Kapitel 4

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Schwer schnaufend zog Mr. Hunnington mich immer näher zu sich. Sein stinkender Atem vernebelte meine Gedanken. Ich versuchte mich aus dem hartem Griff meines Chefs zu lösen aber ohne Glück.
"Was wird das Emily?!", zischte eine wütende Stimme neben meinem Ohr.
"Lassen Sie mich los, Sie mieser Mistkerl!", ich versuchte sicher und selbstbewusst zu klingen aber meine Stimme zitterte.

"Hör zu Emily, ich will dich hier nie wieder sehen!", knurrte Mr. Hunnington und sein Griff wurde fester. Meine Bluse verengte sich darunter und ich bekam immer weniger Luft.
"Lassen....Sie.....mich....los.", keuchte ich atemlos.
"Bitte Mr. Hunnington.", flehte ich.
Wut quoll aus seinen Augen und plötzlich schmiss er mich auf den Boden zurück. Die Scherben des Tellers bohrten sich in meine Hände. Zitternd blickte ich zu Mr. Hunnington und Mr. Knight.

"VERSCHWINDE!", mit seinem harten Schuh stieß er mir in die Rippen. Vor Schmerz zuckte ich zusammen und kauerte mich nieder.
Eine Blutpfütze entstand neben meiner Hand und hinter meinen Augen fing es an zu brennen.

"SOFORT!", Mr. Hunnington stieß mich nach vorne und mein Kopf stieß schmerzhaft am Boden auf. Mir wurde schwindelig und kurz schwarz vor Augen bevor ich mich kraftlos mit meinen Armen hochstemmte und auf wackligen Beinen aus dem Restaurant lief.
Der stechende Blick von Mr. Hunnington spürte ich noch lange in meinem Rücken.

Vor der Tür konnte ich meine Tränen nicht mehr halten und sie ronnen an meiner Wange hinunter. Meine Beine hatten keine Kraft mehr und konnten mich nicht mehr tragen.
Deshalb lehnte ich mich ruckartig an die Hauswand und ließ mich, angelehnt daran, hinunter auf den Boden.
Automatisch griff meine Hand an meine Stirn über die sich nun eine Platzwunde zog, aus der unerbittlich Blut ronn. Ich zog Luft durch meine Zähne ein als der Schmerz meinen Kopf durchzog.
Zitternd vor Angst saß ich da und starrte geradeaus während ich alles aus mir herausweinte.

Keiner, nicht einmal einer der Gäste hatte mir geholfen. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so hilflos wie eben gefühlt.
Auch jetzt liefen die Passanten an mir vorbei ohne mir auch nur eines Blickes zu würdigen. Mir war es aber egal. In diesem Moment war mir alles egal.

Plötzlich klackte die Tür und mein Blick glitt panisch in ihre Richtung. Ich machte mich darauf gefasst, dass Mr. Hunnington gleich vor mir stehen würde.
Allerdings trat nur eine Gruppe laut redender Jugendlicher aus dem Restaurant. Mit einem Blick auf mich fingen sie an, laut zu lachen.

Ich ließ meinen Kopf zurücksinken und zog ein Knödel Taschentücher aus meiner Hosentasche. Ich schneuzte einmal fest hinein und stieß mich dann entschlossen mit meinen Armen hoch. Die Taschentücher warf ich in den nächstbesten Mülleimer und lief geradewegs nach Hause.

Angekommen öffnete ich kurz den Briefkasten aus dem mir ein Brief entgegenflog. Mit einem Blick darauf stellte ich fest, dass er von meinem Vermieter kam.
Mist! Scheiße! Verdammt!, schoss es mir durch den Kopf.

Immer zwei Stufen nehmend rannte ich die Treppen zu meiner Wohnung hoch. Schwer schnaufend schloss ich sie auf und trat in die gewohnten vier Wände. Der zarte Geruch von Zierde umgab mich.
In der Küche setzte ich mich an den kleinen Tisch und öffnete den Brief. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst.

Letzte Mieten nicht gezahlt.....letzte Chance bald vertan....raus aus der Wohnung.

Ich laß die Wörter in Trance und sie verschwammen in meinen Gedanken.
Ich musste aus meiner Wohnung raus, wenn ich die nächste Miete nicht zahle, da ich die letzten Mieten nicht gezahlt hatte.
Mit einem Ruck wurde ich wieder warm.
"SCHEISSE!", schrie ich durch die ganze Wohnung und zerriss das Stück Papier in hunderte kleine Fetzen.
"Scheiße, scheiße, scheiße.", ich lief wusselig durch meine Wohnung hin und her. Stoppte bei meinem Bett und boxte in die Kissen.
Einmal.
Zweimal.
Dreimal.
Immer wieder schlug ich mit aller Kraft in die weichen Vierecke und ließ all meine Wut und Verzweiflung an ihnen aus.

Das konnte doch nicht wahr sein!

Ich fuchtelte herum und lief zurück in die Küche, wo ich mich mit einer Hand auf meinem Tisch abstemmte und mit der anderen meine Augen riebte.
Dann wenn ich dachte es konnte nicht mehr schlimmer werden, haute das Schicksal extra noch einmal drauf.

Mit einem Ruck drehte ich mich um und starrte, angelehnt an den Tisch, in die Luft als mein Handy plötzlich piepte.
Mit der Erwartung, dass Clara mir geschrieben hatte nahm ich es in die Hand und sah darauf.
Mit großer Überraschung stellte ich allerdings fest, dass nicht Clara sondern Rick mir geschrieben hatte.

Hey., stand auf dem Display geschrieben.
Meine Finger zögerten und ich merkte, wie sie anfingen zu zittern als ich sie über die Tastatur hielt.
Hey., tippte ich langsam ein.
Zwei Sekunden später tauchte auch schon die Antwort auf.
Wie geht es dir so? Das Treffen heute war echt schön oder?
Ich wusste nicht wieso ich es tat, aber meine Finger fingen plötzlich an, wie von alleine zu schreiben und ich beschrieb all das Leid, das mir heute wiederfahren war. Davon, dass ich gefeuert wurde, bis hin zu dem Brief zur Kündigung meines Mietvertrages.
Nach fünf Minuten tippen verharrten mein Daumen über dem Absendebutton.

Was hatte ich den schon zu verlieren?

Mit diesen Gedanken schickte ich die Nachricht einfach ab. Ohne meinem Handy noch einen weiteren Blick zu würdigen, verbannte ich es auf meinem Bett.

Ich trat zu meinem Gitarrenkoffer in meinem Schlafzimmer und nahm das Instrument hinaus. Das einzige was mich jetzt noch beruhigen konnte war die Musik. Ich musste meine Gefühle in einen Song verpacken.
Das glatte Holz erstrahlte in seiner vollen Pracht und ich musste leicht lächeln als ich sie mir umhing. Ich zog mir meinen Stuhl näher und stellte meinen Fuß auf eine Erhöhung während meine Hand dabei auf den Saiten ruhte und ich meinen eigenen Atem hörte.
Mit einem Schlag über die sechs Saiten kam der erste Ton zum Vorschein. Danach klimperte ich ein paar weitere Töne um sie zu stimmen und fing dann an eine kleine Melodie zu spielen. Meine Hand glitt von alleine, wie hypnotisch über die Seiten.

Schon als kleines Kind hatte ich angefangen Gitarre zu spielen. Wie meine Mutter. Sie war damals mein großes Vorbild gewesen. Sie war immer für mich da gewesen.
Vor meinem inneren Auge tauchte meine Mutter auf wie sie vor mir sang und wehmütig dachte ich an meine Lieblingsbeschäftigung.
Am liebsten hatte ich es gehabt, wenn sie mir am Abend bevor ich schlafen ging vorsang. Dann saßen wir zusammen aneinander gekuschelt auf der Kante meines Bettes während sie mir sanft vorsang. Auch nach Lyam's Geburt war dies geblieben. Es war unsere Tradition gewesen und irgendwann würde ich sie mit meinen Kindern fortsetzen wollen.

Ich musste nicht viel nachdenken, die Melodie entstand wie von alleine, als wäre es Magie.
Zufrieden sah ich auf und notierte mir stichpunktartig die Akkorde.
Kurz darauf legte ich meine Gitarre auf den Boden und stand mit dem Songbook in der linken Hand auf mit dem ich nun ein wenig durch meine Wohnung lief. Währenddessen nagte ich an meinem Bleistift, welchen ich in der anderen, der rechten Hand hielt.
Dies war eine miese Angewohnheit, die ich schon immer hatte und einfach nicht abstellen konnte. Denn jedes Mal, wenn ich das tat flossen meine Gedanken am einfachsten und die Kreativität ließ ihren freien Lauf.

Schon nach ein paar Minuten stand das Grundgerüst für den Refrain meines neuen Songs.

I wish I could escape
From this terrible world
That keeps my heart trembling
Where only power and money rule
After all, so I thought,
The day will come
When long time
may no longer hold.
No light that shines any more
in this dark time.
The soul flees from me
into eternity.

Erleichtert atmete ich aus. Ich konnte mich komplett entspannen und die Wut und die Verzweiflung waren in dem Song verschwunden.

Mein Blick wandte sich zum Fenster als ich sah, dass es schon dunkel wurde.
Also kletterte ich auf mein Bett um auf meinem Handy nachzusehen wie spät es war.
Dabei sprang mir eine Nachricht von Rick entgegen.

Mist! Den hatte ich ja komplett vergessen.

Ich öffnete sie schnell und zog scharf die Luft ein als ich las was dort geschrieben stand.

Tränen der TrauerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt