Prolog

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Über mir schien die Sonne, so stark und hell, dass sie einem drohte augenblicklich die Haut zu verbrennen. Kein Wunder also, dass unter mir und um mich herum nicht mehr als verbrannte Erde und die Skelette von schon langen verwesten Tieren zu sehen war. Die einzige Ausnahme bildeten ein paar Steine, welche als Dach über einem Erdloch bildeten. Ein Gitter versperrte den einzigen Ausweg des Gefängnisses.
Ich trat näher daran, während noch das Blut von meiner Kleidung tropfte. Von wem es wohl stammte? Eigentlich hatte ich heute niemanden ermordet, sondern war mal ohne Dusche blutfrei in mein Bett gegangen.
Nachdem ich vor etwas mehr als einer Woche mit Voldemort den Pakt geschlossen hatte, dass wir vorerst gemeinsam arbeiten würden, war ich tatsächlich bei den Malfoys in das Herrenhaus gezogen. Oder besser gesagt zu Narzissa, denn ihr Ehemann Lucius war in Askaban eingesperrt worden und ihre beiden Kinder waren erst heute aus Hogwarts wiedergekommen.
„Lass mich hier raus!", hörte man meine Stimme von unter dem Steinhaufen. Im nächsten Moment erschien auch schon mein Gesicht am Gitter. Obwohl mein Gesicht stimmte nicht ganz. Die Teenagerin sah so aus wie ich, aber natürlich war sie es nicht. Sie war viel schwächer, viel emotionaler.
„Patricia, Patricia. Du glaubst ja wohl kaum, dass ich dich freilassen würde", erwiderte ich kühl. „Ich habe so lange darauf gewartet, dass wir beide endlich die Rollen tauschen. Ich lasse mich nicht wieder in den Schatten sperren."
„Du tötest Unschuldige!", wurde dagegen gehalten, weshalb mir dieses kalte Serienmörderlachen entwich.
Unschuldig? Ich tötete sicherlich keine unschuldigen. Alle meine Opfer hatten leid über uns gebracht. Zwei Verstecke von PIRA hatte ich schon ausgerottet in den letzten Tagen. Waren diese Leute unschuldig? Sicherlich nicht. Sie hatten andere Menschen ermordet und entführt. Und auch alle anderen auf meiner Liste waren vieles aber nicht unschuldig.
„Nein, ich räche mich an denen, die dir wehgetan haben", knurrte ich. „Ich tue das, wozu du zu schwach bist."
„Du tötest Menschen, die ich liebe!", schrie Patricia, während ihr tatsächlich Tränen über die Wange liefen. Wie erbärmlich. Jetzt war sie doch wirklich traurig, weil ich ihre leibliche Familie auslöschen wollte. Die Familie, die nie ernsthaft nach ihr gesucht hat. Sie haben ihr eine glückliche Kindheit bei ihnen verwehrt, hatten entschieden, Kira und Mary wären fürs erste genug.
„Sie haben den Tod verdient, Patricia! Du bist nur zu schwach, um es zuzugeben. Denke immer daran. Ich bin du, nur ohne deine Schwächen. Ich habe nur die Emotionen übernommen, die einen stark machen, die einen Antreiben! Der Hass auf deine leibliche Familie? Die Verachtung für die Hogwartsschüler? Das kommt alles von dir. Du traust dich nur nicht, es zuzugeben!"
„Ich brauche auch nichts zuzugeben! Meine leibliche Familie ist schwierig und anstrengend und ..." Sie stockte ein paar Sekunden, genauso wie ich erwartet hatte. Sie konnte nicht aussprechen, dass ein Teil von ihr durch die Familie verletzt worden war. Hatte sie nie und sie würde es wohl auch nie können. „Ich fühle mich manchmal überfordert und habe Angst, keinen Platz bei ihnen zu haben. Das kommt aber von mir und nicht von ihnen. Sie lieben mich über alles. Das haben sie immer, das werden sie immer."
Ich schüttelte amüsiert den Kopf. Vielleicht hatte Patricia wirklich recht und ihre leibliche Familie würde sie immer lieben, doch es änderte nicht an dem Hass, an der Wut auf sie. Sie hatten die Kleine verletzt und nun bekamen sie dafür die Rechnung. Sie bekamen mich dafür.
„Du tust Antiope, Jamie, Blaise und Adina weh. Sie haben uns nie verletzt", schrie nun Patricia verzweifelt.
Damit hatte sie nicht ganz unrecht. Die vier hatten Patricia nie verletzt und trotzdem litten sie darunter, dass sie nun weg war.
Gerade Antiope hatte sich so sehr gefreut, als sie mit Adina hier ankam. Sie war glücklich bellend auf mich zu gerannt, wollte gekuschelt und gekrault werde, doch mir war es egal. Ich hatte keinen Nutzen durch diesen Hund. Er war nur ein Bestechungsgeschenk für Patricia gewesen, von ihrer leiblichen Familie.
Vor allem Adina musste ich natürlich bei Stange halten und auch Jamie und Blaise konnten durchaus nützlich sein. Ich würde wohl gucken, dass ich mich in ihrer Nähe etwas mehr wie die alte Patricia verhielt, damit sie sich so verhielten, wie ich es gebrauchen konnte. Doch es änderte nichts daran, dass ich nun einmal nicht wie die gefangene Version von mir war. Ich hatte nicht ihre Schwächen, ich fühlte mich den anderen nicht so verbunden. Nein, mir waren sie egal und sollten sie sich gegen mich stellen, war ich bereit, auch sie aus dem Weg zu räumen.
„Ich bin netter zu Adina, sie muss ich eh bei Laune halten. Und wenn du dann weniger heulst, kraule ich auch mal deinen Hund. Ansonsten kümmern sich die anderen hervorragend um ihn. Sogar Draco. Wahrscheinlich will er all die schlimmen Dinge wieder gutmachen, die er zu dir gesagt hat."
„Du darfst ihn nicht töten! Jetzt mögen wir uns!", rief Patricia entsetzt.
„Keine Sorge. Er hat dich nie schlimm genug verletzt, um auf meiner Liste zu landen. Er war immer nur ein lästiger Floh", stellte ich klar. Bei Draco und den meisten anderen Hogwartsschülern würde es mir genügen, eines Tages als offizielle Basílissa auf sie herabzusehen. Sie vor mir zu Kreuze kriechen zu lassen, weil ich nun einmal die mächtigste Person auf der Welt war.
„Du musst mit dieser Liste aufhören!", wurde ich angeschrien.
„Nein, Patricia. Das muss ich nicht. Du hast hier nichts mehr zu sagen, weil ich jetzt im Licht bin und du im Schatten. Also hör auf dir anzumaßen, mir Befehle erteilen zu dürfen. Ich bin stark und mächtig. Du nur klein und schwach! Du hast dreimal dabei versagt, deine Eltern zu schützen! Erst Carolin, dann die Howarth und jetzt auch noch Sirius! Du bist eine erbärmliche Kriegsnymphe! Hätte ich hier Waffen, ich würde dir hier und jetzt den Kopf abschlagen!", fuhr ich sie an.
Patricia wich erschrocken von den Gitterstäben zurück. Jedenfalls soweit sie es in dem kleinen Gefängnis konnte.
Ich fing aufgrund dieser Reaktion an zu lachen. Selbst der Irrwicht von ihr war einfach nur erbärmlich, denn schließlich war ich es. Und damit war ihre größte Angst ihr eigener Hass und ihre eigene Wut. Noch erbärmlicher konnte man wohl kaum sein.

