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Es dauerte tatsächlich einige Stunden, bis Robert sich im Flieger nach Deutschland befand. Die Zeit verging unendlich langsam und doch lief alles an ihm vorbei. Er war einfach so kurz davor, endlich wichtige Infos über Christians Verschwinden zu bekommen. Nie zuvor war er so nah dran. Und trotzdem noch irgendwo in der Luft. Er hatte schon geplant, direkt nach der Landung zum BKA zu fahren. Vielleicht gäbe es dann ja schon neue Infos. Er hoffte es zumindest. Obwohl Robert zutiefst nervös war, versuchte er etwas zu schlafen. So würde zumindest die Zeit gefühlt schneller vorbei gehen. Und einige Stunden hatte er ja noch.

"Robert?", hörte er leise eine Stimme. Und um ihn herum war Kälte und Dunkelheit. Und überall Bäume. Robert lief und lief und die Stimme wurde mal leiser, mal lauter. Irgendwer rief nach ihm. Aber er konnte die Stimme noch nicht zuordnen. Mittlerweile war er auf einer Lichtung angekommen. Doch noch immer konnte er nicht erkennen, wer da nach ihm rief. Und wo er überhaupt war. Es war zum Verzweifeln. Er wollte doch nur wissen, wer da etwas von ihm wollte.

"Robert? Wo bist du?", hörte er die Stimme nun wieder lauter. Und es schien von seiner rechten zu kommen. Mit einem Mal konnte er Christian erkennen, der wie so oft einen Anzug trug. Christian. Was machte er hier?

"Christian? Bist du es?", fragte er unsicher. Aber eigentlich war er sich sicher, dass es sein Freund war. Plötzlich bewegte sich dieser aber und lief zurück in den Wald hinein. Robert war verwundert, wollte ihn aber nicht schon wieder gehen lassen.

"He, bleib doch stehen!", rief er Christian hinterher, aber seine Stimme war plötzlich so leise. Wahrscheinlich konnte Christian ihn gar nicht hören. Und er wurde immer schneller.

"Bitte verschwinde nicht schon wieder!", rief er erneut. Und abrupt blieb sein Freund stehen. Und drehte sich langsam um. Er hatte einen absolut neutralen Gesichtsausdruck, was so gar nicht typisch für ihn war.

"Hilf mir, Robert. Lass es nicht zu, dass ich mich hier verirre. Ich schaffe es selber nicht. Ich habe keine Kraft mehr, hier weg zu kommen. Jetzt bist du dran.", erklärte Christian, bevor er sich wieder umdrehte. Robert war zutiefst verwirrt und legte seine Hand auf Christians Schulter, damit er stehen blieb. Doch mit einem Mal hörte er einen lauten Knall und er stand wieder alleine im Wald. Ohne Christian.

Und mit einem Mal war er wieder wach. Robert hatte den Schweiß auf der Stirn stehen und fragte sich, ob das gerade ein Fiebertraum gewesen war. Er musste sich zumindest erstmal klar machen, dass es sich um einen Traum handelte. Es war keine Realität. Christian war nicht bei ihm, er saß immer noch im Flugzeug. Das mittlerweile zum Landen ansetzte. Es würde also nur noch wenige Minuten dauern, bis er wieder in Berlin angekommen war. Und dann würde es direkt zum BKA gehen. Endlich. Auch wenn ihn dieser Traum wirklich verwirrte. Wahrscheinlich sprach da einfach seine Hoffnung aus ihm. Die Hoffnung, dass er Christian finden würde. Aber was bedeutete es, dass er Christian jetzt helfen sollte? Wie konnte er Christian denn helfen? Er würde doch alles tun, wenn er es könnte. Aber offenbar gab es momentan nichts, was er machen könnte. Oder hatte er etwas übersehen?

Gemeinsam mit seinem Sicherheitspersonal fuhr er mal wieder zum BKA. Und gefühlt war er so nervös wie nie zuvor. Auch wenn er eigentlich jedes Mal nervös war. Aber jetzt kam vieles zusammen. Seine Verwirrung trug auch nicht gerade zur Besserung bei. Und dann blieben sie auch noch im Berliner Verkehr stecken. Stau. Auch das noch! Wieso mussten die Straßen in Berlin auch immer so überfüllt sein? Es dauerte also noch länger! Verzweifelt schaute Robert immer wieder auf die Uhrzeit seines Handys. Und sah dann, wie eine Nachricht erschien.

Annalena
"Hi du, ich hab gehört, dass du Heute schon wieder zurück geflogen bist. Ist alles in Ordnung bei dir?"

Annalena hatte sich mal wieder bei ihm gemeldet. Die letzten Tage hatten sie keinen Kontakt. Es war eigentlich keine bewusste Entscheidung, sondern vielmehr dem Stress, den sie beide hatten geschuldet.

Robert
"Schön von dir zu hören. Bin auf dem Weg zum BKA, es gibt sehr wichtige neue Infos. Ich berichte dir demnächst, es könnte jetzt alles Schlag auf Schlag gehen..."

Und dann hatte er es tatsächlich zu besagter Behörde geschafft. Und stand mit zitternden Knien vor der Tür, bevor er diese öffnete. Der Weg zur Anmeldung war ihm mehr als bekannt, aber trotzdem fühlte es sich anders als sonst an. Es waren andere Gefühle, die er verspürte. Und dann sah er ein bekanntes Gesicht an ihm vorbei laufen. Martina!

"Robert! Da bist du ja endlich. Na Gott sei Dank.", begrüßte ihn Christians Mutter, mit der er gerade gar nicht gerechnet hatte.

"Hi, bist du alleine hier? Ich hatte gar nicht mit dir gerechnet."

"Ja, ich hab mich Gestern direkt auf den Weg hierher gemacht. Ich konnte es zuhause nicht mehr aushalten. Wer weiß, wie schnell es jetzt voran geht. Aber du solltest jetzt wohl erstmal über alle neuen Kenntnisse informiert werden. Also halte ich dich nicht auf. Wir sehen uns gleich.", antwortete Martina leise und deutete dann Richtung des Büros, auf das Robert dann zusteuerte. Gab es wieder neue Informationen? Hatte er noch nicht alle Kenntnisse? Angespannt ließ er sich auf den Stuhl nieder und war froh, dass er nicht mehr drüber nachdenken musste, ob ihm im nächsten Moment die Beine unter seinem Körper wegklappten.

"Herr Habeck!"

Wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Herr Müller betrat den Raum und schien beinahe etwas euphorisch zu sein. Gab es etwa Grund für Euphorie? Robert konnte es sich kaum vorstellen. Er traute dem Ganzen nicht.

"Ich komme am besten direkt zur Sache. Ich hatte ihnen ja schon erklärt, dass wir zwei Mitglieder dieser Gruppe, die offenbar für das Verschwinden von Herrn Lindner verantwortlich sind, fassen konnten. Das sollte ihr letzter Kenntnisstand sein. Mittlerweile wissen wir von beiden, dass sie wohl Rechtsextremisten sind und zuvor schon bei diversen rechten Demonstrationen aufgefallen sind. Wir können aber nicht sagen, ob die restlichen Mitglieder der Gruppe den gleichen Hintergrund haben. Die beiden Festgenommenen geben bisher keine Aussage. Auch nicht dazu, wo Herr Lindner momentan ist oder was sie mit ihm gemacht haben. Geschweige denn, wieso sie diesen Anschlag auf ihn geplant haben."

"Das war erwartbar.", murmelte Robert nur und schluckte. Er hatte doch gedacht, dass Rechtsextreme dahinter steckten.

"Wir versuchen selbstverständlich Informationen aus den beiden heraus zu bekommen. Aber momentan funktioniert es nicht. Wir haben schon viel versucht, aber sie haben bisher eine Forderung gestellt. Sie wollen mit ihnen sprechen, nicht mit uns. Wir würden allerdings davon abraten, dies zu tun. Diese Menschen sind gefährlich und würden sie wahrscheinlich auch unter Druck setzen. Um sie zu schützen, würden wir ihnen also nicht empfehlen, dies zu tun."

"Was ist das denn für ein Grund? Wenn es in den Ermittlungen hilft, werde ich selbstverständlich mit diesen Menschen sprechen. Auch wenn es belastend wird. Aber es geht hier um Christian! Wenn wir ihm so einen Schritt näher kommen, bin ich zu beinahe allem bereit.", entgegnete Robert entrüstet. Für Christian würde er dies selbstverständlich auf sich nehmen. Außerdem gab es ja genügend Schutz für ihn. Körperlich würden diese zwei Extremisten ihm nichts tun können. Und dann erinnerte sich Robert an seinen Traum.

"Hilf mir, Robert. Jetzt bist du dran."

Das hatte Christian zu ihm gesagt. Und er spürte gerade mehr als zuvor eine Nähe zu Christian. Es fühlte sich so surreal an. So, als ob wirklich Christian zu ihm gesprochen hätte. Als ob er gewusst hätte, was bei Robert passieren würde. Es war mit einem Mal alles so real. Das, was er vor einigen Stunden noch als Fiebertraum bezeichnet hatte. Plötzlich fühlte es sich echt an. Und Robert war entschlossen, dass er bald Christian wieder in der Realität sehen würde. Nicht nur in einem Traum. Und dafür ließ er sich beinahe schon gerne zu den Festgenommenen bringen.


Was jetzt wohl passieren wird? Ob es wohl die richtige Entscheidung von Robert ist, sich auf dieses Gespräch einzulassen?

Ich danke euch fürs Lesen und wünsche euch noch einen schönen 2. Advent!

Zerbrechen - Die Zeit ohne ihn Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt