Teil 54 Danach - Luca und Anna

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Luca grübelte auf der Heimfahrt.
Die Tage waren schwer gewesen, hatten viel wieder aufgewühlt.

Am meisten litt er darunter, dass seine Tochter hätte gerettet werden können.
Ein Tag hatte zwischen Glück und Unglück gelegen!

Wenn er ihr verboten hätte, auf diese Party zu gehen, würde seine Zoe noch leben!
Nur einen einzigen Tag hätte er auf sie aufpassen müssen!
Dann hätte Kira die Lösung gefunden, die Polizei hätte endlich mal gehandelt, seine Tochter wäre gerettet gewesen.

Die Westens hatten dieses Glück gehabt!
Er und Anna nicht!
Auf Nicola hatte Robin aufgepasst, sie waren der Mörderin immer wieder entwischt!

Er hatte das nicht geschafft!
Aber wie hätte er ahnen sollen, dass Zoe das nächste Opfer wird?
Er wäre mit seiner Familie rund um den Erdball gereist oder zum Mond geflogen, wenn er eine Ahnung gehabt hätte!

Anna beobachtete ihn, wusste, dass er sich wieder einmal selbst zerfleischte.
Das kam hin und wieder vor.

Nicht mehr so oft wie am Anfang, aber heute war es wohl wieder zu viel für ihn gewesen!
Dieser sensible Mann konnte nach den Ausbrüchen der Mörderin nicht einfach wieder ins Leben zurück, auch nicht in das Leben vor dem Prozess.

Sie hatte das schon geahnt gehabt, hatte ihm vorschlagen wollen, nicht am Prozess teilzunehmen, aber damit hätte sie ihn wohl doch verletzt.

Aber sie war stark!
Sie und Joshua würden ihn auch dieses Mal wieder auffangen und festhalten!

Als sie merkte, dass er ziemlich unkonzentriert fuhr, bat sie ihn, den nächsten Parkplatz anzufahren und sie ans Steuer zu lassen.
Widerspruchslos hielt er an.
Sie stiegen beide aus, er riss sie in seine Arme, ließ die Tränen einfach laufen.

„Ein einziger Tag!" schluchzte er. „Warum?"
Anna streichelte nur seinen Kopf, ließ ihn weinen.

Das half ihm immer am meisten, mehr als wenn sie auf ihn eingeredet hatte.
Denn alles, was sie hätte sagen können, wusste er im Grund selbst.
Er wusste, dass das Schicksal ihn nicht bestraft hatte für seine Jugendsünden!
Er wusste, dass das Schicksal nicht so drauf war!
Er wusste, dass es eben Menschen gab, die grundböse waren!

So böse, wie der Typ, der Fabian abgestochen hatte!
Nun hatte es diese wunderbare Tochter getroffen!
Immer wenn er bei diesen Gedanken angelangt war, schämte er sich!

Dachte er an Anna, die schon den zweiten zerstörenden Verlust hatte hinnehmen müssen.
Und sie war stark!
Er war schwach!
Aber wusste auch, dass das nichts machte.
Es war eben so!

Sie war schon immer die Stärkere von ihnen beiden gewesen.
Sie hatte mit 22 Bettlern das Geld geklaut, um für andere Mittagessen zu kaufen, er hatte mit 22 Autorennen veranstaltet und Miezen flachgelegt!
Aber sie hatte ihn komplett verändert, die Liebe zu ihr hatte sein Leben auf den Kopf gestellt.

Er arbeitete nur wenige Stunden pro Woche in der Firma seines Vaters.
Die meiste Zeit waren sie beide mit der Sozialstation beschäftigt, seit Zoes Tod auch mit der Stiftung, die sein Vater ins Leben gerufen hatte, die seine Mutter leitete.

Er reiste mit Anna durchs Land, um Vorträge vor Wirtschaftsbossen und Stadtverwaltungen zu halten, er schrieb Bücher, in denen er allgemeinverständlich ihre gemeinsamen Thesen darlegte.

Sie beide besuchten Talkshows, wenn sie auch die Publicity hassten, die sie aber andererseits dringend brauchten.
Er war ein total anderer Typ als der sorglose Junge, der fünf Minuten zu spät an der Essensausgabe angekommen war, wo er die Vogelscheuche zum ersten Mal gesehen hatte.

Und er liebte!
Er fühlte ihren Körper an sich, fühlte, wie sein Körper auf sie reagierte.
Sein Mund presste sich auf ihren, verschlang ihn vor Sehnsucht.
Seine Seele war wieder einmal ein wenig geheilt durch ihre Ruhe, durch ihre Nähe, durch ihre Stärke.

„Ich liebe dich, Anna!" flüsterte er.
„Ich weiß!" antwortete sie.

Joshua lächelte durchs Fenster hinaus.
Er mochte das, wenn der Papa mit der Mama schmuste!

Sie sahen dann immer so aus, als hätte jemand in ihren Augen ein Licht angemacht.
Zoe hatte manchmal gelästert, aber dabei meistens gegrinst.
„Ich habe dich lieb, Zoe!" dachte er. „Hoffentlich geht es dir gut da oben auf dem Stern!"

Er dachte sich eine Geschichte aus, wie die vier Engel-Kinder sich gegenseitig besuchten und von ihren Geschwistern erzählten.
Was wohl Zoe von ihm erzählen würde?

Dass er sie genervt hatte?
Dass er sie aufgezogen hatte an ihrem letzten Tag?
Vielleicht!
Aber sicher würde sie auch sagen, dass sie ihn sehr lieb hatte.
Er hatte das immer gewusst.

Den Rest der Strecke fuhr Anna.
Luca sah sie lächelnd von der Seite an.
Es war zwar dunkel im Wagen, aber er kannte ja sowie so jeden Quadrat-Millimeter ihres schönen Gesichtes.

Er wollte nur sicher gehen, dass sie wirklich da war.
So wie sie immer dagewesen war seit dem Tag, als er sie zum Essen eingeladen hatte, als er sie zum ersten Mal geküsst hatte.

Noch nie hatte er eine Frau so lange und so geduldig umworben, wie sie.
Und nie hatte er gedacht, wie schön es war, das zu tun!

Er fasste nach ihrer Hand, drückte sie dankbar, einfach, weil sie in seinem Leben war.
„Woran denkst du?" fragte sie leise, um Joshua nicht zu wecken.
„An den Anfang!" gestand er lächelnd.
Anna lachte. „An die Vogelscheuche?"

„Ja! An die Vogelscheuche mit der sexy Stimme und den wunderschönen grünen Augen! Und an all das andere wunderschöne, das ich nach sechzig Tagen sehen durfte!" Er grinste sie frech an. „Und an noch mehr Schönes, das ich nach weiteren zwei Monaten dann endlich sehen durfte!"

Er wusste, dass sie lächelte.
Er wusste, dass ihr seine Zurückhaltung gefallen hatte! Gut getan hatte!
Dass sie diese Zeit auch gebraucht hatte, um sich von Fabian zu lösen.

Und er hatte in ihrer ersten Nacht gespürt, dass sie es geschafft hatte, dass sie als Frau voll und ganz ihm gehören würde.
Sie sprachen oft über ihren ersten Mann, doch so wie über einen Freund.
Er hatte die gleichen Ansichten gehabt wie sie beide, auch er hatte die Welt immer etwas besser machen wollen.

Nur er hatte zu wenig Zeit vom Leben dafür bekommen.
Er würde das Lebenswerk von Fabian Graber vollenden, er würde die Welt ein wenig besser machen, und er würde Anna glücklich machen.


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