Ein neuer Versuch

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Einen wunderschönen guten Abend ihr Lieben!

...ist denn heut schon Dienstag? 
Nein, natürlich nicht... aber eine schlaflose Samstagnacht mit dem spontanen Übermut der Autorin, die nächsten zwei Kapitel rauszulassen! :D

Viel Spaß beim Lesen, ich hoffe, es gefällt euch!

GlG
Ancarda


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Marco


Bereits um viertel vor Vier stehe ich wieder auf meinem Parkplatz vor der Praxis und fahre mir nervös durch die Haare.
Ja, nervös.
Seit heute Morgen versuche ich vergeblich, mir selbst zu versichern, dass ich ihr nur eine Bibliothek zeige. Nur eine kleine, kollegiale Freundlichkeit, nichts weiter. Leider interessiert das meinen Körper herzlich wenig - mein Herz schlägt viel zu schnell und meine Hände sind schwitzig, von dem Hormoncocktail in meinem Blut will ich gar nicht erst anfangen.
Shanks hatte wohl recht, ich war viel zu lange komplett enthaltsam. Das hier ist das erste Mal seit fast vier Jahren, dass ich mich privat mit einer Frau treffe, die nicht schon seit Jahren zu meinem Freundeskreis gehört.
Wenn auch nur, um ihr die Bibliothek zu zeigen.
Und sie nur eine Arbeitskollegin ist.
Eine sehr hübsche, aufmerksame, fröhliche und warmherzige Arbeitskollegin...
Ach verdammt. Wem will ich hier eigentlich was vormachen?

Seit sie bei uns arbeitet, scheint in der Praxis die Sonne - buchstäblich. Sie verbreitet mit ihrem zauberhaften Lächeln und ihrer unerschütterlichen Herzlichkeit so viel gute Laune, dass man ganz automatisch davon angesteckt wird. Und mit ihrer produktiven, strukturierten Arbeitsweise erleichtert sie uns Ärzten den Alltag ganz erheblich... es macht einfach Spaß, mit ihr zusammenzuarbeiten! Ich genieße nach nur einer Arbeitswoche tatsächlich schon jede Sekunde mit ihr. Vor allem die morgendlichen Privatgespräche. Wenn wir bisher auch noch über nichts Wichtiges gesprochen haben, freue ich mich doch jeden Tag darüber.

Ach Himmelherrgott nochmal... ich fürchte, ich mag sie wirklich.
Ich hätte nicht gedacht, dass mich überhaupt je wieder eine Frau wirklich interessieren oder begeistern würde... schon gar nicht nach nur so kurzer so kurzer Zeit. Aber sie tut es. Sie fasziniert mich. Ich will unbedingt mehr über sie wissen, sie besser kennenlernen und... einfach mehr Zeit mit ihr verbringen als nur die flüchtigen Momente während der Arbeit.
Aber mein Kopf steckt voller Zweifel.
Nach wie vor halte ich mich für zu alt, elf Jahre sind nun mal nicht wenig. Was soll sie von einem „alten Spießer", wie Shanks mich immer so gern betitelt, schon wollen? Und die zweite, wesentlich kritischere Frage ist, ob ich es auch tatsächlich hinbekomme, einer Frau wieder vorbehaltlos zu vertrauen. Kann ich mein Herz überhaupt schon wieder in fremde Hände legen? So ungern ich das zugebe, aber die Angst vor einem erneuten Tiefschlag oder einer direkten Abfuhr ist wirklich groß. Könnte – oder besser gesagt SOLLTE - ich es wirklich riskieren, mich weiter auf diese Sache einzulassen? Allein der Gedanke daran, sie um eine Verabredung zu bitten, beschert mir eine kritische Pulsfrequenz. Allerdings würde ich mit einem derartigen Vorstoß ja nicht nur einen für mich wohl ziemlich bitteren Korb riskieren, sondern auch unsere im Augenblick so gute, ungezwungene Kollegialität aufs Spiel setzen... und schon nach nur dieser einen Arbeitswoche möchte ich ihre Gegenwart auf keinen Fall mehr missen.

Tonlos seufze ich. Wenn ich nur wüsste, was ich...

In diesem Moment biegt ihr gelber Käfer um die Ecke und reißt mich aus meinen zwiegespaltenen Grübeleien, als sie direkt neben mir einparkt und mir gewohnt fröhlich zuwinkt. Ein Blick in ihre mir entgegenstrahlenden Augen verjagt meine düsteren Gedanken wie frischer Herbstwind einen Haufen toter Blätter.
Ach, was solls... Scheiß drauf!
Tief atme ich durch und gebe mir innerlich selbst einen kräftigen Ruck. Shanks hat in diesem Fall absolut recht: irgendwann muss ich den ganzen Mist hinter mir lassen und einen neuen Versuch wagen. Warum also nicht jetzt? Warum nicht Sina? Vermutlich zum ersten Mal in meinem Leben bin ich willens, seinem Ratschlag zu vertrauen. Ich will versuchen, mich auf diese Situation einzulassen und sehen, wohin es mich führt.
Entschlossen steige ich aus, sperre mein Auto ab und gehe auf sie zu. Mein Herz schlägt deutlich schneller, als ich sie zum ersten Mal nicht in Arbeitskleidung sehe: sie trägt jetzt ein figurbetontes, aber schlichtes, hellgrünes Shirt mit V-Ausschnitt, graue Dreivierteljeans, flache, bequeme Riemchensandalen und dazu goldene Ohrringe sowie ein goldenes Kettchen mit einem Flügelanhänger. Ihre kupferrote Haarpracht hat sie zu einem seitlichen Zopf geflochten.
Himmel, sie sieht wirklich umwerfend aus!

Kurz melden sich meine Selbstzweifel wieder, doch dann sehe ich, wie sie bei meinem Anblick kurz stockt, sich ihre Augen kaum merklich weiten und sich gleich darauf eine verdächtige Röte in ihr Gesicht schleicht, ehe sie sich hastig umdreht. Natürlich nur, um ihren Wagen gewissenhaft abzuschließen. Mein Ego schnurrt behaglich und ein breites Lächeln huscht über mein Gesicht. Mein Lieblingsoutfit, das lila Hemd mit den zurückgekrempelten Ärmeln, die dunkelblaue Jeans und der goldenen Ziergürtel dazu, hat seine Wirkung offenbar noch nicht verloren. Es ist schon einige Zeit her, seitdem ich mich das letzte Mal tatsächlich um mein Aussehen bemüht habe.
„Hi! Tut mir ja beinahe leid, aber diesmal bin ich Erster, yoi?", begrüße ich sie neckend, woraufhin sie befreit auflacht und ihre anfängliche Verlegenheit überwindet.
„Bild dir ja nichts drauf ein, ich hab noch einige Male voraus!", kontert sie vergnügt. „Also Herr Stadtführer, wo gehts lang?"
Ich deute zur Straße links von uns.
„Es ist gar nicht weit, zwanzig Minuten Fußweg von hier. Mit dem Auto findet man da allerdings nur selten einen Parkplatz, darum ist es so einfacher", erkläre ich und wir machen uns gemeinsam auf den Weg.

Die ersten Minuten verbringen wir in einträchtigem Schweigen und genießen die Sonne, die nun fast ununterbrochen scheint und die Temperaturen angenehm hochtreibt. Wird auch Zeit, wir haben ja immerhin schon Juni und der Sommer darf gern kommen. Um uns herum entfaltet sich langsam Dublins atemberaubende, lebhafte Innenstadt mit den vielen bunten, kleinen Läden und der allgegenwärtigen Blumenpracht an Häusern und Straßenlaternen.
„Diese Stadt hat etwas wirklich Märchenhaftes an sich... eigentlich sogar das ganze Land. Ich war schon in einigen Ecken dieser Welt, aber das hier ist einfach etwas ganz Besonderes. Hier hat man ein ganz anderes Lebensgefühl... man fühlt sich irgendwie so viel positiver, so viel... weniger hektisch", murmelt Sina verträumt und betrachtet mit glänzenden Augen die farbenfrohe Umgebung.
„Ich weiß was du meinst. Mir kommt es auch oft so vor, als würde die Zeit hier anders verlaufen, yoi? Langsamer...", stimme ich ihr vollkommen zu und sehe sie neugierig an. „Bist du deshalb hierhergezogen? Wegen dem besseren Lebensgefühl?"
„Ja... so kann man das sagen. Ich war in meiner Kindheit schon mal hier und fand es einfach toll. Es herrscht hier so eine raue, zwanglose, frohgemute Stimmung, das hat mich damals schon tief beeindruckt! Die Iren sind so direkt, so offen, gutmütig und hilfsbereit...!", erzählt sie mit leuchtenden Augen.

„Dann passt das Land ja bestens zu dir", erwidere ich zwinkernd, was sie erst mal aus dem Konzept bringt und erneut rot werden lässt. Eine Sache, die mir außerordentlich gut gefällt... und noch viel mehr gefällt es mir, endlich mehr über sie zu erfahren. „Woher kommst du denn ursprünglich?"
Leider scheint das eindeutig die falsche Frage gewesen zu sein, denn ihre Mundwinkel fallen augenblicklich.
„Aus dem Nachbarland...", antwortet sie leise und mit hörbarem Unbehagen in der Stimme.
Ich sehe sie überrascht an.
„Du kommst aus England? Ist... es da so anders als hier?", hake ich vorsichtig nach. So gern ich auch mehr über sie erfahren will, auf keinen Fall will ich aufdringlich sein oder ihr die Laune verderben. Obwohl der Psychiater in mir schon eine Verbindung zwischen ihrem abwehrenden Gesichtsausdruck, ihrem Umzug völlig allein in ein anderes Land ohne beruflichen oder beziehungstechnischen Hintergrund und den versehentlich erwähnten Schlafstörungen herstellt.
Sina schnauft abfällig, zum ersten Mal sehe ich so etwas wie Bitterkeit in ihren Augen.
„Da wo ich herkomme, leider schon, ja. Ich bin auch wirklich froh, da weg zu sein!", entgegnete sie ungewohnt heftig, ehe sie sich sichtlich zusammenreißt und leise ausatmet.

„Aber vermissen dich deine Eltern nicht? Ich stell es mir schwer vor, ganz allein in einem fremden Land zu sein..." Ein wenig besorgt sehe ich sie an und hoffe, dass sie mir meine Direktheit nicht übelnimmt. Doch dieser Punkt interessiert mich schon die ganze Zeit, seit Shanks erwähnte, dass sie hier wirklich niemanden hat. Sina zuckt jedoch kaum merklich zusammen und beißt sich unbewusst auf die Lippen, weshalb ich sofort beschwichtigend die Hände hebe. „Falls ich zu neugierig bin, sag es mir ruhig, yoi? Du musst mir nicht antworten...", füge ich deshalb direkt hinzu. Sie sieht mich etwas gequält lächelnd an.
„Du klingst, als säße ich auf deiner Therapiecouch!"
„Hättest du sie denn nötig?", frage ich sie ernst und sie - seufzt tief.
„Vielleicht war ich da ja schon mal... und... ja, vielleicht wäre es auch heute noch nötig", gibt sie unerwartet ehrlich zu. „Aber noch bin ich davon überzeugt, das hier allein in den Griff zu bekommen... immerhin hab ich es bis hier her geschafft", fügt sie optimistisch hinzu. Mir versetzt das Wort ‚allein' jedoch berufsbedingt einen Stich – das höre ich nämlich wirklich gar nicht gern. Den schlimmsten Schaden bei meinen Patienten verursacht nämlich tatsächlich oft der Gedanke (oder der Drang), irgendwas allein schaffen zu wollen... es schiebt den Zeitpunkt, bis sie sich endlich eingestehen können, dass sie eben doch Hilfe brauchen, nämlich unnötig und manchmal sogar gefährlich weit nach hinten.

„Du bist aber nicht allein, yoi?" Impulsiv greife ich deshalb nach ihrer Schulter und drücke sie kurz, aber fest, bevor ich sie hastig wieder loslasse. Mir ist wichtig, dass sie das weiß.
Ihre Frühlingsaugen sehen mich zuerst sehr überrascht an, werden dann aber plötzlich unheimlich warm und... liebevoll. Mein Mund ist auf einmal wieder ziemlich trocken.
„Danke Marco...", erwidert sie aufrichtig, und die Art, wie sie meinen Namen ausspricht, beschert mir eine Gänsehaut.
Ich räuspere mich verlegen.
„Versprich mir einfach, dass du mit mir redest, wenn's dir nicht gut geht, okay? Oder auch mit irgendwem anders. Nur nicht den einsamen Wolf spielen - das endet niemals gut", bitte ich sie ernsthaft, vermeide aber bewusst jeden Blickkontakt. Eine sanfte Berührung an meiner Hand lässt mich jedoch augenblicklich herumfahren. Ihre Finger streifen kurz über meine und hinterlassen ein elektrisierendes Prickeln
„Du bist meine erste Wahl, versprochen!", sagt Sina leise. Und obwohl diesmal sie bemüht zur Seite guckt, kann ich ihr Lächeln sehen. Ich erwidere nichts darauf, viel mehr bin ich damit beschäftigt, das von ihr verursachte Gefühlschaos wieder halbwegs in den Griff zu bekommen.
Und damit, mein Lächeln nicht allzu auffällig ausarten zu lassen.

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