Ich wurde angestupst. Erst einmal, dann ein zweites Mal und schließlich wurde mir einmal quer über das Gesicht geleckt.
Ich schlug meine Augen auf. Endlich war ich nicht mehr in diesem nervtötenden Traum mit Patricia gefangen. Stattdessen lag ich wieder in meinem weichen, etwas überdimensionierten Himmelbett im Malfoy Manor. Durch die Vorhänge kamen die ersten Sonnenstrahlen des Tages.
Allerdings vielen mir nur bessere Arten ein, um geweckt zu werden. Am besten wäre es natürlich, wenn gar nicht geweckt werden würde.
Ich schob mit einer Hand Antiope weg, welche neben mir schwanzwedelnd auf dem Bett saß. Offensichtlich hatte der braune Hund noch nicht verstanden, dass ihre Besitzerin weg war. Sie hatte noch immer die Hoffnung, sie würde gerade aufgewacht sein.
„Patricia ist fort", erklärte ich dem Hund. „Sie ist nicht mehr da und wenn ich es verhindern kann, kommt sie auch nicht mehr wieder. Sie heult nun im Schatten aufgrund der ganzen Toten. Mir bist du egal. Also such dir ein neues Herrchen. Adina, Draco und Jamie scheinen dich gerne zu adoptieren. Ich kraule dich vielleicht manchmal, aber mehr auch nicht."
Der Hund schien mir nicht wirklich zuzuhören. Er legte nur den Kopf schief und sah mich aus seinen großen Augen an. Ich sah zurück. Ein paar Sekunden blieben wir so sitzen, bevor mir der Kopf auffordernd in den Schoß gelegt wurde. Entweder verstand der Hund nicht wirklich, dass ich wirklich kein Interesse mehr an ihm hatte oder – und das hielt ich tatsächlich für wahrscheinlicher – er war der Meinung mich erneut so einnehmen zu können. Nur blöd für ihn, dass ich nicht Patricias weiches Herz besaß.


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