Kapitel 17

104 15 0
                                        

Im Klassenzimmer für Zaubertränke war es mal wieder ziemlich kalt. Anscheinend hatte die Klasse vor uns keine Tränke gebraut, weshalb der unbeheizte Klassenraum mal wieder ziemlich abgekühlt war. Man konnte heute seinen eigenen Atem als kleine weiße Wölkchen sehen. Hoffentlich würden wir wenigstens etwas brauen dürfen, damit es hier wieder wärmer wurde.
Der Klassenraum füllte sich allmählich mit Schülern. Die meisten von ihnen rieben sich die Finger, um sie ein wenig zu wärmen, während sie zu ihren Plätzen liefen. Adina, die neben mir saß, zog sogar ein Paar Handschuhe heraus. Ich hatte allerdings Zweifel daran, dass sie damit schreiben konnte. Das war allerdings natürlich nicht mein Problem.
Ich selbst wandte mich den Aufzeichnungen zu, die ich über die Taktik für das nächste Quidditchspiel angefertigt hatte. In ungefähr zwei Wochen würden wir Slytherins gegen das Team von Ravenclaw antreten. Auch wenn ich im großen und ganzen sehr zufrieden mit der bisherigen Strategie war, gab es noch immer ein paar Ecken und Kanten, die ich ausbessern musste. Und dann musste mein Team das Ganze natürlich noch verinnerlichen. Leider waren nicht alle Spieler so motiviert wie Benjamin Crow, auch wenn sie zufriedenstellende Leistungen erbrachten.
Über den Rand meiner Aufzeichnung beobachtete ich, wie Harry, Ron und Hermine den Klassenraum betraten. Genauer gesagt, stürmte die Muggelstämmige hoch erhobenen Hauptes voran, während die beiden Schüler leise tuschelnd folgte. Auch als sie sich setzten, wurde deutlich, dass es Ärger im Paradies gab. Hermine rutschte so weit von ihren eigentlichen Freunden weg, dass sie neben Ernie Macmillan saß und nahm auch keine weitere Notiz von den anderen beiden Gryffindors.
Hermines Wut auf Ron in den letzten Wochen war wirklich niemanden entgangen. Es war ein offenes Geheimnis, dass sie eifersüchtig auf die Beziehung von Ron und Lavender Brown war. Doch normalerweise ließ sie deshalb nicht Harry links liegen. Was wohl der Auserwählte getan hatte, um sie zu verprellen? Hoffentlich würde die Streiterei noch lange andauern.
„Setzen, setzen, bitte!", rief Slughorn in diesem Moment auch schon von vorne. „Nun aber Beeilung, wir haben heute Nachmittag eine Menge Arbeit zu bewältigen! Golpalotts Drittes Gesetz ... wer kann es mir sagen –? Unsere Miss Granger kann es, natürlich!"
Bevor ich auch nur die Chance hatte, meine Feder hinzulegen, war Hermines Hand auch schon hochgeschossen. Nun rasselte sie in Höchstgeschwindigkeit herunter: „Golpalotts - Drittes - Gesetz - besagt - dass - das - Gegengift - für - eine - Giftmischung - mehr - als - die - Summe - der - Gegengifte - für - jeden - einzelnen - Bestandteil - ist."
Ich war mir sehr sicher, der Großteil der Klasse konnte den schnell gesprochenen Worten nicht folgen. Bevor man realisiert hatte, was ihr erstes Wort war, hatte sie den Satz auch schon beendet. Gut, dass ich nicht auf diese Erklärung angewiesen war.
„Ganz genau!", strahlte Slughorn, der die Worte anscheinend verstanden hatte. Oder er ging einfach davon aus, dass sie richtig waren, weil sie nun einmal von Hermine kamen. „Zehn Punkte für Gryffindor! Nun, wenn wir davon ausgehen, dass Golpalotts Drittes Gesetz wahr ist ..."
Fing Slughorn an, das Gesetz weiter zu erläutern. Obwohl dieses Mal alle den Worten in normaler Geschwindigkeit folgen konnten, schien trotzdem niemand die Erklärung zu verstehen. Es musste wirklich nervig sein, wenn man nur eine normale Intelligenz besaß.
„... und das bedeutet natürlich, dass, einmal angenommen, uns ist anhand von Scarpins Revelatiozauber die korrekte Bestimmung der Trankzutaten gelungen, unser Hauptziel nicht das verhältnismäßig einfache sein kann, Gegenmittel für jede dieser Zutaten an und für sich auszuwählen, sondern jenen zusätzlichen Bestandteil zu finden, der vermittels eines beinahe alchemistischen Prozesses diese unterschiedlichen Elemente verwandelt –"
Ich sah amüsiert Ron dabei zu, wie er mit halb offenem Mund neben Harry saß. So sah er noch dümmlicher aus als sonst, und seine Kritzelei auf dem Zaubertränkebuch machte es auch nicht besser.
„... und daher", schloss Slughorn, „bitte ich Sie alle, einzeln nach vorne zu kommen und sich eines dieser Fläschchen von meinem Pult zu holen. Sie sollen vor Ende der Unterrichtsstunde ein Gegenmittel für das darin enthaltene Gift entwickeln. Viel Glück, und vergessen Sie Ihre Schutzhandschuhe nicht!"
Ich grinste zufrieden. Wir würden einen Trank brauen müssen. Das hieß, gleich würde das Feuer unter unseren Kesseln nicht nur diese, sondern auch den ganzen Raum wärmen. Sehr schön.
Ich schlug die Notizen zu der Quidditchtaktik wieder zu und verstaute sie in meiner Tasche. Ich wollte sie auf gar keinen Fall liegen lassen und so unserem Gegner verraten. Obwohl, wenn ich gerade darüber nachdachte, wollte ich vielleicht genau das. Also natürlich nicht die echte Taktik, aber Ravenclaw würde schon blöd gucken, wenn sie sich auf die falsche vorbereiteten.
Ich sah zu den Ravenclaws herüber, die mit mir hier im Unterricht saßen. Michael Corner merkte, dass ich ihn beobachtete und warf mir einen feindseligen Blick zu. Sie hassten mich definitiv genug, um die Taktik zu nutzen. Nur gut, dass ich nicht nur eine Taktik dabei hatte, sondern auch ein paar alte, die ich schon längst verworfen hatte. Ich würde einfach eine Herausreißen und auf dem Gang liegen lassen. Oh, Patricia würde wimmern, weil ich eines ihrer Zeichenbücher in Stücke riss. Aber das war es wert.
Mittlerweile waren schon ein Großteil der Schüler aufgestanden, um sich eine Giftphiole zu holen. Ich wartete, bis der große Ansturm vorbei war, dann stand ich ebenfalls auf.
„Schade aber auch, dass der Prinz dir dabei nicht viel wird helfen können, Harry", hörte ich Hermine dem Gryffindor zu zischen, als ich mir die letzte Phiole holte. „Diesmal musst du die Grundsätze verstehen, die hier eine Rolle spielen. Keine Kurzformeln oder Schummeleien!"
Da war ich mir noch nicht so sicher. An meinen Platz wieder angekommen, entkorkte ich die Flasche mit dem kanariengelben Gift, welches ich abgekriegt hatte. Diese kippte ich in meinen Kessel.
Obwohl ich durchaus eine Ahnung hatte, wie ich von nun an weitermachen sollte, zog ich trotzdem mein Zaubertränkebuch heran, um nachzusehen, ob Snape nicht vielleicht doch ein paar sinnvolle Tipps für mich hatte. Ich blätterte zu den entsprechenden Seiten, doch dort standen wirklich keine Hilfestellungen. Oh, dieses Mal würde Harry versagen. Zur Sicherheit blätterte ich noch etwas weiter, doch nirgendwo stand etwas. Nur auf der Seite, auf der Gifte und ihre Gegengifte aufgelistet worden waren, stand quer darüber: Einfach einen Bezoar in den Hals stopfen.
Natürlich hatte der ehemalige Lehrer für Zaubertränke damit vollkommen recht. Die beste Möglichkeit, um jemanden vor einer Vergiftung zu retten, war noch immer der Bezoar, allerdings erfüllte dieser nicht die Aufgabe. Wir sollten mit Hilfe des Gesetztes ein Gegengift entwickeln, nicht eben einen Bezoar aus dem Vorratsschrank klauen.
Mit guter Laune schwoll noch ein wenig an. Dieses Mal würde Harry eindeutig versagen, der Tag konnte nur noch besser werden. Endlich musste ich nicht mehr mit dem Gryffindor um den Rang des besten Schülers dieses Faches kämpfen. Ich würde meinen wohlverdienten Platz kriegen. An der Spitze, wo ich auch ohne schummeln sein würde. Oder ich würde mit Hermine um diesen Platz kämpfen, aber das wäre dann wenigstens ein fairer Kampf. Ohne Schummeln oder Betrügen, jedenfalls bis ich zu diesen Mitteln griff.
Ich machte mich an die Arbeit. Ich brauchte gerade einmal einen Anlauf, um mit Scarpins Revelatiozauber die Zutaten zu trennen. In aller Seelenruhe begann ich, sie in verschiedene Kristallfläschen abzufüllen.
Slughorn begann wie immer seine Runden durch den Kerker zu ziehen. Ich war sehr zufrieden, als ich feststellte, dass Slughorns hoffnungsvoller Blick in den Kessel, schnell von seinem Gesicht verschwand, als er bei diesem war. Stattdessen zog er hastig und hustend seinen Kopf zurück. Ich wusste nicht, wer in diesem Moment selbstgefälliger wirkte. Hermine oder ich.
Als Slughorn bei mir ankam, begann er die Jubelrufe auszustoßen, die er eigentlich schon bei Harry hatte anbringen wollen. Er schien sehr zufrieden mit meiner Arbeit zu sein. Allerdings hatte ich auch schon alle Bestandteile meines Giftes identifiziert und mich daran gemacht, herauszufinden, wie sie nun miteinander reagierten, um am Ende die passenden Zutaten für mein Gegengift auszuwählen.
Harry schien noch immer keine Idee zu haben, was er machen sollte. Er blätterte momentan in seinem Zaubertränkebuch herum, als würde er dort die Antwort auf sein Problem finden. Schließlich kam er wahrscheinlich auf der Seite mit der Liste von Gegengiften an. Jedenfalls hellte sich seine Miene etwas auf. Überglücklich stürzte er zu dem Zutatenschrank und suchte einen Bezoar heraus. Das würde ihn dieses Mal nicht retten. Da war ich mir sicher.
Harry fand den Bezoar gerade, als Slughorn rief: „Noch zwei Minuten Zeit für alle!" Hastig lief er zurück zu seinem Platz, während ich in aller Seelenruhe mein Gegengift beendete.
„Die Zeit ist ... UM!", rief in Slughorn auch schon fröhlich. „Nun wollen wir uns mal ansehen, wie Sie sich angestellt haben! Blaise ... was haben Sie für mich?"
Slughorn schlenderte gemächlich durch den Raum und begutachtete unsere Ergebnisse. Außer mir schien niemand mit der Aufgabe fertig geworden zu sein. Also wenn es wirklich um Leben und Tod ging, wollte ich keinen von ihnen als Heiler haben. Zum Glück war ich gegen die meisten Gifte immun.
Als der Lehrer bei mir ankam, war er ganz begeistert von dem Ergebnis und auch für Hermine, die noch eilig etwas in eine ihrer Kristallflaschen gestopft hatte, nickte er anerkennend zu. Wenn ich mich wirklich in Lebensgefahr befand, würde ich definitiv auch auf sie setzen. Bei ihr hatte ich auch mehr vertrauen, dass sie sich in diesen Moment an den Bezoar erinnerte als bei Harry. Er war nicht wirklich lernwillig und hätte wahrscheinlich am Ende des Schuljahres wieder die Existenz des Steines vergessen.
Nachdem Slughorn leicht würgend von Rons Trank zurückgewichen war, kam er endlich bei Harry an.
„Und Sie, Harry", sagte er. „Was haben Sie mir zu zeigen?"
Harry streckte die flache Hand mit dem Bezoar aus.
Slughorn sah den Stein ganze zehn Sekunden an. In mir machte sich immer mehr die Hoffnung breit, dass der Zaubertranklehrer wirklich wütend aufgrund dieser Antwort war. Sehr zu meiner Überraschung nahm er allerdings nur den Kopf zurück und brüllte vor Lachen.
„Sie sind mir vielleicht einer, mein Junge!", dröhnte er, nahm den Bezoar und hielt ihn hoch, damit die Klasse ihn sehen konnte. „Oh, Sie sind wie Ihre Mutter ... Nun, ich kann nicht behaupten, Sie hätten es falsch gemacht ... ein Bezoar würde sicherlich als Gegengift für all diese Tränke wirken!"
Ich sah wütend zu dem Gryffindor herüber, der mir mal wieder die Show gestohlen hatte. Ich hatte als Einzige hier die Aufgabe ganz gelöst und trotz allem hatte der Lehrer nun nur noch Augen für Potter.
„Und du bist ganz von allein auf einen Bezoar gekommen, stimmt's, Harry?", fragte Hermine zähneknirschend, der es anscheinend auch nicht passte, durch ihn ausgeboten worden zu sein.
„Das ist der unabhängige Geist, den ein echter Zaubertrankmacher braucht!", erklärte Slughorn vergnügt, ehe Harry Antworten konnte. „Genau wie seine Mutter, sie hatte das gleiche intuitive Gespür für die Zaubertrankbrauerei, zweifellos hat er das von Lily ... ja, Harry, ja, wenn Sie einen Bezoar zur Hand haben, funktioniert das natürlich ... da sie allerdings nicht gegen alles wirken und ziemlich selten sind, ist es trotzdem wissenswert, wie man Gegengifte mischt ..."
Oh ja, und ich würde irgendwann mal eines dieser Gifte an Ron ausprobieren, um Potter dazu zu bringen, diese Aufgabe richtig zu lösen. Natürlich würde ich fair sein und ein langsam wirkendes Gift nehmen. Er würde genauso lange für das Gegengift haben, wie in dieser Stunde. Und ich ging sehr stark davon aus, er würde es nicht schaffen, seinem besten Freund das Leben zu retten.
In meinem Kopf ging ich schon Pläne durch, wo ich die beiden isolieren und einsperren konnte. Wenn Potter Hilfe holen ging, machte das Ganze natürlich nicht halb so viel Spaß. Madam Pomfrey sollte den Schüler schließlich nicht retten, sondern Harry an seiner Aufgabe verzweifeln und versagen.
Die Schulglocke läutete und riss mich aus meinen dunklen Gedanken.
„Sachen einräumen!", rief Slughorn. „Und zehn weitere Punkte für Gryffindor, allein schon für den Schneid!"
Unentwegt glucksend watschelte er zurück zu seinem Pult an der Stirnseite des Kerkers.
Schlechtgelaunt warf ich meine Sachen in die Schultasche. Dabei glitt mein Blick wieder zu dem Zeichenbuch mit den ganzen Quidditchtaktiken. Wenn schon Harry nicht für sein Versagen bei Slughorn unten durch war, würde ich wenigstens noch den Ravenclaws die falsche Taktik unterjubeln. Irgendetwas musste doch mal aufgehen.
Ich holte wieder das Buch heraus und tat so, als wäre ich ganz darin vertieft. Draco sprang auf und folgte mir mit eiligen Schritten. Er hatte sich bei der heutigen Aufgabe mit irgendetwas in Richtung Katzenkotze bekleckert. Egal, was er vorhatte, sein Weg sollte erstmal zu einer Dusche und sauberer Kleidung führen. Den Blick, den er mir zuwarf, zu folge, hatten seine Pläne definitiv etwas mit mir zu tun. Allerdings traute er sich nicht, es laut auszusprechen, solange ich vertieft in die Taktiken war.
Unauffällig löste ich eine Seite aus dem Zeichenblock, bevor ich ihn wieder unvorsichtig zurück in die Tasche stopfte. Dabei segelte das Blatt heraus, genau vor die Füße von Michael Corner, einer meiner Klassenkameraden aus Ravenclaw. Ich tat so, als hätte ich es gar nicht bemerkt, sondern wäre nun entschlossen mit Draco zu plaudern.
„Du hast Pläne für uns", stellte ich fest, während ich aus dem Augenwinkel beobachtete, wie Corner eilig das Blatt aufhob.
„Gehen wir an unseren Ort?", fragte er. Ich wusste genau, was er meinte. Den Raum der Wünsche. Ich hatte ihm aber verboten, das Ganze auszusprechen, egal, ob er glaubte, jemand würde zuhören oder nicht. Ich hatte wirklich keine Lust, dass Harry ein Gerücht zu Ohren kam, dass wir ständig dort waren, und er anfing, uns zu überwachen. Am Ende fand er noch heraus, was wir dort trieben. Beim Sex erwischt zu werden, wäre mir egal, aber das Verschwindekabinett sollte unter allen Umständen geheim bleiben.
„Für Sex oder unser Projekt?", hakte ich weiter nach.
„Für beides", kam nur die knappe Antwort.
„Wir haben nach dem Abendessen Quidditchtraining", erinnerte ich Draco an unseren ziemlich engen Zeitplan. „Wir haben also keine Zeit für beides. Ich bin daher für Ersteres. Im Badezimmer der Vertrauensschüler. Katzenkotze ist ekelig. Hol dir vorher einen sauberen Umhang."
Der Slytherin sah an sich herunter, als hätte er ganz vergessen, was im Unterricht passiert war. Vielleicht hatte er das auch wirklich. Der Stress wegen des Verschwindekabinetts machte ihn ziemlich unaufmerksam. Doch schließlich nickte er verstehend.
Draco wollte schon davoneilen, als man Slughorn in seinem Klassenraum „FALSCH!", brüllen hörte. Jetzt drehten wir uns doch um.
Harry kam mit einem ziemlich zerknirschten Gesicht aus dem Raum gestürmt. Was auch immer er von dem Lehrer gewollt hatte, es hatte diesem wohl überhaupt nicht gefallen. Ich fing an zu grinsen. Noch einmal würde Harry sicherlich nicht mit dem Bezoar durchkommen. Anscheinend hatte er gerade seine Sympathie bei dem Lehrer verspielt. Ich wüsste nur zu gerne, für was.


Hexagramm - PapiertigerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt