Kapitel 22

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Mit dicken Wollsocken und eingekuschelt in meine Lieblingskuscheldecke, saß ich auf meinem Bett, in meinem Ohr die Stöpsel meiner geliebten Kopfhörer. Die meisten hielten es für altmodisch, dass ich noch welche mit Kabel und nicht die supermoderne Bluetooth-Version benutzte. Mir war das alles aber herzlichst egal, denn es fühlte sich für mich falsch an, wenn ich das Kabel nicht vor mir herunterhängen hatte. Außerdem hatte es einfach einen anderen Flair, als diese kleinen Stöpsel, die man nur mit dem Handy verbinden musste.

Zufrieden ließ ich meinen Kopf mit geschlossenen Augen nach hinten fallen, während mir aus meinen Kopfhörern River Flows In You entgegen dröhnte.
Neben meiner heißgeliebten Popmusik hörte ich auch täglich klassische Musik. Sie beruhigte mich und regte zum Träumen an. Natürlich taten dies auch die anderen Musikgenres, aber bei der Klassischen war es eine ganz andere Nummer.

Meine Atemzüge waren tief und ruhig, als plötzlich meine Tür klackte und sich ein weiteres Gewicht in meine Matratze stemmte. Blinzelnd hob ich den Blick und sah einen grinsenden Rick neben mir sitzen, der gerade seinen Arm um mich legte.
Seit dem Tag, an dem Rick und ich am Boden in meinem Zimmer saßen und wir uns gegenseitig von unserem Leid erzählt hatten, sind wir uns wieder um einiges näher gekommen und es war zum Glück nicht mehr so angespannt.
"Na du", sagte er lächelnd und ließ sich ebenfalls nach hinten fallen.
Dabei machte mein Bett einen gefährlichen Runkler und ich hielt kurz die Luft an. Rick lachte nur amüsiert.
Schmollend blickte ich ihn an, aber er zog mich einfach näher an sich heran.
"Was hörst du gerade?"
Bevor ich allerdings antworten konnte, hatte Rick sich einen der Stöpsel geklaut und sich schon selber ins Ohr gesteckt. Kurz sah er überrascht aus, als er hörte, was für eine Art von Musik ich gerade hörte, aber dann wurden seine Gesichtszüge weich.
Er musste nichts sagen, denn sein Blick verriet mir, dass er sich ebenfalls in der Musik verlor, während ich ihn lächelnd beobachtete.
Seine Augen hatte er bereits geschlossen und sein Kopf wippte leicht zum Takt.
Wie ich ihn so beobachtete, fielen mir seine perfekt geschwungenen Lippen auf und am liebsten würde ich meinen Mund jetzt auf seinen legen und ihn wieder so spüren, wie damals im Studio.

Plötzlich öffnete Rick seine Augen wieder und lachte mich an. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer bei dem Geräusch und ich räusperte mich leise.
Rick stützte sich mit seinen Händen auf und nahm seinen Arm von meinen Schultern.
"Wieso sitzt du eigentlich hier, als wäre es tiefster Winter?" In seiner Stimme hörte ich einen leicht belustigen Unterton, aber selbst wenn man blind wäre, würde man sehen, dass er sich zwang nicht gleich loszuprusten.
Als Antwort zuckte ich einfach mit meinen Schultern und nagte an meiner Unterlippe herum.
Rick grinste weiter und schwang sich aus meinem Bett.
Himmel! Konnte dieser Mann eigentlich auch was anderes, als nur zu grinsen?
Konnte er anscheinend, denn er zog mich an meinem Arm hoch und ich taumelte dabei aus meinem Bett.
"Hey!"
"Na komm, mach dich fertig und dann entführe ich dich", lenkte Rick ab, stupste mir kurz auf die Nase und verschwand aus meinem Zimmer.
Lachend schüttelte ich meinen Kopf, aber tat, was er von mir verlangte.

Kurze Zeit später war ich unten am Auto. Rick stand angelehnt an seinen Wagen, mit angewinkelten Fuß, da. Seine Hände steckten in den Taschen einer halb zerrissenen Lederjacke, die er offen trug. Die dicken Wintermäntel hatten wir längst gegen etwas dünnere Jacken getauscht, denn obwohl es erst Ende März war, war es mittlerweile schon ungewöhnlich warm. Vor allem dann, wenn die Sonne zum Vorschein kam. So wie heute.
"Wo geht's dieses Mal hin?"
Ich blieb vor Rick stehen, der mir die Tür öffnete. Langsam wurde dies zur Gewohnheit und es fühlte sich komisch an, wenn er es nicht tat.
"Meine Antwort ist dieselbe Maua", sagte er lachend und schloss die Tür.
Ich rollte mit den Augen und ließ mich in dem Ledersessel zurückfallen, während Rick auf der anderen Seite auftauchte und den Motor startete.

Nach einiger Zeit waren wir ein wenig außerhalb von New York angelangt und vor der Windschutzscheibe tauchte der Strand am Breezy Point auf. Meine Augen vergrößerten sich, als Rick seinen Wagen auf den Parkplatz kutschierte und mir danach hinaus half.
Er schnappte erst einen Korb aus dem Kofferraum, dann meine Hand und zog mich hinunter zum Strand. Der Wind wehte mir um meine kleine, spitze Nase und zerzauste unsere Haare, aber Rick sah dabei unendlich attraktiv aus.
Während wir über den Strand liefen, rutschte mir Sand in meine Schuhe, der an meinen Füßen kitzelte.
Rick, der meine Hand fest in seiner hielt, drehte mich unter seinen Arm hindurch und blieb dann auf der Stelle stehen. Wir waren nur einige Meter vom Wasser entfernt und ich hörte das Rauschen, das die Wellen verursachten. Kurz schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf die beruhigenden Klänge. Als ich sie wieder öffnete hatte Rick eine Decke auf dem Boden ausgebreitet, eine Packung Eis in der Mitte davon, und umarmte mich von hinten. Auf meine Lippen huschte ein breites Lächeln und ich drehte mich zu ihm um.
Bevor ich etwas sagen konnte, hatte Rick mich auf die Decke gezogen und hielt mir mit einem frechen Gesichtsausdruck einen Löffel entgegen.
Er saß mir gegenüber und ich nahm in Rekordzeit den Löffel entgegen. Mit Feuereifer stach ich nun damit in die kalte Masse und schaufelte mir so eine Menge an Eis in den Mund, dass ich aussehen musste, wie kleiner Hamster, der gerade seine Backen vollstopfte. Rick lachte amüsiert und machte sich ebenfalls daran sich eine Ladung Eis in den Mund zu schaufeln, allerdings war ich schneller.
"Ich bin im Himmel!", lachte ich mit vollem Mund und stach gerade ein weiteres Mal in die cremige Masse. Allerdings war ich wohl ein wenig zu übermütig, denn plötzlich durchzog ein stechender Schmerz meinen Kopf.
"Ahhh Kälteschock!", rief ich fluchend und hielt mir meine Hand an den Kopf.
"Anfänger!", gab Rick zurück und grinste mich verschmitzt an.
Er wollte gerade einen weiteren Löffel hinausstechen, als ich den Eimer mit Eis an mich zog.
"Meins!"
"Deins?"
"Ja mein Eis!" Ich umklammerte das Eis mit meinen Armen und begutachtete es mit Argusaugen.
"Tja, da kann man wohl nichts machen", ergab Rick sich und ließ sich zurückfallen, den Blick in den Himmel gerichtet.
Zufrieden sah ich ihn an und löffelte weiter mein Eis.

Nach ein paar Minuten war weniger als die Hälfte übrig, was nicht zuletzt an mir lag.
Mit einem zufriedenen Seufzer leckte ich mir genüsslich über die Lippen und tat es Rick gleich.
Die Sonne war gerade am untergehen und tauchte ihre Umwelt in ein sattes Orange.
"Wunderschön", hauchte ich und beobachtete, wie der feuerrote Ball langsam hinter dem Horizont verschwand.
Rick hatte sich in der Zwischenzeit aufgesessen und hatte sich hinter mich hingekniet. Meinen Kopf nahm er zwischen seine Hände und legte ihn auf seine Oberschenkel ab, um ihn ein wenig zu massieren. Bei der Berührung grunzte ich leicht und hielt mir erschrocken meine Hand über den Mund.
"Niedlich", flüsterte Rick in mein Ohr.
"Jaja", ich rollte gespielt mit meinen Augen, während meine Hand an meinen Kopf griff.
Plötzlich rückte Rick weg. Überrascht sah ich auf und erblickte ihn, wie er an seinem Handy herumtippte.
"Rickkk", murrte ich ungeduldig.
"Gleich, gleich", vertröstete er mich und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das kleine Rechteck in seiner Hand.
Im nächsten Moment ertönte eine ruhige und langsame Musik aus seinem Lautsprecher und Rick zog mich an meinem Arm hoch, sodass ich an seiner Brust landete. Seine Hände wanderten an meine Hüfte und umschlungen sie sanft. Instinktiv legte ich meine Hände um seinen Nacken und ließ meine Stirn gegen seine sinken.
In einem langsamen Schwung tanzten wir über den Sand und ich blendete alles um mich herum aus. Meine Aufmerksamkeit galt in diesem Moment nur Rick und mir.
Dann hörte ich sie. Rick's warme und sanfte Stimme direkt an meinem Ohr.
"Emily?"
"Mhm?" Ich hob meinen Blick und sah direkt in Rick's eisblaue Augen.
"Der Kuss damals im Studio. Er hat mir sau viel bedeutet und ich kann das einfach nicht mehr leugnen. Du bist zu einem der wichtigsten Menschen in meinem Leben geworden und ich will zu dir gehören, weil ich mich in dich verliebt habe."
Bei den Worten regte sich alles in mir und mein Herz pumpte so viel Blut durch meine Adern, wie noch nie, aber das auszusprechen, was ich schon seit Wochen sagen wollte, fiel mir leichter als gedacht.
"Verdammt Rick! Mir geht es genauso."
Ich nagte nervös an meiner Unterlippe herum.
"Und ich will auch an deiner Seite sein und zu dir gehören!"
Rick's Augen fingen bei meinen Worten an zu leuchten. Mehr als ich es bis jetzt jemals wahr genommen hatte und dann lagen seine Lippen plötzlich auf meinen.
Rick küsste mich so sanft, wie beim ersten Mal und ich erwiderte es. Den Kuss, in dem so viele Emotionen lagen, die ich noch nie gespürt hatte. Es war ein hungriger, aber genauso sanfter Kuss und am liebsten würde ich meinen Mund nie wieder lösen. Und doch mussten wir es.
Atemlos lagen unsere Stirne aneinander, Rick's Atem kitzelte mir dabei im Gesicht. Im nächsten Moment drückte er mir einen weiteren Kuss auf die Nase, bevor er mich weiterzog.
Hand in Hand rannten wir am Meer entlang, als es plötzlich zu regnen begann.
Ich stieß einen spitzen Schrei aus, während ich über den Sand lief. Rick löste sich von meiner Hand, ließ sich ein wenig zurück fallen bis er hinter mir war und schlang seine Arme um mich. Er hob mich hoch und drehte sich im Regen um seine eigene Achse.
Es war bezaubernd und ich jauchzte laut, als er sich weiter drehte.

In diesem Moment war alles perfekt und ich dachte nur noch an uns. Allerdings trügte dieser Schein, was mein zerbrechliches Herz nicht merkte, denn schon bald würde die Bombe platzen, die Rick schon vor langer Zeit angezündet hatte.

Tränen der TrauerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt