Mein Blick ruhte auf der riesigen weißen Villa, welche vor mir in den blauen, wolkenlosen Himmel ragte und mir kam es immer noch irreal vor, dass ich ab jetzt hier wohnen würde.
Die letzten zwei Wochen waren vollgepackt mit dem Umzug gewesen und außer Kartons zu packen, kam ich in dieser Zeit zu nichts. Mittlerweilte war es Ende Februar und ich stand nun vor Rick's Haus. Alles, was sich davor wie ein Traum angefühlt hatte, wurde zur Realität.
Neben mir stand der große, weiße Umzugswagen, welcher eigentlich zu groß für meine wenigen Kartons waren und ich lehnte mich seitlich mit meiner rechten Schulter daran an. Die Sonne schien auf mich herab und ich beobachtete die zwei Herren der Umzugsfirma, die gerade die letzten Kartons aus dem Wagen in das Haus brachten. Beide hatten nur einen Hoodie und eine Mütze übergezogen. Trotzdem konnte man sehen, dass beide ein stark durchtrainiertes Sixpack hatten und ich glaubte, dass wenn ich mit meiner Faust darauf schlagen würde, würde ich auf eine Art hartes Brett stoßen, das meine Hand zersplittern lassen könnte. Ich grinste bei diesem Gedanken und stieß mich von der Wand des Wagens ab, während die zwei Herren mich fragend anblickten. Sie schüttelten sich und luden zusammen den letzten Karton aus.
"So das sollten jetzt alle sein." Einer der beiden trat zu mir und hielt mir seine Hand hin, ein paar blonde Strähnen, seiner schulterlangen Haare, fielen ihm ins Gesicht. "War uns eine Freunde."
"Ebenfalls und vielen lieben Dank." "Nichts zu danken. Ist ja unser Job." Beide salutierten kurz und stiegen dann in den Wagen. Im nächsten Moment waren sie auch schon um die Ecke verschwunden.
Ich atmete kurz tief ein und schloss meine Augen, um meine Nervosität ein wenig zu kontrollieren. Gut, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich steckte meine Hände in meine Jackentaschen und lief den kleinen Weg hoch zu dem Haus. Davor angekommen, strich ich kurz meine Schuhe auf der Fußmatte ab, während ich meine Hand zögerlich auf den kalten Türknauf legte. Bevor ich jedoch dazu kam, die Tür zu öffnen wurde ebendiese von der anderen Seite geöffnet und ein grinsender Rick sah mir entgegen. "Die Kartons sind fast alle schon oben, der letzte steht hier." Er deutete auf einen, allein verbliebenen Karton. "Du wirst im dritten Stock wohnen, dieser steht eh komplett leer und Elani und ich brauchen ihn alleine sowieso nicht." Perplex starrte ich ihn an. "Wie, sind fast alle schon oben?" Rick legte mir eine Hand auf die Schulter. "Naja, während du draußen warst, haben Elani und ich abwechselnd die Kartons hochgeschleppt. Oben hast du übrigens neben dem Schlafzimmer, noch ein Büro, ein Bad, eine kleine Bibliothek und ein Fitnesszimmer. Du kannst alles einrichten, wie du es willst." Mit offenem Mund stand ich da und wusste nicht, was ich sagen sollte. Alle Stöcke in diesem Haus, waren doppelt, wenn nicht sogar dreifach so groß, wie meine alte Wohnung und ich hatte nicht damit gerechnet gleich einen ganzen Stock von ihnen überlassen zu bekommen.
"Danke, das wäre doch nicht nötig gewesen", stotterte ich. "Ach, das war doch kein Umstand." Rick wollte gerade den letzten Karton hochheben, als ich vor ihn trat. "Du hast schon genug getan. Ich mach das jetzt." Er zog die Augenbrauen hoch, aber machte mit mit erhobenen Händen Platz.
"Wie Sie wünschen, Prinzessin." Ich rollte gespielt mit meinen Augen und nahm den Karton mit mir nach oben.Dort ließ ich ihn neben den anderen Kartons im Gang fallen und setzte mich dazu. Angelehnt an das Geländer, zog ich meine Knie an meinen Körper an und schlang meine Arme um diese während mein Blick durch den Hausgang schweifte. Es war alles sehr schlicht gehalten und außer ein paar Pflanzen und einzelnen Bildern, von bekannten Malern, gab es nicht viel Deko. Ich wollte gar nicht wissen, wie viel ein einziges dieser Gemälde kostete. Allein schon der Gedanke daran, ließ mein herz fast aussetzen. Mein Kopf fiel von alleine zurück und prallte an dem Geländer ab. Verdammt! Wie dumm konnte ich eigentlich sein! Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb ich mir meinen Hinterkopf und stöhnte genervt auf. Bevor ich mir noch einmal den Kopf stoßen konnte, beschloss ich aufzustehen und suchte die verschiedenen Türen nach dem Schlafzimmer ab, was nicht gerade erfolgreich war. Erst stand ich im Badezimmer, dann in dem sogenannten Fitnesszimmer mit ein paar Laufbändern und dann im Büro.
Ich murrte leise während ich die nächste Tür öffnete und ich war erstaunt, als ich in einem Zimmer stand, das Rick nicht erwähnt hatte. In der Mitte dieses Raumes stand ein riesiger Flügel, daneben ein Mikrofon, ein Cello und eine Violine. Im hinteren, rechten Eck des Zimmers ein großes Schlagzeug, dahinter ein Regal mit allen möglichen CD's und Schallplatten. Ebenfalls an der Wand hingen alle möglichen Schallplatten von Elvis Presley, über The Beatles bis hin zu BTS und daneben, hinter dem Klavier, zwei Gitarren.
Warum hatte er nur nichts von diesem Zimmer erzählt?Meine Augen funkelten hell und mein Herz schlug vor Freude höher, als ich diesen Raum betrat und um mich herum entstand eine magische Hülle, die mich alles vergessen ließ. Mit meinen Händen streifte ich langsam über die Schallplatten, die kleinen Rillen dieser unter meinen Fingerspitzen spürend. Verdammt war dieses Zimmer schön! Wie in Trance lief ich weiter und stand irgendwann neben dem schwarzen Klavier. Schweigend sah ich dieses an und wurde, aus einem mir unerklärlichen Grund, fast magisch davon angezogen. Mit meiner rechten Hand glitt ich also über die schwarze, glatte Oberfläche. Ich hatte noch nie Klavier gespielt und dennoch war ich fest entschlossen es zu probieren und zog mit einem Ruck den kleinen Hocker darunter vor. Zögerlich setzte ich mich darauf, klappte den Deckel auf und legte meine Finger auf die weißen Tasten.
Von meinem Gitarrenunterricht, als kleines Kind, wusste ich, dass zwischen den schwarzen und weißen Tasten immer ein Halbtonschritt und zwischen zwei weißen Tasten immer ein Ganztonschritt lag. Das war einfach Grundwissen, laut Mrs. Johnson, meiner damaligen Lehrerin. Sie war eine etwas ältere Dame und konnte manchmal ganz schön herrisch sein und doch war sie die beste Lehrerin gewesen, die ich mir jemals vorstellen konnte. Ich ging immer liebend gerne zu ihr in den Unterricht.
Unter meinen Fingerkuppen spürte ich nun diese glatten, schwarz und weißen Tasten, doch ich konnte sie nicht bewegen, sie waren wie erstarrt.
Plötzlich ertönte ein Räuspern aus der Tür und mein Blick huschte erschrocken in diese Richtung. Rick lehnte lässig in dem Türrahmen, mit dem Ellenbogen abgestützt und seine Augen funkelten wild aber es lag ein kaum sichtbarer Schleier in seinem Blick. "Na, gefällt es dir?" Wie lange stand er schon da?
"Kann schon sein." Ich senkte meinen Blick zurück auf die Tasten. "Du hast noch nie Klavier gespielt, hab ich Recht?" Rick trat neben mich und sah auf mich herunter. "Kann sein", antwortete ich wieder. "Komm, rück mal ein Stück", gluckste Rick und schob mich sachte auf die Seite. Er setzte sich neben mich auf den kleinen Hocker und ergriff meine Hände. "Die Noten kennst du ja. Also das hier ist das C und von dem C aus kannst du einfach nach rechts die anderen Noten weiterzählen. Also D, E, F und die schwarzen Tasten sind immer die Vorzeichentasten." Ich spürte gar nicht, wie ich aufhörte zu atmen, während er so dicht bei mir saß und ich seine durchtrainierten Waden an meinen spürte. Langsam drehte ich meinen Blick zu ihm und ich konnte sehen, wie an seinen Mundwinkeln kleine Grübchen entstanden, als er mit einem breiten Lächeln die Grundlagen erklärte.
Er kam mit seinem Gesicht näher an meines und ich spürte seinen warmen Atem an meinem Hals.
"Schau, das ist eine einfache Melodie." Er nahm meine Hände und führte diese mit seinen über die Tasten. Irgendwann lockerten sich meine Finger und ich schloss die Augen, während meine Hände mit Rick's wie hypnotisch über diese vielen Tasten liefen.
Erst als wir wieder zum Ende kamen öffnete ich meine Lieder. Rick saß neben mir, sein Gesicht immer noch an meinem. Plötzlich erhob er sich, ohne etwas zu sagen, lief zu der Tür und riss mich somit aus meiner Erstarrung.
"Elani hat gekocht. Es sollte gleich fertig sein. Kommst du dann runter?" Seine Augen funkelten nicht mehr, es lag nur noch dieser Schatten, der davor kaum sichtbar war, in seinem Blick. Ich wollte nachfragen, ob alles in Ordnung war aber bekam meinen verdammten Mund nicht auf. Also nickte ich in Trance und sah, wie Rick das Zimmer verließ.
Als er verschwunden war, machte ich mich daran das Instrument wieder so zu hinterlassen, wie ich es vorgefunden hatte. Es kostete mir einige Mühe, meine Finger und meine Aufmerksamkeit von dem Instrument zu lösen, ich schloss den Deckel wieder, schob den Hocker zurück, wo er war und verließ dann dieses magische Zimmer.Ich warf noch einen kurzen Blick nach hinten bevor ich die Treppen hinunterlief und wusste einfach, dass dieser Raum der Ort werden würde, an dem ich all meine Zeit verbringen würde, so lange ich hier wohnte.
DU LIEST GERADE
Tränen der Trauer
Teen FictionNach dem Tod ihres Bruders bei einem schrecklichen Unfall änderte sich Emily's Leben komplett. Nichts war mehr wie davor. Emily lebte fortan in sich gekehrt und baute sich in den vielen Jahren eine dicke Mauer auf, welche Niemand jemals einreißen so...