wie heute hab ich dich schon ewig nicht mehr erlebt... Du bist so gut gelaunt, so entspannt und du lachst so viel! Und du hast dich rausgeputzt. Da kann nur eine Frau dahinterstecken! Willst du nicht wenigstens mir die Wahrheit erzählen?", zählt er mit einem verschmitzten Grinsen auf und lässt mich ertappt seufzen. Ich hätte es wissen müssen... aber mit Thatch als Mitwissendem kann ich leben. Er ist zwar gelegentlich eine Plaudertasche, aber bei wichtigen Dingen kann man auf seine bedingungslose Loyalität und Verschwiegenheit vertrauen. Und zugegeben, es erleichtert mich ungemein mit jemandem über Sina sprechen zu können.

Schmunzelnd fahre ich mir durchs Haar.
„Ihr Name ist Sina, sie ist unsere neue Kollegin in der Praxis", gebe ich also ein wenig verlegen zu, und Thatch zieht begeistert die Luft ein.
„Also hatte ich recht, da ist wirklich eine neue Frau in deinem Leben! Erzähl mir von ihr, losloslos!", drängt er ungeduldig mit leuchtenden Augen. Ich erlaube mir ein verträumtes Lächeln.
„Sie ist etwas ganz Besonderes. Hellrote Locken, zwei Köpfe kleiner als ich, zierlich, Sommersprossen und hellgrüne Augen. Dazu ist sie unheimlich klug, aufmerksam, hilfsbereit und sie hat eine enorme Ausstrahlung - ihr Umgang mit unseren Patienten ist fantastisch. Sie ist immer so positiv, so fröhlich, damit steckt sie einfach alle in ihrer Umgebung an..." Der Versuch, Sina zu beschreiben kommt mir lausig vor, doch bessere Worte finde ich gerade nicht. Thatch scheinen sie jedoch zu genügen, denn er sieht mich fast schon liebevoll an.

„Oi, da hat es aber jemanden schlimm erwischt! Bist du wegen ihr zu spät gekommen?", zwinkert er verschwörerisch.
„Ja. Eigentlich wollte ich ihr nur die Bibliothek zeigen, weil sie erst seit drei Monaten hier im Land ist... daraus wurde aber spontan ein erstes Date mit Abendessen", erzähle ich mit einem Lächeln. Thatch steht die pure Begeisterung ins Gesicht geschrieben, ich weiß genau, dass er mich gerade am liebsten küssen möchte - doch ich bin ihm dankbar, dass er sich beherrscht. Das wäre doch etwas auffällig gewesen.
„Du musst sie mir vorstellen, unbedingt! Bring sie doch mit in mein Lokal!", verlangt er umgehend, was mich keineswegs überrascht.
„Natürlich... aber können wir damit wenigstens warten, bis wir ein zweites erfolgreiches Date hatten? Ich... bin mir noch immer nicht ganz sicher, ob sie mir tatsächlich eine Chance geben will", äußere ich meine Bedenken seufzend, doch Thatch wischt sie mit einer Handbewegung beiseite.

„Unsinn! Mach dich nicht immer so klein - ständig tust du so, als wärst du der Trostpreis statt des Hauptgewinns... das mit euch wird schon! Hat sie dir ihre Nummer gegeben? Und gab es schon ein wenig... Zärtlichkeit?", fragt er ungeniert grinsend. Mir wird verräterisch heiß.
„Sie hat mir vorhin ihre Nummer gegeben, yoi. Und... einen Kuss auf die Wange..." Die Erinnerung daran lässt in mir plötzlich den brennenden Wunsch entstehen, sie richtig zu küssen. Allein die Vorstellung, ihr Gesicht sanft in meine Hände zu nehmen und ihren Mund leidenschaftlich mit meinem zu verschließen...
Ob sich ihre Lippen genauso weich anfühlen, wie sie aussehen?

„Marco? Noch jemand zuhause?"
Huch.
Verlegen räuspere ich mich und trinke den letzten Schluck von meinem Wasser, das ich mir zur Katervorbeugung genehmigt habe.
„Oi, entschuldige. Was sagtest du?"
Thatch seufzt nachsichtig.
„Nicht so wichtig. Schon eine Idee, wann ihr euch wieder trefft oder was du unternehmen willst?" Ich lächle diesmal sehr breit.
„Oh ja, ich hab da schon ein paar Sachen im Kopf, und vielleicht kannst du mir sogar einen Gefallen tun..."



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