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Gemeinsam mit Martina saß Robert in seiner Wohnung. Es waren schon wieder einige Stunden vergangen. Immer wieder wurden sie auf dem Laufenden gehalten. So wussten sie zumindest, dass die ersten Einsätze an der Tschechischen Grenze stattfanden. Aber da es bald dunkel werden würde, würde wahrscheinlich auch an diesem Tag nichts neues mehr herausgefunden. Eine etwas ernüchternde Nachricht, die allerdings erwartbar war. Und so saßen die beiden nun am Esstisch und hingen ihren Gedanken nach. Robert war immer noch bei dem Gespräch mit diesem Typen, dessen Namen er nichtmal kannte. Er sollte an Christians Stelle sein. Und er wusste, dass er es Martina erzählen musste. Er konnte ihr nicht weiter in die Augen blicken, ohne sich nicht schuldig zu fühlen. Sie muss wissen, was geschehen ist. Immerhin war Christian ihr Sohn. Und sie war nicht minder verzweifelt im Vergleich zu Robert.

"Martina, ich muss dir noch etwas aus dem Gespräch erzählen...", brachte er unsicher hervor und schaute nicht auf. Er wollte gar nicht sehen, wie sich Christians Mutter fühlte.

"Was denn? Gab es noch etwas relevantes?", fragte sie neugierig.

"Ja, ich denke schon. Ich konnte es dir vorhin noch nicht sagen, ich habe es nicht übers Herz gebracht. Und ich weiß, dass es nicht einfach wird. Aber es bringt nichts, es vor dir zu verheimlichen."

Robert konnte noch nicht weitersprechen. Er musste noch einmal gedanklich durchgehen, wie die Situation nicht eskalieren würde. Welche Worte er wählen sollte.

"Also gut. Dieser Mann hat mir erklärt, dass es nicht Christian treffen sollte. Dieser Anschlag sollte nicht ihm gelten, sondern mir. Christian hätte nicht verschwinden sollen, sondern ich. Aber irgendwie ist er dahinter gekommen und deshalb haben sie dann ihn genommen. Martina, bitte glaub mir, es tut mir so Leid. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass Christian jetzt hier sitzen könnte. Und nicht ich. Es hätte ihn nicht treffen dürfen."

Robert standen mal wieder Tränen in den Augen. All die Emotionen, die sich den Tag über aufgetaut hatten, kamen gerade auf. Martina starrte ihn sprachlos an. Mit einem Gesichtsausdruck, den Robert nicht deuten konnte. Als er allerdings sein Gesicht hinter seinen Händen verbarg, damit sie seine Tränen nicht sehen konnte, da streckte sie ihre Hand aus und legte sie behutsam auf seinen Arm. Überrascht schaute Robert auf und sah, wie Martinas Augen ebenfalls glänzten. Aber sie schien nicht wütend zu sein. Nein, sie schien vielmehr das nachvollziehen zu können, was Robert gerade fühlte.

"Robert, du kannst nichts dafür. Ich weiß, dass es für dich genauso schrecklich ist wie für mich. Und es war eure gemeinsame Entscheidung, die Beziehung zu veröffentlichen. Wenn dieser Anschlag daraufhin ausgelöst wurde, dann ist es nicht deine Schuld. Ihr habt eine gemeinsame Entscheidung getroffen. Und wäre Christian jetzt hier und in deiner Situation, dann würde er genau das selbe sagen, was du auch sagst. Er würde sich wünschen, an deiner Stelle zu sein. Ich kann es dir nicht verübeln, Robert. Es war klar, dass es kritisch ist mit eurer Sicherheit, wenn ihr euch angreifbar macht. Du musst es dir nicht vorwerfen."

Und wieder einmal bewunderte Robert die Stärke dieser Frau. Martina ließ sich nichtmal durch diese Nachricht verunsichern. Sie ließ es nicht zu, dass es einen Keil zwischen sie trieb. Und Robert fand es höchst erstaunlich. Er hätte sicherlich anders reagiert. Aber er war auch nicht so kontrolliert. Und zu emotional.

"Danke, Martina. Wirklich. Ohne deinen Zuspruch wüsste ich nicht, wie ich das hier noch bestehen sollte.", seufzte Robert und schaute dankbar zu Christians Mutter herüber.

"Hoffentlich ist es bald vorbei. Und Christian ist wieder bei uns. Und dann musst du dir keine Vorwürfe mehr machen."

"Ja, ich hoffe es. Aber ich glaube, dass wir uns nicht zu sicher sein sollten, dass es so einfach wird. Es ist schon richtig, dass wir uns ein wenig vorbereiten sollten auf das, was passieren könnte. Was, wenn Christian es nicht geschafft hat?", fragte der Wirtschaftsminister und wollte eigentlich nicht länger drüber nachdenken. Aber es war nun unausweichlich. Sie mussten darüber reden. Vielleicht dauerte es nur noch einige Stunden, bis sie endlich Klarheit hatten. Auch wenn dieser Zeitrahmen eher unrealistisch war. Aber möglich war es.

"Dann haben wir zumindest Gewissheit und können abschließen. Auch wenn es unfassbar schwer wäre. Und niemand das wollen kann. Ich will Christian doch nur endlich wieder in meine Arme schließen. Und ihn bei dir glücklich wissen.", erwiderte Martina unglücklich.

"Ich schaffe es nicht ohne Christian. Die letzten Monate waren schrecklich. Ich kann nicht noch länger ohne ihn leben. Wenn er es nicht geschafft hat, dann schaffe ich es so auch nicht mehr. Dann muss ich auch etwas ändern und raus hier. Dann kann ich so nicht mehr weitermachen."

Robert war mittlerweile klar, dass er eine solche Hiobsbotschaft nicht noch einmal ohne weiteres wegstecken würde. Er bräuchte Zeit. Abstand. Hilfe. Und dann könnte er wahrscheinlich seinen Beruf nicht mehr ausüben. Ihm war mittlerweile klar geworden, dass er nicht mehr in der Politik tätig sein könnte, wenn Christian nicht überlebt hat. Dann würde er in ein noch größeres Loch fallen, als direkt nach seinem Verschwinden. Und das war schon einer der schrecklichsten Momente, an die er sich erinnern konnte. Er wollte solch einen Moment nicht noch einmal erleben müssen.

Throwback

Als es an Roberts Tür klingelte, fragte er sich, ob Christian etwa seinen Schlüssel vergessen hatte. Warum sonst sollte er klingeln?! Und sonst erwartete Robert niemanden. Es war auch immerhin schon etwas später. Deshalb war Robert auch schon zuhause. Und freute sich nur darauf, dass Christian endlich zu ihm kam. Er vermisste ihn einfach schon nach wenigen Stunden, in denen sie sich nicht gesehen hatten. Robert stand also auf und machte mit einem kleinen Lächeln im Gesicht die Türe auf. Aber wen er dort sah, ließ ihn verwirrt und bedrückt zurück. Vor ihm standen zwei Polizisten.

"Herr Habeck, wir sind von der Einsatzstelle Berlin Mitte. Könnten wir einen Moment rein kommen? Wir müssen etwas mit ihnen besprechen und das am besten nicht zwischen Tür und Angel."

Mit einem schlechten Gefühl im Magen ließ sich Robert die Ausweise der beiden Beamten zeigen und ließ sie dann in seine Wohnung. Die Situation bereitete ihm Angst. Was war passiert? Etwas ernsthaftes? Oder ging es mal wieder nur um Anzeigen, die er gegen Beleidigungen erstattet hatte?

"Weshalb sind sie hier? Kann ich ihnen irgendwie weiterhelfen?", fragte Robert verunsichert und hatte Angst vor der Antwort. War etwas mit seinen Söhnen? Er hatte sie jetzt schon länger nicht gesehen. Hatte er etwas verpasst?

"Nein, im ersten Moment nicht... Es geht um Herrn Lindner. Wir müssen ihnen leider mitteilen, dass er Heute in einem Autounfall verwickelt war. Er muss wohl mit seinem Porsche gefahren sein und ist dann frontal mit einem anderen PKW kollidiert."

"Was?! Wo ist er?", rief Robert beinahe panisch. Nein, nicht Christian! Ihm durfte nichts passiert sein. Nicht Christian. Robert lief es eiskalt den Rücken runter.

"Da liegt das Problem. An der Unfallstelle gibt es keinen Hinweis auf sein Verbleiben. Er war nicht mehr dort, als unsere Kollegen eintrafen. Ebenso wie das andere Fahrzeug, was in dem Unfall verwickelt war. Wir gehen also von Fahrerflucht aus."

Robert konnte es nicht glauben. Christian hatte einen Unfall. Aber wo war er? Wie konnte er denn nicht mehr an der Unfallstelle sein? Wie verdammt nochmal sollte das funktionieren? Und wieso war er nicht einfach hier bei ihm? Robert schossen Tausend Gedanken durch den Kopf. Und seine Sorge um Christian wuchs mit jeder Sekunde.

"Wir müssen noch dazu sagen, dass das Auto von Herrn Lindner sehr zerstört ist. Auf den ersten Blick haben unsere Einsatzkräfte der Feuerwehr nicht fassen können, dass ein Mensch dort heraus gekommen sein kann. Also müssen wir ihnen leider sagen, dass wir in dem Moment davon ausgehen, dass Herr Lindner massive Verletzungen davon getragen hat."

Robert standen Tränen in den Augen. Er wollte sich nicht schwach zeigen vor den Beamten. Aber mit einem Mal lief das Wasser nur so aus seinen Augen. Verdammt, das durfte doch nicht wahr sein! Warum? Warum war Christian das passiert? Ihm durfte nichts passiert sein. Er liebte diesen Mann doch so sehr. Und er brauchte ihn. Jetzt, in diesem Moment. Und eigentlich immer. Ein Schluchzen durchfuhr Robert und er konnte noch wahrnehmen, wie die Beamten ihm mitleidige Blicke zu warfen. Und dann wurde ihm schwarz vor Augen. Doch das einzige, woran er denken konnte, war Christian. Und er hoffte, dass er gleich nur aus einem Albtraum erwachen würde. Und Christian neben ihm liegen wird und ihn beruhigen kann. Dass er immer noch für ihn da war.



Ich wünsche euch einen schönen Abend und hoffe, dass euch das Kapitel und die Story bisher gefällt!

Zerbrechen - Die Zeit ohne ihn Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt