Kapitel 10

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Rick

13:44 Uhr. Stellte ich mit einem Blick auf meine Armbanduhr fest und klopfte nervös mit meinem Zeigefinger auf die Tischplatte. Elani sollte eigentlich schon längst aus der Schule zurück sein. Nur Gott weiß, wo sie sich wieder einmal rumtrieb.

Elani war meine kleine Schwester und mit ihren 18 Jahren fiel ihr so mancher Blödsinn ein, der mich manchmal an den Rand der Verzweiflung trieb. Kurz musste ich lächeln als ich an ihren Namen dachte. Mein kleines fünfjähriges-Ich hatte ihn damals zusammen mit meiner Mutter ausgewählt.

Ein warmer Frühlingstag, die Sonne schien mittlerweile warm vom Himmel. Aneinander gekuschelt an meine Mutter, saß ich zusammen mit ihr in der Wiese des großen Gartens unseres Hauses. Die Vögel zwitscherten in den Bäumen und der Wind brachte deren Blätter zu einem sanften Rascheln. Vor uns lagen hunderte von Listen am Boden und meine Mutter nahm eine nach der anderen in die Hand und las die Namen, die darauf standen vor.
"Taya, ruhiger Fluss
Aayana, die ewige Blüte
Jasira, die Mutige."
Sie stoppte und sah mich an. Ich schüttelte heftig meinen kleinen Kopf.
"Nein Ma...das ist noch nicht dieser eine."
"Okey mtoto. Dann machen wir weiter."
Mtoto war suahelisch und bedeutete Schätzchen. Meine Großeltern hatten meine Mutter schon so genannt und sie hatte dies als Tradition weitergeführt. Meine Großeltern stammten beide aus Kenia, ihre jeweiligen Vorfahren sind vor hunderten von Jahren von Amerika nach Kenia ausgewandert. Nach und nach lernten ihre Vorfahren auch die zweite Amtssprache des Landes, Suaheli, bis die Generationen bei meiner Mutter angelanten. Sie war die erste, nach vielen Generationen, die zurück nach Amerika kam, der Liebe wegen. Auch ich konnte Suaheli sprechen, nicht so gut wie Englisch aber trotzdem ein wenig.
"Die nächsten Namen."
Ich hob mein kleines Köpfchen und sah in die Augen meiner Mutter. Sie hatten genau die gleiche Farbe, wie meine. Eisblau.
"Wir haben noch Kya, der Diamant im Himmel.
Aluna, der Mond
Lamia, die Glitzernde
Elani, die Leuchtende."
Meine Augen rissen weit auf und ich schlang meine kleinen Arme um den riesigen Bauch meiner Mutter während ich heftig nickte und meine braunen Locken hin und her flogen.
"Das ist er Ma. Elani!"
Meine Mutter lachte sanft.
"Eine gute Wahl mtoto."
Sie strich mir sanft eine Sträne aus den Augen und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe.
"Elani...", murmelte ich während ich fest an sie gekuschelt dalag.

Mit einem Schütteln riss ich mich in die Gegenwart zurück und stand vom Tisch auf. Mit verschränkten Armen lief ich zum Fenster und schaute hinaus, als in diesem Moment die Tür in das Schloss fiel.
"Elani! Was fällt dir ein! Ich war krank vor Sorge!", schimpfte ich sie an als sie vor mich in das Esszimmer trat.
Mit einem dumpfen Aufprall landete ihr Rucksack auf dem Boden und sie drückte sich an mir vorbei.
"Ich war unterwegs."
Ich rollte mit den Augen.

Na klar! Diese Austauschschülerin aus Seoul. Seit sie da war, bekam ich meine kleine Schwester kaum mehr zu Gesicht. Sie verbrachte ihre gesamte Zeit nur noch mit diesem Mädchen.

"Ich hab dir doch gesagt, dass du heute pünktlich nach Hause kommen sollst! Man Elani! Ich hab die Verantwortung für dich! Wenn dir etwas passiert bin ich dran!"
"Ich bin 18 und alt genug um auf mich aufzupassen! Außerdem bist du nicht Ma!", fuhr sie mich an und rannte aus dem Zimmer.
Ich zuckte bei diesen Worten schmerzhaft zusammen.
Unsere Mutter war vor zwei Jahren an Krebs gestorben und seitdem kümmerte ich mich um Elani. Ich war damals schon 21, sie erst 16 und sie brauchte damals einen Erziehungsberechtigten. Wir gingen zusammen durch die Hölle bis endlich vom Jugendamt genehmigt wurde, dass ich mich um sie kümmern darf.
Unseren Vater konnten wir damals nicht mehr fragen, da er damals schon längst nicht mehr bei uns lebte.
Ich legte meinen Kopf bei dem Gedanken in den Nacken, 16 war ich an dem schlimmsten Tag meines ganzen Lebens.

Tränen der TrauerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt