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Morgen stand der Parteitag der FDP an. Und Robert saß mal wieder beim BKA. Eigentlich würde er lieber seine Rede vorbereiten, aber er wurde kurzfristig angerufen. Und jetzt saß er unfassbar nervös in dem Büro, in dem er schon so oft gesessen hatte. Noch hatte er keine Informationen bekommen, weshalb er kommen sollte. Nur wusste er, dass Christians Eltern auch bald dort eintreffen sollten. Sie waren ja sowieso für den Parteitag angereist. Aber Roberts Gedanken spielten verrückt. Was würde ihm jetzt mitgeteilt werden? Gab es neue Infos? Das musste es ja sein! Sonst hätte man ihn ja wohl kaum hierher bestellt. Hoffentlich waren es gute Neuigkeiten. Auf eine Hiobsbotschaft war er nicht vorbereitet. In keinster Weise. Aber was, wenn Roberts Hoffnung in den nächsten Minuten wortwörtlich sterben würde? Was dann? Das durfte einfach nicht sein. Hoffentlich waren es gute Neuigkeiten.

"Herr Habeck, gut, dass sie da sind. Es gibt neue Informationen."

"Was für Informationen?", unterbrach Robert den Beamten ungeduldig. Es war schon klar, dass er nicht grundlos hergekommen war. Warum dann nicht einfach mit der Sprache raus rücken?

"Sie sind sowohl positiv als auch negativ. Unsere Ermittler haben einen anonymen Hinweis erhalten, dass es eine Gruppe geben könnte, die einen Anschlag auf Herrn Lindner geplant haben. Wir vermuten, dass dieser anonyme Hinweis direkt aus dieser Gruppe erfolgt ist. Allerdings gibt es bisher keine endgültige Verifizierung, dass diese Information tatsächlich stimmt. Trotzdem ist das natürlich ein einschneidender Hinweis. Allein der Hinweis ermöglicht es uns, dass unsere Sicherheitsbehörden noch einmal deutlich mehr nachforschen können. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir bald mehr wissen. Aber tatsächlich müssen wir momentan davon ausgehen, dass jemand Herrn Lindner bewusst etwas antun wollte. Das ist nun offiziell der Stand der Ermittlungen. Und jetzt kann ich Ihnen zumindest dahingehend etwas Hoffnung machen, dass wir bald mehr über den Verbleib von Herrn Lindner erfahren werden."

Wortlos schaute Robert auf den Boden. Er hatte sich so etwas denken können, nachdem er wusste, dass Christian nicht freiwillig verschwunden war. Aber es jetzt zu hören, das war nochmal eine andere Nummer. Robert fand in diesem Moment keine Worte und starrte den anderen Mann nur an.

"Es wird nun so weitergehen, dass insbesondere ihr eigener Sicherheitsschutz noch einmal erhöht wird. Wenn es wirklich ein bewusster Anschlag auf Herrn Lindner war, dann müssen wir davon ausgehen, dass es dabei nicht bleiben wird. Abgesehen davon werden wir die Mitglieder dieser Gruppe so schnell wie möglich ausfindig machen, um den Hinweis bestätigen zu können, oder aber auch nicht. Und alles weitere wird sich dann ergeben. Vielleicht werden wir Herrn Lindner finden."

"Danke. Kann ich irgendetwas tun?", fragte Robert mit dünner Stimme. Er wusste noch gar nicht, was er denken sollte. Und seine Gefühle waren sowieso komplett durcheinander.

"Das einzige, was relevant ist, dass sie bitte mit niemandem über diese Informationen sprechen. Es ist wichtig, dass unsere Beamten unerkannt arbeiten können und das geht durch eine größere Öffentlichkeit verloren. Also bitte behalten sie die Neuigkeiten erstmal für sie selbst. Und nehmen sie ihre Sicherheit ebenfalls ernst, wir können nicht davon ausgehen, dass es bei einem Anschlag, sollte es denn bestätigt werden, bleibt."

Robert nickte nur und durfte dann noch einen Moment in dem Büro sitzen bleiben. Sonst hätten sicherlich auch seine Beine unter ihm nachgegeben. Es war immerhin gerade viel passiert. Ein Anschlag auf Christian?! Hatten die konservativen, radikalen, rechten Menschen es nicht viel mehr auf ihn abgesehen, als auf Christian? Er wusste doch genau, dass man bei den Grünen immer noch mehr Hass erwarten musste. Vielleicht waren es aber auch ganz andere Menschen. Aber allein der Gedanke, dass jemand Christian etwas angetan haben könnte, ließ sein Herz verkrampfen. Er wollte doch in keinem Fall, dass es Christian schlecht ging. Er hatte es nicht verdient. Warum hatte man nicht einfach ihn stattdessen genommen? Warum nur Christian?

Aber er musste sich wieder daran erinnern, dass es noch nicht bestätigt war. Noch war es ungewiss, dass es tatsächlich so war. Dass jemand seinem Christian etwas getan hatte. Und jetzt durfte Robert nichtmal mit irgendwem darüber sprechen. Und Christians Eltern würde er erst Morgen beim Parteitag sehen. Sie waren wohl die einzigen, mit denen er reden könnte. Immerhin würden sie auch diese Informationen bekommen. Aber ansonsten musste er mit dieser Situation nun alleine klar kommen. Auch wenn ihm das gerade äußerst schwer fiel. Trotzdem versuchte er langsam aufzustehen und ließ sich dann selbstverständlich bis zu ihm nach Hause begleiten. Es war schon Abends und er musste noch die Rede für den nächsten Tag vorbereiten. Am liebsten würde er bei diesem Parteitag doch nicht mehr auftauchen. Nachdem er diese neuen Informationen erhalten hatte. Er durfte sich auf jeden Fall nichts anmerken lassen.

Diese ganze Situation erinnerte ihn absurderweise an den Tag, bevor der russische Angriffskrieg auf die Ukraine stattfand. Dort saß er Abends in einer Talkshow und hatte kurz zuvor erfahren, dass der Krieg am folgenden Tag starten würde. Und diese Information konnte und durfte er selbstverständlich mit niemandem teilen. Damals wurde er mit solch einer einschneidenden, schrecklichen Information alleine gelassen. Am heutigen Tag fühlte es sich kaum anders an. Nur ging es dieses Mal um Christian.

Mit einem Zettel und einem Stift saß Robert an seinem Schreibtisch und strich jedes Wort gefühlt dreimal wieder durch, bevor es ihm ansatzweise gefiel. Seine Gedanken waren nicht bei der Rede Morgen, sie waren bei Christian. Wo auch immer er gerade war. Ob er noch lebte oder auch nicht. Christian war so präsent in Roberts Gedanken, weil er sich Vorwürfe machte. Wieso hatten diese Menschen wohl einen Anschlag geplant? Robert war sich fast sicher, dass nur das Outing infrage kam. Christian war nicht das große Feindbild der Gesellschaft, wenn dann eher von linksorientierten Menschen. Und Robert ging nicht davon aus, dass solche hinter dieser ganzen Sache stecken würden. Aber ihr Outing hatte natürlich besonders in rechten Kreisen für sehr viel Empörung gesorgt. Das hatten sie mitbekommen. War auch nicht wirklich verwunderlich. Aber Robert machte sich den Vorwurf, dass es ohne ihr Outing vielleicht gar nicht so weit gekommen wäre. Vielleicht hätten die Menschen nicht solch einen Hass entwickelt, hätten sie einfach weiter daran glauben können, dass Robert und Christian glücklich mit ihren Frauen verheiratet sind. Zumindest hatten ihre Beziehungen zu dem Zeitpunkt, als sie noch verheiratet waren, kaum eine Rolle in der Öffentlichkeit gespielt. Naja, zumindest bei Robert. Nach ihrem Outing war das natürlich vollkommen anders. Allein die Medien hatten tagelang über sie berichtet. Robert erinnerte sich immer wieder an gewisse Schlagzeilen, die er sich angeschaut hatte.

Habeck und Lindner: Äffare um die beiden Minister. Sofortiger Rauswurf ist JETZT geboten!

Outing von Christian Lindner und Robert Habeck: Geht's der Regierung eigentlich noch gut?!

Unfassbares Geständnis, was Habeck und Lindner ablegen. Jegliches Vertrauen in der Bevölkerung damit verspielt!

Rücktritt ist die einzig logische Konsequenz! Wirtschafts- und Finanzminister outen sich.

Klar, diese Überschriften hatten sich in Roberts Gedächtnis gebrannt. Natürlich gab es auch andere Berichterstattung, nicht nur Hass und Hetze, wie man es von bestimmten Medien gewohnt war. Aber es zeigte Robert nur, dass Worte irgendwann in Taten mündeten. Dieser Hass hatte sicherlich den Hass gegenüber ihm und Christian in der Gesellschaft befeuert und bestärkt. Und es war längst nachgewiesen, dass solch ein Hass letztlich in Gewalt enden kann. Und scheinbar war es so geschehen. Nichts anderes konnte sich Robert momentan vorstellen. Es gab für ihn einfach keine logische, andere Erklärung. Christian war doch sonst keine Hassfigur. Warum hätte man ihm sonst etwas tun sollen, wenn nicht wegen des Outings?

Frustriert starrte Robert wieder auf den Zettel vor ihm. Vielleicht sollte er die Rede am kommenden Tag frei halten, ohne Vorgaben, ohne Notizen. Das hatte er schon so häufig getan und mochte es auch eigentlich gerne. Aber dann dürfte er sich kein falsches Wort erlauben. Das war es ihm jedoch wert. Er könnte jetzt keine Rede mehr schreiben. Nicht nach den Informationen, die er an diesem Tag erhalten hatte.


Vielleicht habt ihr es geahnt ;) Was sagt ihr zu den neuen Informationen?

Ich danke euch fürs Lesen!

Zerbrechen - Die Zeit ohne ihn Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt