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Robert war wieder zuhause. Dieser Ort, den Christian und er so gerne und häufig geteilt hatten. Hier hatten sie zusammen gelebt und ihre gemeinsame Zeit genossen. Auch wenn sie nicht oft da waren aufgrund ihrer Ämter. Aber es war doch jedes Mal wieder ein kurzer Schock, wenn Robert die Wohnung betrat. Nachdem Christian aus seinem Leben verschwunden war, hatte er häufig darüber nachgedacht, sich eine andere Wohnung zu suchen. Die Erinnerungen an Christian hinter sich zu lassen. Aber das konnte er nicht. Diese Vorstellung fühlte sich falsch an. Noch brauchte er die Erinnerungen an Christian. Und er konnte ihn auch nicht hinter sich lassen.

Also setzte sich Robert auf das Sofa, auf dem Christian und er abends immer wieder so viele Stunden verbracht hatten. Und jetzt saß er dort alleine. Vier Monate schon. Um sich abzulenken nahm sich Robert sein Tablet und schaute sich seine neuesten Benachrichtigungen an. Nicht viel relevantes. Das meiste landete ja eh nicht bei ihm, sondern bei seinen Mitarbeitern. Den Hass, der ihm da sonst immer entgegen schlug, wollte er gar nicht sehen. Er wusste ja genau, dass die Meinungen zu ihm, zu Politikern generell, sehr auseinander gingen. Und nach ihrem Outing hatte sich das alles nochmal intensiviert. Vielleicht war das auch zu viel geworden für Christian. Aber sie waren sich zu dem Zeitpunkt einig, dass sie ihre Beziehung veröffentlichen wollten. Und sie standen beide dahinter. Heute wusste Robert nicht, ob sie damit die falsche Entscheidung getroffen hatten. Er wusste nicht, ob er Christian zu viel zugemutet hatte. Und manchmal fragte er sich, ob ihr Outing vielleicht so viel Hass ausgelöst hat, dass es deshalb jemand auf Christian abgesehen hatte. Aber niemand konnte ihm das sagen. Wahrscheinlich würde Robert niemals Gewissheit haben. Und das ließ ihn immer weiter zerbrechen.

In seinen Mails sah er jedoch eine Einladung, die nicht bei seinen Mitarbeitern gelandet ist. Eine Einladung zum Bundespresseball. Robert musste seufzen. In wenigen Wochen würde dieser anstehen und wie jedes Jahr wurden viele Politikerinnen und Politiker eingeladen. Und er auch. Mal wieder. Es war nicht das erste Mal, dass er diese Einladung erhalten hatte. Letztes Jahr war er erstmals hingegangen. Offiziell ohne Begleitung. Aber zu dem Zeitpunkt war er schon in Christian verliebt. Und er war auch da gewesen. Den ganzen Abend waren sie umeinander geschlichen und hatten miteinander geflirtet. Natürlich unauffällig. Es war ein toller Abend gewesen. Robert erinnerte sich gerne daran. Wäre es nicht so schmerzhaft. Er hatte so vieles mit Christian erlebt. So viel positives. Und jetzt wurde er immer wieder daran erinnert. Und diese Einladung riss wieder einen weiteren Stich in sein Herz. Wer dachte denn ernsthaft, dass er dem zusagen würde?

Es war natürlich eine Konsequenz ihres Outings, dass auch die Öffentlichkeit von Roberts Verlust erfahren hatte. Klar, es war nicht in erster Linie Roberts privates Drama. Immerhin hatte das Land seinen Finanzminister verloren und eine Partei ihren Parteivorsitzenden. Es war ein riesiger Schock in der Berichterstattung vermittelt worden. So hatte es Robert wahrgenommen. Und natürlich hatte er Artikel gelesen, in denen ihre Beziehung nach Christians Verschwinden thematisiert wurde. Er hat die Überschriften noch bildlich vor sich.

Riesiger Verlust für Habeck. Tritt nun auch der Wirtschaftsminister zurück?

Wie macht Habeck nun weiter? In der Öffentlichkeit lässt er sich nichts anmerken.

Was ist mit dem Finanzminister geschehen? FDP, Kabinett und Habeck am Boden zerstört und in tiefer Trauer.

Behörden sehen kaum noch Hoffnung: Finanzminister Lindner nach schwerem Unfall spurlos verschwunden. Was hat Habeck damit zu tun?

Robert hatte es tunlichst vermieden, Aussagen über die Situation zu geben. Es sollte nicht noch mehr spekuliert werden. Auch nicht darüber, was mit  ihm und seinem Amt geschehen würde. Denn natürlich hatte er sich gefragt, wie er ohne Christian politisch weitermachen sollte. Privat war das sowieso die Frage, die über allem schwebte. Alles vereinnahmte. Aber auch politisch war die Frage nicht gerade irrelevant. War die Belastung nicht zu groß, um sein Amt weiterhin zu erfüllen? Wäre es nicht für ihn, seine Gesundheit besser, aufzuhören? Wollte er überhaupt noch etwas mit Politik zu tun haben? Im ersten Moment hätte er die Fragen eindeutig beantworten können. Und nicht pro Politik. Aber dann hatte er sich etwas Zeit gegeben und einige Gespräche geführt und letztlich hatte Annalena ihm gesagt:

"Robert, denkst du Christian würde wollen, dass du jetzt aufhörst? Was würde er wollen?"

Und dann war ihm eigentlich klar, dass er nicht auch noch die Politik, seine Leidenschaft, sein Amt verlieren wollte. Nein, das wollte er nicht. Auch wenn es hart war. Aber man hatte versucht, es ihm leichter zu machen. Der Kanzler hatte ihm sofort angeboten, sich einige Tage oder Wochen eine Auszeit zu nehmen. Und Robert war darüber wirklich dankbar gewesen. Er war einige Tage nach Flensburg gefahren, um bei seiner Familie zu sein. Andrea, die Jungs, seine Eltern. Diese Unterstützung hatte es gebraucht. Sonst wäre Robert zugrunde gegangen. Auch wenn es trotzdem schlimm war.

Dass Robert schon wieder sehr mit den Gedanken woanders gelandet war, merkte er, als sein Handy vibrierte.

Cem
"Hast du auch eine Einladung zum Bundespresseball bekommen? Du wirst nicht hingehen, oder?"

Nein, das könnte er nicht. Das war klar.

"Nein, werde ich nicht. Noch mehr Mitleid von allen Seiten braucht es nun wirklich nicht", antwortete Robert seinem guten Freund und Kollegen. Von dem prompt noch eine Antwort kam.

"So dreist aber auch, dass sie dich vor diese Entscheidung stellen... Anstatt dass die Presse dich endlich in Ruhe lässt. Sag Bescheid, wenn du Unterstützung brauchst. Oder etwas zum Runterkommen ;)"

Robert war froh, dass er Freunde hatte, auf die er zählen konnte. Die ihn von Beginn an unterstützt hatten. Cem war definitiv einer von ihnen. Auch wenn es für alle anderen ebenso ein riesiger Schock war, als die Nachricht über Christians Verschwinden kam. Robert wollte sich gar nicht dran erinnern. Noch nie in seinem Leben hatte er solch schlimme Gefühle erlebt und schmerzhafte Stunden überstehen müssen. Zum Glück war er nicht derjenige gewesen, der die Nachricht weiter vermitteln musste. Der Kanzler und das restliche Kabinett sowie die Parteispitze der FDP hatte es von den Behörden erfahren. Und niemand konnte es so wirklich glauben. Alle waren schockiert. Robert erinnerte sich, wie er in die schockierten, erschütterten Gesichter von Marco Buschmann und Volker Wissing gesehen hatte. Viele FDPler hatten in dem Augenblick einen guten Freund, Kollegen und Chef verloren. Und in gewisser Weise war es für Robert hilfreich, dass andere die selben Schmerzen litten. So schlimm sich das auch anhört. Aber er hat sich so weniger alleine gefühlt. Wie häufig kam es mittlerweile vor, dass er sich mit dem ein oder anderen FDPler auf einen Kaffee in der Mittagspause traf. Das war früher auch undenkbar gewesen. Christian hatte sie jedoch verbunden.

Und selbstverständlich war dann auch in der FDP Hektik ausgebrochen. Sie wussten, dass sie einen neuen Vorsitzenden brauchten. Aber so schnell wollten sie nicht über einen Nachfolger für Christian entscheiden. Deshalb übernahmen zunächst die stellvertretenden Vorsitzenden übergangsweise. Und als neuer Finanzminister wurde Christian Dürr auserkoren, der zuvor Fraktionsvorsitzender war und ein enger Vertrauter von Lindner. Robert betrachtete nur von der Seitenlinie diese Entscheidungen und stellte fest, dass ihm das alles viel zu schnell ging. Es war ja noch nichtmal klar, dass Christian wirklich für immer weg wäre! Dass er es nicht überlebt hat. Aber so funktionierten Parteien nunmal. Er hatte immerhin viele Jahre selber eine Partei geführt. Trotzdem gab es nichtmal eine Trauerfeier für Christian, denn sie konnten sich ja noch nicht sicher sein. Und Robert wollte sich in keinster Weise sicher sein, dass Christian für immer von ihm gegangen ist. Aber doch wurde es mit jedem Tag, an dem Christian nicht wieder zurückkehrte wahrscheinlicher, dass dies der Fall war. Dass er auch nicht mehr wiederkommen würde. Und dieser Gedanke trieb Robert wieder Tränen in die Augen. Wie so oft in den letzten Monaten. Er dachte, irgendwann wäre die Tränenflüssigkeit aufgebraucht. Doch offenbar war es nicht so. Das hatte er schon in den Tagen nach diesem schrecklichen Ereignis festgestellt.


Keine einfache Situation für Robert...

Hatte ich gesagt, dass es hier schnell weitergeht? Jetzt habt ihr zumindest noch etwas mehr Informationen ;) Und keine Sorge, bald kommt auch mehr Handlung in die Story.

Ich hoffe, dass es euch etwas gefällt (wenn nicht, sagt mir das auch gerne) und ihr hier dabei seid.

Danke fürs Lesen!

Zerbrechen - Die Zeit ohne ihn Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt