Kapitel 21

49 6 0
                                    

Drei Tage sind mittlerweile vergangen seit Rick und ich uns ausgesprochen hatten.
Konnte man das so sagen?
Ich war mir dabei irgendwie nicht so sicher, aber die letzte Zeit verbrachten wir fast ausschließlich zusammen im Musikstudio und nahmen einen Song nach dem anderen auf. Langsam fing es ebenfalls an, mir Spaß zu machen und ich freute mich auf jede Minute, die ich in diesem kleinen Kämmerchen verbringen durfte.
Ich sang mir dabei die Seele aus dem Leib, aber ich tat es gerne und wenn ich Rick dabei durch die Scheibe beobachtete, wie seine Mundwinkel sich jedes Mal zu einem Grinsen verzogen, wenn ich sang, spürte ich, wie sich ein Funken Stolz in mir regte.
Ich konnte nicht leugnen, dass Rick und ich uns in den letzten Tagen nach dem Gespräch wieder näher gekommen waren und tief in mir flammte die Hoffnung auf, dass wir uns irgendwann wieder noch näher kommen könnten. Der Drang ihn an mir zu spüren und meine Lippen auf seine zu legen wurde immer größer und bald würde ich es nicht mehr schaffen es zu überspielen.
Ob es ihm genauso ging wie mir?
Ich wusste es nicht und diese Unwissenheit brachte mich um.
Mein verräterisches Herz fing wie immer an wilder und heftiger zu schlagen, als ich an Rick dachte und ich verfluchte mich selber, dass schon alleine der Gedanke an ihn, mich so aus der Fassung bringen konnte.

Mein Blick wanderte durch den Garten, womit ich versuchte mich ein wenig abzulenken. Ich stand in meinem Zimmer an der riesigen Glasfront, dabei erklangen durch das gekippte Fenster helle Vogelstimmen, die den Frühling ankündigten. Instinktiv schloss ich die Augen und lauschte den friedlichen Klängen, denn wenn es eines gab was ich neben der Musik liebte, war es die Natur. Von den grünen Wäldern, über Vögel und Bären bis hin zu den Klängen, die die Natur uns bot. Früher war ich oft mit meiner Familie im Grünen unterwegs. Wir waren wandern gegangen, waren schwimmen in Seen oder auch Campen und besonders Lyam hatte es immer geliebt.
Der Gedanke an ihn ließ die Tränen in meine Augen schießen und im nächsten Moment fingen diese an zu brennen. Mit aller Kraft versuchte ich diese zu unterdrücken und hasste mich ein weiteres Mal dafür, dass Lyam's Tod mich immer noch so aus der Bahn warf. Es war immerhin schon über drei Jahre her, dass dieser Unfall ihn aus dem Leben riss, aber für mich fühlte es sich immer noch an, als wäre es gestern gewesen und jeder kleinste Gedanke an ihn riss mich aus der Bahn.

Mit meinem Zeigefinger wischte ich mir gerade eine salzige Träne aus meinem Auge, als ich hinter mir ein Geräusch hörte. Erschrocken fuhr ich herum und sah Elani im Türrahmen lehnen.
"Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken Emily. Ich wollte nur...", sie stockte, als sie meine verweinten Augen erblickte.
"Hey was ist denn los Emily?"
In Elani's Augen flackerte Besorgnis auf und sie trat mit schnellen Schritten zu mir.
"Ist alles in Ordnung? Kann ich was für dich tun? Soll ich Rick holen?"
Elani löcherte mich mit ihren Fragen und obwohl ich wusste, dass sie es nur gut meinte, wurde es mir zu viel.
"Es ist okey Elani. Ich hab gerade nur an etwas gedacht, was mir sehr schwer fällt."
"Willst du darüber reden?", fragte sie mich und zog mich dabei in eine sanfte Umarmung.
Mein Kopf sank wie von alleine auf ihre Schulter und mir entfuhr ein leises Schluchzen.
"Emily?" Ich konnte hören, wie Elani's Stimme zitterte, aber meine Kehle war trocken. Jeder Luftzug schmerzte und ich bekam kein Wort raus.
Scheiße! Wenn ich so weitermache ist eine Panikattacke nicht mehr weit entfernt!
Plötzlich löste sich Elani von mir und verschwand aus meinem Zimmer. Ich schlang schützend meine Arme um meine Brust und sank am Fenster angelehnt auf den Boden.
Langsam schloss ich meine Augen und wollte versuchen mich zu beruhigen, als ich einen warmen Körper an meiner Seite spürte und im nächsten Moment legte sich ein muskulöser Arm um meine Schultern. Ich musste meine Augen nicht öffnen, um zu wissen, wer diese Person war, die mich schützend in den Arm nahm. Mein Kopf legte sich automatisch auf die breiten Schultern, meine Augen immer noch geschlossen. Immer wieder entfuhr mir ein leises Schluchzen, während Rick mich einfach nur im Arm hielt ohne etwas zu sagen. Er war einfach still und genau dafür war ich ihm dankbar. Ich hatte jetzt nicht die Kraft dafür, um irgendetwas zu sagen, geschweige denn noch zu erklären warum ich mir wieder einmal die Seele aus dem Leib heulte.
Ich wusste nicht wie lange wir so da saßen, aber Rick umarmte mich einfach und wippte sanft und langsam mit mir immer wieder nach vorne und nach hinten. Dabei streichelte er liebevoll über meine Haare und meinen Rücken.

Nach einiger Zeit traute ich mich meinen Kopf zu heben und öffnete die Augen. Ich konnte direkt in Rick's klare Augen sehen, die mich sorgenvoll ansahen.
"Hey du", flüsterte er leise in meine Haare.
"Hey", krächzte ich. Meine Stimme war wohl immer noch angeschlagen vom Weinen.
"Wie geht es dir?", sagte Rick während er von mir wegrückte, um mir die Sicht freizugeben und sich direkt neben mir niederließ. Sein Arm lag dabei die ganze Zeit auf meinen Schultern und sein Blick ließ nicht von mir ab.
"Ich weiß nicht."
Und das war ehrlich. Ich wusste wirklich nicht wie es mir in diesem Moment ging. Ich war leer, in meinem Kopf schwirrte kein einziger Gedanke, was selten war.
"Willst du darüber reden?"
Rick massierte bei dieser Frage meinen Nacken mit seinem Daumen, während er mit der anderen Hand über meinen Oberschenkel strich.
Ich schluckte kurz schwer aber dann nickte ich.
"Ja."
"Was ging gerade in dir vor Emily?" Rick sah mir bei der Frage direkt in die Augen und dann fing ich an zu reden.
Ich hatte bei ihm irgendwie das Gefühl, dass ich ihm alles sagen könnte. Er war wie ein Anker der mich festhält, wenn ich in der Gefahr schwebte, abzukommen, oder was es noch besser traf: Mein Fels in der Brandung.
Mein Herz sagte mir, dass ich nichts vor ihm verstecken müsste, also erzählte ich ihm alles. Von dem Unfall, über den Tod meines kleinen Bruders, bis hin zu dem Rauswurf von meinen Eltern.
Rick hörte die ganze Zeit still zu und unterbrach mich kein einziges Mal.

Als ich fertig war verstummte ich, mein Blick abgewandt von ihm, aber Rick ließ es nicht zu, dass ich mich zurüczog. Er ergriff mein Kinn sanft mit seinen langen Fingern und drehte meinen Kopf in seine Richtung.
"Wieso hast du mir das nicht früher gesagt Emily?"
Bei der Frage zuckte ich einfach mit den Schultern.
"Ich hätte dir helfen können, ich hätte für dich da sein können und das nicht nur jetzt sondern schon davor."
Ich konnte erkennen, dass seine Augen feucht waren und senkte meinen Blick.
"Ich weiß. Es fällt mir nur einfach nicht so leicht darüber zu reden. Verstehst du?"
Im Augenwinkel sah ich Rick nicken.
"Ich weiß. Der Tod ist nicht einfach. Das musste ich selber lernen."
Fragend blickte ich ihn an.
"Meine Mutter ist vor nicht allzu langer Zeit an Krebs gestorben. Deshalb wohnt Elani auch bei mir. Damals war sie noch sechzehn und brauchte einen Erziehungsberechtigten", beantwortete Rick meine stille Frage.
"Und euer Vater?" Eigentlich wollte ich nicht weiter nachfragen, aber ich war zu neugierig. Noch eine verdammte Schwäche von mir.
Plötzlich veränderte sich was in Rick's Blick.
"Mit dem konnte man gar nichts anfangen. Er war Alkoholiker und war schon längst weg, bis unsere Mutter überhaupt die Diagnose bekam."
Ich spürte wie Rick sich unter mir anspannte, da ich halb auf ihm lag.
"Das tut mir leid", flüsterte ich leise und strich mit meiner Hand über seine Brust. Bei der Berührung lockerte sich sein Körper ein wenig.
Rick kam wieder näher und strich über meinen Haaransatz.
"Weißt du was Emily?"
Ich schüttelte mit dem Kopf.
"Wir unterstützen uns gegenseitig. Ich denke das könnte uns allen gut tun. Dir, Elani und auch mir."
Ich nickte als Antwort auf seinen Vorschlag und ließ mich zurück sinken.
"Ich lass dich nicht im Stich Maua", flüsterte er in mein Ohr.
"Maua bedeutet Blume auf Suaheli", fügte er leise hinzu.
"Suaheli?" Ich hatte meinen Kopf zu Rick gedreht und blickte ihn an.
"Meine Mutter kam aus Kenia. Elani und ich sind zwar hier geboren, aber sie hat uns trotzdem Suaheli beigebracht."
Bei dem Satz funkelten seine Augen leidenschaftlich.
Er musste seine Mutter sehr geliebt haben.
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und Rick wiederholte nocheinmal seinen Satz.

"Ich lass dich nicht im Stich Maua."

Tränen der TrauerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt