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"Drei Mal hat mich diese anonyme Nummer angerufen und das auf meinem privaten Handy, was eigentlich nicht vorkommen sollte. Das beunruhigt mich etwas.", erklärte Robert, bevor er dem Mann, mit dem er nun schon allzu oft Kontakt gehabt hatte, sein Handy herüber schob. Mit gerunzelter Stirn starrte Herr Müller auf die Anrufe, die keine Auskunft darüber gaben, wer Robert da überhaupt kontaktiert hatte.

"Das müssen wir an unsere IT-Experten weitergeben, so kann man dazu nicht wirklich etwas sagen. Aber gut, dass sie uns darüber informiert haben. Es könnte ein Hinweis auf das Verbleiben von Herrn Lindner sein.", antwortete der Mann und behielt Roberts Handy. Zum Glück hatte er ja noch ein anderes. Und er hoffte wirklich, dass diese Anrufe einen Hinweis geben könnten. Sonst wäre dieser Weg zum BKA mal wieder umsonst gewesen. Und das war nun schon wirklich allzu oft vorgekommen. Bevor Robert das Büro verließ, drehte er sich noch einmal um.

"Denken Sie, dass es noch Hoffnung gibt?", diese Frage stellte Robert so oft, aber dieser Herr Müller wollte sie ihm meistens nicht beantworten. Wahrscheinlich hatte er die Anweisung von wem auch immer bekommen. Vielleicht sollte er Robert auch einfach nicht vor den Kopf stoßen. Vielleicht wusste er es aber auch einfach nicht.

"Ich würde mich an ihrer Stelle nicht an diese Hoffnung klammern. Vielleicht werden wir herausfinden, was mit Herrn Lindner passiert ist, aber das ist nunmal keine Bedingung dafür, dass er unversehrt gefunden werden kann. In anderen Vermisstenfällen hätte man ihnen längst gesagt, dass sie keine Hoffnung mehr haben sollten, so hart sich das auch anhört. Aber wir setzen selbstverständlich trotzdem alles daran, dass Herr Lindner unversehrt gefunden wird."

Wortlos verließ Robert den Raum und musste erst einen kurzen Moment durchatmen, bevor er mit seinem Sicherheitspersonal dieses Gebäude verlassen konnte. Es fühlte sich an wie ein heftiger Schlag ins Gesicht. Der Leiter der Ermittlungen hatte ihm gerade gesagt, dass er keine Hoffnung mehr haben sollte. Klar, das hatte er schon oft gehört, aber es war trotzdem ein Schlag. Worauf er auch nicht wirklich vorbereitet war. Doch dieses Mal wollte er sich zusammenreißen und schaffte es mit einem bedrückten Gesichtsausdruck in das Auto, was auf ihn wartete. Es sollte jetzt kurzfristig in den Bundestag gehen. Er wollte heute mal zumindest einige Zeit auf der Regierungsbank sitzen, um etwas Präsenz zu zeigen. Das schadete nie. Im Auto schrieb er Annalena noch schnell eine Nachricht.

Robert
"Annalena, bist du schon im Reichstag? Treffen wir uns in der Mittagspause? Es gibt etwas zu berichten."

Annalena
"Sorry, bin heute kurzfristig im Kanzleramt und dann in meinem Ministerium. Soll ich heute Abend vorbei kommen und wir sprechen bei einem Glas Rotwein?"

Robert
"Klar, sag mir einfach Bescheid, wenn du soweit bist. Bis heute Abend!"

Wenigstens etwas positives. Annalena schaffte sich immer so gut es möglich war Zeit für ihn. Das wusste Robert wirklich sehr zu schätzen. Und an dem heutigen Tag brauchte er auch wirklich jemanden zum Reden. Annalena war da einfach die erste Ansprechpartnerin. Zumindest solange er hier in Berlin war. Aber so hatte er den Tag über wenigstens noch einen positiven Gedanken, wenn er an den kommenden Abend mit Annalena dachte. Denn als er den Reichstag betrat, schossen mal wieder tausende Erinnerungen in seinen Kopf. So oft waren Christian und er gemeinsam dort gewesen. Aber er sollte diesen Gedanken schnell vergessen. Es half ja nichts. Und er musste sich hier wirklich souverän zeigen. Trotzdem lief er noch schnell in sein Büro, um einen kurzen Moment runter zu kommen, bevor er in den Plenarsaal gehen würde. Zum Glück musste er wenigstens keine Rede halten, nur zuhören. Denn konzentrierte Reden zu halten fiel ihm immer schwerer. Hätte man ihm das vor zwei Jahren gesagt, hätte er die Person wohl nur ausgelacht. Reden war doch eine seiner größten Stärken. Aber alles änderte sich wohl.

Nach einigen Minuten machte sich Robert wieder auf den Weg zum Plenarsaal. Es half ja alles nicht. Er konnte sich nicht ewig in irgendwelchen Büros verstecken. Auf der Regierungsbank setzte er sich neben Christian Dürr, der die Arbeit als Finanzminister übernommen hatte. So richtig umgehen konnte Robert damit nicht. Trotzdem begrüßte er den Liberalen. Der sich auch wirklich bemühte, die Situation nicht so unangenehm für Robert zu machen. Und Robert durfte auch nicht vergessen, dass Dürr genauso einen Verlust erlitten hatte und dass auch die Situation für ihn beileibe keine einfache war. Wie musste man sich wohl fühlen, wenn man die Aufgaben eines guten Freundes und Kollegen übernehmen musste, der vielleicht nie mehr wieder kam? Daran musste sich Robert immer wieder erinnern, wenn er Dürr begegnete. Der konnte ja auch nichts für die Situation.

Irgendwann kam auch Marco Buschmann dazu, dessen Rede Robert intensiver verfolgte. Mit Marco verstand er sich mittlerweile wirklich gut. Sie hatten sich in den letzten Monaten gegenseitig unterstützt, denn auch Marco ging es sichtlich schlecht mit der Situation. Und nach seiner Rede ging er kurz auf Robert zu.

"Robert, bist du gleich noch hier? Würdest du kurz in mein Büro kommen?", fragte der Liberale schnell und Robert nickte einfach. Etwas Zeit würde er haben, bevor er weiterarbeiten sollte. Also folgte er Buschmann, der nach seiner Rede dann ziemlich schnell den Plenarsaal verlassen hatte. Und genug Reden hatte Robert nun auch gehört. Wie automatisch lief er den Weg durch die Gänge des Reichstags zu dem Büro des Justizministers. Der Weg war mittlerweile in seinem Kopf fest verankert, auch wenn man sich im Reichstag und den angrenzenden Gebäuden wirklich leicht verlaufen konnte. Das war zu Beginn der Legislaturperiode, als er neu in dem Betrieb hier war, auch das ein oder andere Mal vorgekommen. Umso praktischer war es, dass Christian sein Büro auf dem selben Flur wie er hatte. Das übrigens mittlerweile leer stand.

"Marco, danke für den Kaffee. Den kann ich wirklich gebrauchen. Gibt's was?", fragte Robert, als er endlich dem Liberalen gegenüber saß, der ihm schon eine Tasse Kaffee bereit gestellt hatte.

"Ja tatsächlich. Ich habe da ein Anliegen an dich. Du weißt ja wahrscheinlich, dass wir in zwei Wochen unseren Parteitag hier in Berlin haben. Und der Vorstand unserer Partei hatte den Wunsch, dass wir den ersten Tag des Parteitages in Gedenken an Christian nutzen. Ich weiß, ich weiß, du gibst die Hoffnung nicht auf, dass Christian wieder zu uns zurückkehrt. Aber unabhängig davon haben wir entschieden, dass wir bei dem Parteitag nicht einfach über das Geschehene hinweg gehen können. Wir wollen die ganze Sache nicht einfach im Raum stehen lassen, sondern Christian würdig ehren für das, was er für diese Partei geleistet hat. Und wir hatten überlegt, dass wir dich gerne als Gast einladen möchten. Und wenn du das möchtest, selbstverständlich auch eine Rede halten darfst. Das wollte ich dich fragen. Auch wenn ich natürlich weiß, dass das keinesfalls einfach wäre."

Robert musste schlucken. Er hatte nie dran denken wollen, dass eines Tages solch ein Gedenken, solch ein Abschied stattfinden sollte. Denn das war endgültig. Aber gleichzeitig verstand er, dass man der Trauer einen Raum geben musste. Das tat er ja auch. Und Christian hatte sich so verdient gemacht für seine Partei, dass man dieser nicht verbieten sollte, zu trauern. Aber anwesend zu sein wäre sicherlich nicht einfach. Und ob es akzeptiert würde, wenn er dabei wäre, da war sich Robert auch nicht gerade sicher. Er hatte immer wieder den Eindruck gehabt, dass die Liberalen keinen allzu toleranten Umgang mit der Beziehung von ihm und Christian hatte. Auch wenn sein Freund das immer bestritten hatte. Aber diese Veranstaltung ohne ihn vergehen zu lassen?

"Nein, es wäre nicht einfach. Und ich kann da gerade ehrlich gesagt gar nichts zu sagen. Generell ob ich es für richtig halte, dass ihr das machen wollt oder nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich müsste auch erst einmal schauen, ob ich da schon einen Termin habe. Aber ich würde dich darum bitten, mir einen Tag Bedenkzeit zu geben. Ich kann da gerade keine Entscheidung treffen."

"Natürlich, das habe ich mir schon gedacht. Melde dich dann einfach nochmal bei mir, dann kann ich das weitergeben und wenn du möchtest dir die nötige Redezeit ermöglichen. Und denk dran, wir akzeptieren alle deine Entscheidung, wir wollten dich nur nicht übergehen. Und an dem Freitag wird sowieso nichts parteipolitisches passieren."

"Danke Marco. Ich werde mich melden."

Damit verließ der Wirtschaftsminister das Büro des Justizministers und machte sich wieder an seine Arbeit. Allerdings mit ziemlich vielen ablenkenden Gedanken. Gut, dass er am kommenden Abend mit Annalena sprechen konnte. Denn es gab einiges zu besprechen.



Wie man sich bei diesem Angebot wohl an Roberts Stelle fühlen würde?

Und nun wird auch Annalena (vor allem im nächsten Kapitel) präsent in der Story. Habt ihr bezüglich ihrer Figur bestimmte Wünsche oder Vorstellungen?

Danke euch fürs Lesen und bis zum nächsten Mal!

Zerbrechen - Die Zeit ohne ihn Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt