Teil 22 Etwas beginnt - Luca und Anna II

13 5 0
                                    


Als sie die Wohnungstüre aufschloss, begann das andere Leben der Anna Graber, Dr. soz.-päd.
„Hallo Schatz! Ich bin wieder da!" rief sie. Sie lief ins Schlafzimmer, zog ein hübsches Kleid an und flog ins Wohnzimmer. 

Sie küsste ein Foto, das auf dem Tisch stand. „Der Tag war heute ganz gut! Möchtest du ein Glas Wein mit mir trinken?" Sie schenkte zwei Gläser ein, setzte sich vor das Foto und berichtete von dem Treffen mit Holger.

„Du musst nicht eifersüchtig sein! Der Typ sieht nicht halb so gut aus wie du!" beruhigte sie ihr unsichtbares Gegenüber. Dann wärmte sie die Reste vom Vortag auf, verteilte sie auf zwei Tellern, aß dann seinen auch leer, weil er wieder einmal keinen Appetit hatte.

Sie unterhielt sich mit ihm über das Fernsehprogramm, einigte sich mit ihm auf eine Sendung.
Spätestens dann brach sie immer in Tränen aus. Sie hatte es wieder getan!
Fabian, ihr Ehemann war seit einem Jahr tot! Erstochen bei einem Nachteinsatz als Streetworker im Drogenmilieu.

Am Anfang hatte sie ganz und vollkommen ignoriert, dass er nicht mehr da war, hatte mit ihm weitergelebt, als wäre nichts geschehen.
Sie war nicht auf seiner Beerdigung gewesen, denn er war ja in der Wohnung, redete mit ihr, aß mit ihr, tanzte mit ihr.

Die anderen waren verrückt, wenn sie behaupteten, er wäre tot!
Ganz langsam war es besser geworden, sie konnte wieder arbeiten, konnte ihn tagsüber gehen lassen. Hin und wieder schaffte sie das auch ein paar Stunden zu Hause, aß alleine, las ein Buch.

Doch immer wieder, wenn sie ihn zu sehr vermisste, musste er da sein.
Fabian war die Liebe ihres Lebens gewesen. Sie hatten sich während des Studiums kennengelernt. 

Er hatte ihren Traum von einer besseren Welt mit ihr geträumt, sie vorbehaltlos bei ihren Plänen unterstützt. Er kam aus einem schwierigen Milieu, hatte sich aus den Zeiten der Gangs herausgekämpft, hatte das Abi durchgezogen und ein Vollstipendium für das Studium erhalten.

Noch vor dem Abschluss hatten sie geheiratet. Ihre Eltern waren fast in Ohnmacht gefallen, als sie ihn zu ersten Mal gesehen hatten. Knapp zwei Meter groß, zu lange wilde Haare, Tattoos, die seinen linken Arm fast ganz bedeckten, Piercings in den Augenbrauen, drei Ringe im linken Ohr.
Nicht gerade der Traumschwiegersohn für einen Richter und eine Richterin!

Doch bald erkannten sie, dass er eine Seele von Mensch war, ein sehr ernsthafter junger Mann mit einem genauen Lebensplan. Und der wichtigste Punkt auf diesem Plan war, ihre Tochter zu lieben und glücklich zu machen. Drei Jahre hatte ihm das Schicksal dafür Zeit gegeben.
Dann stachen Dealer ihn ab wie ein Tier.

Der Clan, den die Polizei im Visier hatte, lieferte einen Dreizehnjährigen als Täter, der auch gestand. Obwohl allen klar war, dass das schmächtige Kerlchen unmöglich diesen Bären von Mann hätte überwältigen können, musste das Verfahren eingestellt werden. Der angebliche Täter war strafunmündig.

Heute brauchte sie Fabian wieder. Heute hatte sie so viel zu erzählen, musste so viel loswerden.
Aber immer öfter hatte sie es in den letzten Wochen geschafft, alleine klarzukommen.

Es würde besser werden, irgendwann würde die lebensbedrohliche Wunde in ihrem Herzen heilen!

*

Luca erwartete zu Hause natürlich das zweite Strafgericht des Tages.
„Wenn noch das Geringste in dieser Hinsicht passiert, nehme ich dir das Auto weg!" drohte sein Vater.

Luca nickte, zeigte ein sehr reumütiges Gesicht. Er hatte das Grinsen gesehen, das um den Mund seines Vaters zuckte, auch wenn der besonders böse gucken wollte. 

FÜNFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt