Ich kam vor dem Haus heraus, welches Dad mir vererbt hatte. Als ich von Natasha disappariert war, hatten sich meine Gedanken ganz automatisch auf dieses fixiert. Irgendwie kam es mir gerade wie der sicherste Ort für mich vor, auch wenn es eigentlich dumm war. Ein leerstehendes, mir allein gehörendes Gebäude war eindeutig ein guter Anlaufpunkt für Auroren.
Trotz allem überwogen gerade Vorteile aus meiner Sicht. Bei den Malfoys wäre sofort herausgekommen, dass mein Fluch gebrochen war. Ich wusste aber noch gar nicht, ob ich wollte, dass es herauskam. Eine Kriegsnymphe ohne Gefühle agierte schließlich ganz anders als eine Kriegsnymphe mit Gefühlen. Ich wollte nicht ausschließen, dass so der dunkle Lord mir doch wieder misstrauisch gegenüber werden würde. Im schlimmsten Fall hätte es vielleicht sogar zur Folge, dass er unsere gesamte Zusammenarbeit noch einmal überdachte. Dabei brauchte ich doch diesen Pakt und sein Vertrauen, um Carolin und die anderen Nymphen zu befreien.
Also wo hätte ich sonst hingehen sollen? Mit all meinen früheren Verbündeten hatte ich es mir wohl ordentlich verscherzt.
Daher schleppte ich mich nun die wenigen Meter bis zur Haustür. Erst dort angekommen, fiel mir ein, dass ich gar kein Schlüssel dabei hatte, nicht einmal einen besaß. Tahnea hatte nie ihr Erbe angetreten.
Ich drückte vorsichtig gegen die Tür, doch natürlich gab sie nicht nach. Unter dem Flur war mir das Haus vielleicht nicht wichtig gewesen, aber trotzdem hatte ich sie hinter mir zugezogen. Einbrecher wollte ich auch nicht in meinem Eigentum haben. Das hatte den Nachteil, dass ich jetzt wohl mal wieder selbst zu einem werden müsste. Auch wenn das hier wohl nicht so einfach werden würde. Sirius hatte mir von den ganzen Schutzzaubern erzählt. Das Schloss würde ich keinesfalls mit einem Dietrich aufbekommen. Oder hatte man sie gelöst, nachdem mein Vater das Haus übernommen hatte? Irgendwie musste schließlich auch er dort hereingekommen sein, als er mich in meinem ersten Hogwartsjahr hergebracht hatte.
Bei dem Gedanken an meinen verstorbenen Vater liefen die Tränen noch schneller über meine Wangen. Ich hatte versucht, ihn dafür noch einmal zu töten, weil er den Kampf im Ministerium nicht überlebt hatte. Ich hatte ihn deshalb gehasst und es ihm vorgeworfen, dabei konnte er gar nichts dafür. Natürlich hätte er nicht unbedingt ins Ministerium gehen müssen, aber unterm Strich konnte ich es verstehen. So war nun einmal mein Dad gewesen und so hatte ich ihn geliebt. Und trotzdem war ich wütend gewesen.
Mir entfuhr ein Schluchzen. Ich hatte mit meiner Wut alles kaputt gemacht. Sirius und die anderen würden es mir bestimmt nie verzeihen. Anstelle die Tür aufzubrechen, ließ ich mich einfach auf den Boden rutschen. Viel lieber als in dieses Haus wollte ich in der Zeit zurückreisen, um Sirius im Grimmauldplatz. Oder wenigstens hier und jetzt einschlafen, um in die Zwischenwelt reisen zu können. Ich wusste, es war dumm, weil mich mein Vater wahrscheinlich dort nicht besuchen würde, aber ... ich wollte doch nur wieder sein kleiner Welpe sein.
Aber die Magie in meinen Adern würde es mir wahrscheinlich nicht so bald erlauben, einfach einzuschlafen. Wahrscheinlich war es auch besser so. Die Verbrennungen von Natashas Angriff musste ich eigentlich noch versorgen. Vor allem nachdem ich jetzt ein zweites Mal mit ihnen im Dreck gekauert hatte.
Anstelle mich wieder aufzuraffen und doch noch die Tür aufzubrechen, blieb ich aber lieber dort, wo ich war. Die Tränen rannen mir über die Wange wie kleine Flüsse und mit meinem Geschluchze verjagte ich wahrscheinlich sämtliche Tiere von hier. Doch dieses Mal würde mein Dad nicht zu mir kommen, um mich zu umarmen. Er würde mich nicht hochheben, um mich wieder auf das Sofa zu verfrachten. Selbst wenn er noch Leben würde.
Ich schloss meine Augen, um mich besser in den Erinnerungen verlieren zu können. Ich ließ den Tag damals Revue passieren. Der Moment, indem ich auf dem Sofa aufgewacht bin. Wie ich durch das Haus gelaufen bin, um herauszufinden, was los war, obwohl meine Nase lief, ich furchtbaren Husten hatte und mein Hals bei jeden Schlucken einfach nur schrecklich wehtat. Und schließlich auch, wie ich durch den Wald lief, welcher dieses kleine sichere Haus umschloss, in der Hoffnung Sirius zu finden. Wie ich damals weinend auf den Boden zusammenbrach, weil ich mich so einsam und alleine gefühlt hatte wie noch nie. Weil ich Ares verloren hatte. Und dann kam er einfach zu mir. Ich erinnerte mich an das Gefühl, wie es war, das erste Mal von ihm umarmt zu werden.
Ich verlor mich so sehr in der Erinnerung, dass ich wirklich das Gefühl hatte, er würde mich wieder umarmen. Der Geruch seines Aftershaves stieg mir dabei wieder in die Nase. Und dann hörte ich ihn flüstern: „Du solltest nicht hier sein, mein kleiner Welpe".
Das war falsch. Das hatte er eindeutig damals nicht zu mir gesagt. Und er konnte damals auch nicht nach Aftershave gerochen haben. Zum Waschen hatte er sich schließlich Schnee auftauen müssen.
Ich schlug meine Augen wieder auf. Auch wenn ich meine Umgebung nicht erkennen konnte, weil der Körper von Sirius im Weg war, war mir sofort bewusst, ich war nicht mehr vor dem Haus von ihm und Carolin. Um mich herum war nicht mehr die Finsternis des Waldes. Stattdessen war es nun Tag hell. Als ich mich etwas von meinem Vater löste, stieg mir der Geruch von Lavendel und Hyazinthen in die Nase. Anscheinend war ich eingeschlafen und hatte es wieder in die Zwischenwelt geschafft. Auch wenn es Sirius offensichtlich nicht freute.
„Es –", setzte ich an, um mich zu entschuldigen.
„Wir reden später, Welpe. Jetzt musst du erstmal zurück zur Erde gehen", wurde mir zugeflüstert.
„Nein", wimmerte ich. Ich wollte nicht weg. Wenn er schon kam, dann wollte ich mich wenigstens entschuldigen dürfen. Warum schickte er mich einfach wieder weg?
„Ich weiß, du willst gerade hier sein, mein Welpe. Aber du bist nicht eingeschlafen. Dein Herz ist stehengeblieben, als du dich hierhergebracht hast."
Mir fielen Adinas Worte über den Preis des Trankes an. Dass fast alle Nutzer irgendwann nicht mehr zurückwollten, weshalb sie nicht über die Traumwelt zurückgegangen waren. In diesem Fall blieb das Herz stehen. Aber bei mir war es anders. Ich war nie eingeschlafen. Wieso also sollte ich nun wirklich hier sein?
„Wie kann ich hier sein, wenn ich nie geschlafen habe?", fragte ich verwirrt.
„Du hast den direkten Sprung geschafft. Wir wussten nicht, dass es auch so funktioniert. Der Trank wurde schließlich nicht allzu oft verwendet. Also bitte geh zurück, Welpe. Versorge deine Wunden und komme wieder her. Über den sicheren Weg. Ich bleibe hier und warte auf dich."
Ich nickte verunsichert. Auch wenn ich seine Anweisungen unterm Strich befolgen wollte – jetzt, wo Natasha und ich uns gerade gefunden hatten, wollte ich nicht gleich sterben – hatte ich keine Ahnung, wie das funktionieren sollte. Wenn ich aufgrund einer Verletzung hier war, hatte ich nie eine andere Wahl, als zurückzugehen. Tahnea war immer den Sog gefolgt, welcher sie zurück in die Traumwelt gebracht hatte. Doch jetzt war nichts da, was mir den Weg weisen würde. Ich musste alleine zurechtkommen. Irgendwie.
Vielleicht kam ich ja genauso zurück, wie ich hierhergekommen war. Ich hatte die Augen geschlossen und mich ganz fest an den Gedanken geklammert, bei Sirius zu sein. Wenn ich mich jetzt auf die Erde konzentrieren würde, könnte ich vielleicht wieder zurückspringen.
Ich versuchte es. Ich schloss erneut meine Augen und dachte fest an das Haus von Sirius. Wie ich dort vor der Haustür gesessen hatte, zusammengekauert auf der Erde. Wie der Wind leise durch das Blätterdach des Waldes geraschelt hatte.
Doch es half nicht. Ich blieb an Ort und Stelle, während Panik in mir aufstieg. Bei den zwölf Göttern, ich war doch noch siebzehn, es war noch zu früh zum Sterben. Ich hatte doch bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr Zeit, meine leiblichen Eltern und die Nymphenvorgänger aus der Zwischenwelt zu befreien.
Ich sah ängstlich zu meinem Dad, welcher auch ziemlich verwirrt wirkte. Offensichtlich hatte auch er damit gerechnet, dass ich jetzt wieder verschwunden wäre. Oder war ich zu spät? War mein Weg auf die Erde abgeschnitten, weil ich jetzt doch am Rande des Todes stand? Ob mich wohl jemand finden und retten würde?
„Ich weiß nicht, wie ich zurück zur Erde kann", wimmerte ich. Ich würde sterben. Da war ich mir absolut sicher. Das hier wäre mein Todesurteil. Aber wenigstens könnte ich dann bei Sirius bleiben. Wir beiden für immer in der Totenwelt vereint. Vorausgesetzt er wollte das, nachdem Tahnea einen Mordanschlag auf ihn verübt hatte.
„Es ist alles in Ordnung, Patricia", hörte ich in diesem Moment Carolin hinter mir, während ich erschrocken herumwirbelte. Die wunderschöne Brünette war einfach aus dem Nichts aufgetaucht und schritt nun über die Blumenwiese in Sirius und meine Richtung. Die rotgetigerte Katze begleitete sie wie eigentlich immer. Auf dem Weg zu uns sprang sie allerdings mehrfach hoch, um einen Schmetterling zu fangen.
„Marlon hat dich rechtzeitig gefunden. Er hat dir einen Schlaftrank gegeben, welcher dir das Leben gerettet hat. Du kannst später ganz einfach über die Traumwelt zurück zur Erde." Sie ließ sich neben Sirius und mich ins Gras fallen, als wäre nie etwas gewesen. Als hätte ich nie versucht, ihren Ehemann gleich ein zweites Mal zu töten. Anstelle vor mir zu fliehen oder mich wütend anzuschreien, streckte sie ihre Hand nach meinem Gesicht aus und wischte die Tränenspuren weg.
„Sicher, dass alles in Ordnung ist?", kam es misstrauisch von Sirius an seine Frau gerichtet.
„So sicher, wie man sich bei kaum getesteter Nymphenmagie sein kann", stellte Carolin in geduldigen Tonfall fest. „Marlon hat ihr den Schlaftrank verabreicht, ihr Puls normalisierte sich wieder. Alles spricht dafür, dass sie später auf den üblichen Weg zurückkann."
„Dann genießen wir jetzt unsere zwanzig Minuten mit unserem Welpen." Mein Dad ließ sich einfach ins Gras fallen, sodass er in den wunderschönen blauen Himmel sehen konnte. Dabei zog er mich einfach mit und platzierte mich so, dass mein Kopf auf seiner Brust bettete. So wie auch früher immer, wenn ich bei ihm geschlafen hatte.
„Sicher, dass ihr das wollt?", fragte ich ängstlich. „Ich habe versucht, dich ein zweites Mal zu töten."
„Da sprach nur der Fluch aus dir, mein kleiner Welpe. Es war nicht deine Schuld und auch nicht wirklich du", bestimmte mein Dad.
„Es war meine Wut", warf ich ein. So gerne ich auch Tahneas Taten von mir weisen wollte, so wirklich konnte ich es nicht. Sie war ein Teil von mir. Ein besonders wütender und grausamer.
„Du bist viel mehr als deine Wut, Patricia", erklärte mir Carolin, während sie mir von hinten über die Haare strich. „So viel mehr. Das, was Tahnea getan hat, war grauenhaft, aber diese Taten würdest du nie begehen. Ja, du bist wütend auf viele Menschen, die du liebst und die dich lieben. Aber das ist in Ordnung, weil es dich im Normalfall nicht bestimmt.
Wenn du glaubst, es hilft dir, besser mit all dem klarzukommen, wird bestimmt auch Maélys mal mit dir über euren Fluch reden. Sie weiß viel besser, wie es sich anfühlt als wir beide."
„Ich mag nicht noch mehr Gesellschaft haben", murmelte ich beschämt.
„Du musst es nicht heute machen, Patricia. Sie redet bestimmt jederzeit mit dir. Magst du denn Sirius und mich hier haben oder brauchst du etwas Zeit für dich? Oder nur mit deinem Dad?"
Ich schüttelte leicht den Kopf aufgrund der beiden Fragen. Nein, ich wollte niemanden wieder wegschicken. Jetzt gerade wollte ich es einfach genießen, Zeit mit meinem toten Dad und meiner in der Zwischenwelt gefangenen leiblichen Mutter zu verbringen.
Die rote Katze unterbrach ihren verzweifelten Versuch, den Schmetterling zu fangen. Anstelle ihm noch weiter hinterherzuspringen, hüpfte sie auf meinen Vater herauf genau vor meine Nase. Ich wurde kurz beschnüffelt, bevor die Katze mauzend ihren Kopf in die Höhe streckte. Ganz offensichtlich die Aufforderung, man solle ihr doch bitte das Kinn kraulen.
Mein Vater fing aufgrund des Tieres an zu lachen. Sein übliches unbeschwertes bellendes Lachen, bei welchem seine Brust vibrierte. Ich schloss zufrieden die Augen. Das Thema Fluch war zwar von meiner Seite noch nicht abgehakt, aber für heute würde ich es ruhen lassen.
„Ja, Bubblechen, du kriegst auch deine Kuscheleinheit", meinte mein Vater schließlich. Auch wenn ich es nicht sah, war ich mir aufgrund des folgenden glücklichen Schnurrens ziemlich sicher, dass Sirius angefangen hatte, die Katze zu streicheln.
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Hexagramm - Papiertiger
FanfictionDreizehn Nymphen mit dreizehn Kräften und dreizehn Flüchen. Drei Jäger und zehn Gejagte. Sirius, der Lügner; ihre leibliche Familie, die sie nicht genug wollten, um nach ihr zu suchen; der dunkle Lord, der ihr alles nahm - Patricias Wut hat sie noch...