Kapitel 12

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Die Sache ist die: Normalerweise hasste ich es, wenn ich nicht wusste, was auf mich zukommt und wurde immer nervös, unruhig und konnte im schlimmsten Fall mit einer Panikattacke rechnen. In diesem Moment aber war ich verwundert, dass ich das genaue Gegenteil von mir war, wie beim ersten Mal, als ich mich mit Rick getroffen hatte. Nicht einmal mein Herzschlag veränderte sich. Ich hatte das Gefühl mich, nicht mehr zu kennen, denn sobald ich in der  Gegenwart dieses, eigentlich noch fremden, Mannes war, war ich einfach nicht mehr ich selbst. Er strahlte irgendeine Ruhe und Sanftheit auf mich aus, die ich einfach nicht zuordnen konnte, egal wie ich mich auch nur anstrengte. Leise stöhnte ich verzweifelt auf und hoffte, dass die anderen um mich herum, mich nicht gehört hatten, denn ich wollte einer Fragerei auf jeden Fall aus dem Weg gehen.

Völlig in meinen Gedanken versunken, wäre ich fast in Clara hinein gerannt, als sie und die anderen vor Rick's Wagen, oder vielleicht passte Schlitten besser, stehen blieben. Im Augenwinkel sah ich den verdatterten Blick meiner Freundin, als sie den Prosche sah und ich klopfte ihr kurz auf die Schulter.

"Einsteigen, meine Damen!", rief Rick und öffnete uns die hintere Autotür mit einer übertriebenen Handbewegung und ich und Clara kicherten leise, während wir einstiegen.
Sanft ließ ich mich auf einen der weißen Ledersessel nieder und streifte mit meiner Hand darüber. Sie waren glatt und kalt von der kalten Februar Temperatur. Ich hörte, wie Clara neben mir leise quietschte, als sie ebenfalls in einen der Sessel versank. Ich musste sie nicht ansehen, um zu wissen, dass sie total begeistert von diesem Auto war. Vor uns ließen sich jetzt Rick und Elani nieder.
"So, wollt ihr kuschelig, warmen Sommer oder eiskalten Winter?", fragte er mit einem grinsenden Blick nach hinten, seine Hand lag dabei auf dem Knopf der Heizung.
"Sommer!", schrie Clara neben mir und ich hatte die Befürchtung, dass sie gleich aus ihrem Sitz sprang.
"Okey, der Wunsch sei mir Befehl!", schmunzelnd drehte er sich wieder um und drückte kurz auf den Knopf, der die Heizung einschaltete. Dann schaltete der den Motor ein und kutschierte das Auto vom Parkplatz weg.
"Ey Rick, eine Autofahrt ohne Musik geht nicht!", rief Elani von ihrem Sitz aus und drehte das Radio auf, aus dem uns nun "I gotta feeling" entgegenscholl. 

Tonight's the night, let's live it up

I got my money, let's spend it up (a fee-)

Go out and smash it, like, "Oh my God"

Jump out that sofa, let's kick it, off 

Elani sang mit schiefer Stimme vorne mit, Clara stimmte irgendwann mit ein und ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass ich am liebsten Amok laufen würde, bei dem Gesang der mir entgegenkam. Dennoch musste ich die ganze Fahrt über grinsen. Die beiden hatten, auch wenn das Talent ein wenig fehlte, Spaß an dem was sie taten und das konnte ihnen keiner nehmen. Ich legte währenddessen meinen Kopf an die Fensterscheibe an und sah, wie die Häuser und Gebäude an uns vorbeizogen. Das leichte Vibrieren des Autos wirkte einschläfernd, also schloss ich die Augen und döste ein wenig vor mit her. 

Als ich nach einiger Zeit meine Augen wieder öffnete, traute ich meinen Augen kaum. Wir waren in Mitten von Manhattan, dem reichsten Viertel ganz New York's. Wer hier wohnte, hatte Kohle. Neben mir erstreckten sich die Hochhäuser bis in den Himmel und ich hatte das Gefühl, sie würden nicht mehr enden. Mit einem Blick zu Clara, sah ich, dass sie ebenfalls so baff war, wie ich und von vorne dröhnte uns ein leises Lachen entgegen, welches meine kleinen Armhärchen dazu brachte, sich aufzustellen. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus und Hitze stieg mir ins Gesicht. Wieso brachte mich dieser Mann mit den kleinsten Dingen so aus der Fassung? Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich mich zu beruhigen. Mittlerweise waren wir ein wenig außerhalb von Manhattan. Rick fuhr gerade einen leichten Hügel nach oben und dann sah ich sie. Die riesige, moderne weiße Villa, die sich wie eine Festung vor uns erhob, wie man sie aus Filmen kennt. Staunend blickte ich sie an. So lebte Rick also. Kein Wunder, dass dieser Porsche, nach seiner Ansicht, nichts besonderes sei. Elani kramte in ihrer Jackentasche und zog einen Schlüsselbund heraus, an dem ein kleiner Knopf, eine Art Fernbedienung, hing, die das Tor zu der Garage öffnete. Rick parkte geschickt seinen Wagen darin, als würde er den ganzen Tag nichts anderes machen. Bevor ich die Tür öffnen konnte, stand wieder einmal Rick vor mir und öffnete diese mit einer einladenden Handbewegung. Den Kopf schüttelnd, hievte ich mich aus den weißen Ledersitzen und ließ meinen Blick durch die Garage schweifen. Allein diese war größer als unser damaliges Familienhaus. Es war klein aber fein und trotzdem hatte ich es geliebt. 

Mit Clara folgte ich Rick und Elani durch die Eingangstür. "Ihr könnt eure Schuhe hier abstellen." Rick deutete auf einen kleinen Schuhständer. Also streiften ich und Clara unsere Schuhe ab und stellten sie, wie von Rick vorgeschlagen darauf. Dann folgten wir ihnen in ein Zimmer, vermutlich das Wohnzimmer, welches doppelt so groß war, wie meine ganze Wohnung. Ich ließ mich auf das graue Monstersofa fallen und versank darin. Mein Blick wurde fast magisch von den Bildern an der Wand gegenüber angezogen. Ich musterte sie kurz. Ein kleiner, breit grinsender Junge und ein kleines Mädchen, die sich an der Hand hielten. Vermutlich mussten das Elani und Rick sein. Ein küssendes Pärchen. Seine Eltern?  Ein kleiner Junge mit einem Rucksack in der Hand, ein paar Babyporträts und ein immens großes Familienporträt, welches fast die ganze Wand einnahm. Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie Elani sich hinter mich an die Lehne der Couch abgestützt hatte. "Gefallen sie dir?" Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch und fuchtelte herum. "Äh ja. Sie sind wunderschön." Ein wenig fühlte ich mich ertappt, deswegen zog ich meinen Kopf zwischen den Schultern ein. "Ist schon gut. Sie sind doch da, um angesehen zu werden." Elani musste meinen Blick bemerkt haben und lief um die Couch zu den Bildern. "Also, das ist Rick als Baby und das bin ich als Baby", fing sie an und zeigte abwechselnd auf ein paar der Babyfotos. "Das ist Rick bei seiner Einschulung. Meines hängt im Esszimmer und das bin ich an meinem ersten Tag im Kindergarten. Ich weiß noch, dass ich sowas von aufgeregt war. Rick war der Einzige, der mich damals beruhigen konnte." Ihre Hand glitt von dem Bild der händchenhaltenden Kinder zu dem Bild mit dem küssenden Pärchen. "Und das sind unsere Eltern." In ihrem Blick änderte sich etwas, er wurde dunkler und verschleierter, aber ich wollte nicht nachhaken, wieso. Also ließ ich es bleiben. 

"Hey, ich möchte euch ungern unterbrechen, aber was möchtet ihr für eine Pizza?" Mein Blick huschte in die Richtung aus der die Stimme kam und sah Rick im Türrahmen lehnen, der ein Handy hinter sein Ohr geklemmt hatte und eine Hand an das Mikrofon hielt. Hinter ihm stand Clara, die wild gestikulierte. Sie wollte zu 100%, dass ich keine Pizza Hawaii bestellte, aber genau das tat ich nun, allein, um sie ein wenig zu ärgern. "Pizza Hawaii für mich." "Und für mich!", rief Elani hinter mir und wir lachten beide auf, als wir Clara's schockierten Blick sahen. Rick zeigte einen Daumen nach oben und verschwand wieder aus dem Raum. Clara stand immer noch schockiert im Türrahmen und Elani und ich konnten uns nicht mehr einkriegen. Irgendwann lagen wir kichernd am Boden und erst als es nach 15 Minuten klingelte und unsere Pizzen ankamen, standen wir wieder zusammen auf. Kurz tätschelte ich Clara auf den Kopf. "Siehst du, Pizza Hawaii ist nicht so schlimm wie, du behauptest." "Tzz!" Ich erntete nur einen gespielt grimmigen Blick und half dann Rick, die Pizzakartons in das Esszimmer zu tragen, welches mindestens so groß war, wie das Wohnzimmer. 

Den restlichen Abend ließen wir mit Pizza, Spiele und Lachen ausklingen. Ich war so entspannt, wie seit drei Jahren nicht mehr und dachte, das erste Mal nicht mehr durchgehend an Lyam. Der Grund dafür war noch tief in mir verborgen. 

Tränen der TrauerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt