In der Etage, auf die Robert geschickt wurde, konnte er Martina erkennen. Sie war schon da. Und fiel Robert in die Arme, als sie sich begegneten. Martina liefen Tränen übers Gesicht und Robert musste sich schwer zusammenreißen, um nicht auch wieder zu weinen. Aber irgendwie schaffte er es doch.
"Robert, danke dass du hier bist... Ich bin so froh, dass ich das hier nicht alleine machen muss.", brachte Christians Mutter mit zitternder Stimme hervor.
"Hast du ihn schon gesehen?", fragte Robert und hoffte, dass Martina noch keine negativen Infos hatte.
"Nein, er ist im OP und wird dann erstmal hierher auf die Intensivstation verlegt. Das war das einzige, was mir bisher mitgeteilt wurde. Ich bin aber auch noch nicht lange hier. Und was jetzt eigentlich genau operiert werden muss, weiß ich auch noch nicht."
"Alles klar. Dann warten wir jetzt mal ab. Darin haben wir uns ja in den letzten Monaten wirklich geübt. Das einzige was jetzt doch zählt ist, dass er wieder bei uns sein wird."
Martina nickte und gemeinsam setzten sie sich auf die unbequemen Holzstühle im Flur der Station. Robert hasste die Atmosphäre von Krankenhäusern. Er war froh, dass er nicht häufig in seinem bisherigen Leben eine längere Zeit in solchen verbringen musste. In erster Linie natürlich bei der Geburt seiner Söhne. Aber sonst gab es eigentlich nie einen Grund. Aber in gewisser Weise konnte man jetzt sagen, dass es sich für diesen Grund, nämlich Christian, lohnte in diesem Gebäude zu sitzen. Für Christian lohnte sich wirklich alles. Er würde für ihn wirklich alles auf sich nehmen. So wie Christian es für ihn tun musste. Denn eigentlich sollte es Robert sein, der jetzt im OP liegt. Der die ganzen letzten Monate wahrscheinlich eine unglaubliche Qual durchstehen musste. Aber jetzt war es Christian, der litt. Und mit einem Mal stand eine Ärztin vor ihnen.
"Sie warten sicherlich schon auf Informationen über den Zustand von Herrn Lindner. Wenn sie mir in mein Büro folgen würden, kann ich ihnen mehr erzählen.", erklärte die Frau, deren Namen Robert noch nicht mitbekommen hatte. Aber das war auch nicht relevant. Immerhin ging es jetzt um Christian. Und Robert und Martina waren unfassbar aufgeregt, als sie im Büro der Ärztin saßen. Jetzt gleich würden sie endlich mehr wissen. Die Anspannung war riesig. Robert war wirklich schlecht. Aber dann konzentrierte er sich auf die Stimme der Frau.
"Also Herr Lindner ist jetzt seit etwas mehr als einer Stunde hier. Natürlich haben wir erstmal einige Untersuchungen vorgenommen und Herr Lindner war auch ansprechbar. Vielleicht erstmal zu den Verletzungen. Er muss bei dem Autounfall unter anderem ein Oberschenkelbruch erlitten haben, der nicht verheilt ist. Den mussten wir jetzt operieren. Ansonsten muss er vor kurzem eine Gehirnerschütterung erfahren haben, darauf deutet zumindest alles hin. Dies sind die auffälligsten Verletzungen. Allerdings muss ich sagen, dass sein Körper sehr schwach und naja, verletzt ist. Formuliere ich es mal so."
Robert wusste nicht, was er denken sollte. Er war erleichtert, dass es wohl keine zu schlimmen Verletzungen waren. Klar, Christian musste operiert werden und hatte eine Gehirnerschütterung. Aber nach dem Unfall hätte es ganz anders aussehen können. Die Prognosen hatten sich damals anders angehört. Nicht nur einmal wurde ihm gesagt, dass man diesen Unfall nur schwer überleben kann. Allerdings hörte es sich trotzdem nicht gut an, in welchem Zustand sich Christian befand. Wenn er so schwach war, dann war eine Operation auch nicht ganz ohne. Robert hoffte einfach, dass alles gut vorüber gehen würde. Zumindest den Umständen entsprechend.
"Des Weiteren konnten wir und die Einsatzkräfte, die ihn hierher gebracht haben schon feststellen, dass Herr Lindner vor allem psychisch auch sehr angeschlagen ist. Er hat kaum gesprochen, obwohl er eindeutig ansprechbar war. Wir raten Ihnen dringend dazu, einen Psychologen am besten hier im Krankenhaus schon zu Rate zu ziehen. Und sie sollten behutsam mit Herrn Lindner umgehen. Wir wollen auf jeden Fall vermeiden, dass sich durch mentale Belastung seine körperliche Situation verschlechtert."
Robert nickte nur, war ihm das doch eigentlich klar. Es war klar, dass es Christian psychisch nicht gut geht. Er musste sicherlich viel durchstehen in den letzten Monaten. Robert wollte es sich gar nicht ausmalen. Er wollte nicht wahrhaben, dass Christian, den Mann den er so sehr liebt, so leiden musste. Wegen ihm. Er hätte leiden sollen. Nicht Christian. Das war längst klar. Aber jetzt konnte er Christian dieses Leid nicht mehr nehmen. Er konnte nur versuchen, für ihn da zu sein, wenn er ihn brauchte. Und das wäre hoffentlich bald.
"Gut, dann können sie jetzt warten, bis Herr Lindner aus dem OP verlegt wird, auch wenn er sicherlich einige Zeit noch nicht ansprechbar sein wird. Aber sie können dann zu ihm in das Zimmer und dort warten. Aber wie gesagt, achten sie darauf, wie Herr Lindner reagiert und seien sie behutsam mit ihm. Selbstverständlich stehen wir alle ihnen hier zur Seite."
"Können sie schon abschätzen, wie lange er hier bleiben muss?", fragte Martina bedrückt. Robert merkte, wie sehr es sie mitnahm. Auch wenn sie doch sonst immer so optimistisch war. Aber jetzt war sie ihrem Sohn so nahe, da musste man ihre Situation einfach verstehen.
"Leider noch nicht. Wir müssen abwarten, wie gut sein Bein verheilt und wie sich seine Gesamtsituation entwickelt. Aber ich kann denke ich schon sagen, dass es sicherlich etwas Zeit in Anspruch nehmen wird."
Damit war das Gespräch fürs Erste beendet und Robert und Martina saßen wieder auf dem Flur und warteten. Anscheinend konnte man Christian gleich doch auf ein normales Zimmer hier auf der Station verlegen. Das war eine gute Nachricht. Aber noch war die Operation nicht vorbei. Robert wurde langsam aber sicher ungeduldig. Aber er wollte noch einen kurzen Moment für sich sein. Alleine mit seinen Gedanken.
"Martina, ich gehe noch einen kurzen Moment an die frische Luft. Wenn sie mit der OP fertig sein sollten, dann geh ruhig direkt zu Christian, ich werde dann irgendwann nachkommen. Du solltest immerhin auch einen Moment alleine mit ihm sein können."
Robert hatte festgestellt, dass es einen kleinen Innenhof für die Besucher des Krankenhauses gab. Und da es schon relativ spät Abends war, war Robert dort vollkommen alleine. Alleine mit sich und seinen Gedanken. Die ganzen letzten Monate hatte er sich alleine gefühlt. Ja, jeder hatte versucht ihn zu unterstützen. Aber doch konnte ihm niemand das geben, was Christian ihm geben kann. Ein Gefühl der Vollkommenheit. Das Gefühl, dass er nicht alleine ist. Egal was passiert. Selbst als Christian nicht da war, war er doch so präsent, dass Robert immer genau wusste, was ihn fehlte. Und jetzt war Christian wieder da. Es war so unrealistisch. Er konnte es nicht glauben. Nicht, solange er Christian nicht wahrhaftig vor sich hatte. Es war wie in einem Traum. Eine Situation, auf die er Monate gewartet hatte. Sehnsüchtig gewartet hatte. Und in manchen Momenten die Hoffnung schon aufgegeben hatte. Aber jetzt wusste er, dass es richtig war, nicht aufgegeben zu haben. Beide hatten nicht aufgeben. Robert spürte die kalte Luft mittlerweile in seinem ganzen Körper. Aber es ließ ihn klar denken. Ihn sich auf das wesentliche konzentrieren. Und irgendwie fühlte er sich noch nicht bereit für den kommenden Moment. Er hatte Angst, dass er etwas falsch machte. Dass Christian ihn vielleicht gar nicht sehen wollte. Das wäre wohl das schlimmste, was passieren könnte. Ein schmerzhafterer Stich ins Herz, als alle Momente zuvor. Doch es half nichts.
Robert befand sich wieder auf besagtem Flur und ließ sich den Weg zu Christians Zimmer zeigen. Denn Martina war nicht mehr da. Christian war raus aus dem OP. In wenigen Sekunden würde er ihn sehen. Den Mann, den er so sehr liebt. Der ihm den Kopf verdreht hat. Den er so sehr vermisst hat.
Mit einem Mal blieb die Krankenschwester stehen und Robert musste tief durchatmen. Sie standen vor der Tür und er musste sich überwinden, diese zu öffnen. Er hatte Angst, Christian zu sehen. Er hatte Angst, dass er ihn nicht wiedererkennen würde. Aber dann traute er sich doch. Und es verschlug ihm die Sprache. Martina schaute mit getöteten Augen auf, hielt jedoch weiter die Hand ihres Sohnes fest und nickte Robert zu. Er blieb allerdings in der Tür stehen. Es war ein zu großer Schock. Da lag Christian. Total bleich im Gesicht, überall blaue Flecken und Narben und viel zu mager. Es war ein schrecklicher Anblick, der Robert dazu brachte, in Tränen auszubrechen. Zum Glück konnte Christian es nicht wahrnehmen, denn seine Augen waren noch fest geschlossen. Und Martina schaute immer noch abwartend zu Robert.
Ich dachte, vielleicht freut sich der ein oder andere noch über ein Kapitel heute Abend :)
Zumindest ich konnte noch ein wenig Ablenkung gebrauchen und hoffe sehr, dass es euch gefällt!Bis zum nächsten Mal ;)
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Zerbrechen - Die Zeit ohne ihn
Fanfiction! TW Verlust, Trauer! 4 Monate waren vergangen. Seitdem ist Christian aus Roberts Leben verschwunden. Spurlos. Roberts Leben ist nicht mehr dasselbe, wie zuvor. Er spürte Schmerzen, die er sich nie hätte ausmalen können. Und über allem schwebt die...