Kapitel 28

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Vor ungefähr drei Jahren...

Mein Leben lang hatte ich geglaubt, dass meine Eltern meine Helden waren.
Helden, wie diejenigen in glänzender Rüstung, die ich aus meinen Märchen kannte.
Helden, wie in Filmen und Büchern, die einen Menschen aus einem brennenden Haus retteten, sich vor bewaffnete Angreifer warfen oder aber auch ihr Leben für einen anderen aufs Spiel setzten und dabei sagten: Kein Problem.

Aber die bittere Wahrheit war, dass ich mein Leben lang nur davon geträumt hatte, dass ich eigentlich tief in meinem Inneren schon als Kind wusste, dass ich nicht wissen könnte, wie meine Eltern sich in einer brenzligen Situation entscheiden würden.

Würden sie, wenn es darauf ankommt, wirklich hinter mir stehen, für mich in das Schussfeuer rennen, den Brand löschen?
Oder würden sie sich doch zurückziehen und mich alleine stehen lassen?

Immer wieder hatte ich gehört, wie Eltern sagten, dass sie ihr Leben für das von ihrem Kind geben würden und das ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken.
Währenddessen fragte ich mich selber, ob meine Eltern jemals dasselbe gesagt hatten. Würden sie für mich sterben? Oder doch nur für Lyam?

In den ganzen Jahren war dieser Zweifel, ob meine Eltern diese Superhelden waren, die die Welt retteten, in meinem Inneren verankert gewesen. Aber gemerkt hatte ich ihn nie, oder hatte ich ihn nur nie zugelassen? Ihn verleugnet?
Bis zu dem heutigen Tag?
Der Tag, der all meine Zweifel wach rüttelte, an die Oberfläche holte und mich bis an mein Ende auseinander nahm.
Der Tag, zwei Tage nach Lyam's Tod....

"Sie dürfen heute entlassen werden Miss Campbell."
Der Arzt vor mir schlug seine Akte mit all meinen Informationen zu und sah mich an.
"Kommen Sie klar Miss?"
Stumm nickte ich, mein Blick war glasig. Ich hatte nur halb mitgehört, was der Arzt eben zu mir gesagt hatte. Dass ich gehen durfte, war das einzige, was ich verstanden hatte, aber freuen konnte ich mich nicht darüber, sondern ich hatte Angst.
Angst in diese Welt hinauszugehen, in der Lyam tot war, die Welt, in der ich nicht wusste, wie ich weitermachen sollte.
Mein Arzt nickte kurz, sah mich noch einmal an und drehte sich dann um.
Im Türrahmen blieb er nochmals stehen und wendete sich zu mir.
"Ich wünsch Ihnen viel Kraft für die kommende Zeit."
Dann war er verschwunden und ich verblieb allein in diesem weißen Zimmer. Es war unheimlich still. Nur das Ticken einer Uhr erfüllte den Raum, während ich mechanisch nach und nach meine restlichen Sachen zusammenpackte.

Nach der Nachricht, dass Lyam tot sei, war ich noch ein paar Tage mehr im Krankenhaus geblieben, da ich einen weiteren Zusammenbruch gehabt hatte und die Ärzte mich lieber noch eine kurze Zeit beobachten wollten. Mum hatte ich von diesem Tag an, nicht mehr gesehen, aber ich wusste, dass auch sie mit dieser Situation zu kämpfen hatte.

Langsam trottete ich ins Bad, um mir dort noch meine restlichen Sachen zu holen, die noch herumstanden.
Mit einem Blick in den Spiegel sah ich mich. Ich sah schrecklich aus. Meine Haare waren fettig, nicht gebürstet und zu einem unordentlich Dutt hochgebunden. Unter meinen Augen stachen die Augenringe, die das Ergebnis meiner schlaflosen Nächte waren, nur so hervor. Seufzend zog ich den Haargummi aus meinen Haaren und meine strähnigen Haarsträhnen fielen mir ins Gesicht. Ich griff nach der Bürste, aber hielt kurz inne, bevor ich mit ein paar Bewegungen durch meine Haare fuhr und diese zu einem Zopf zusammenband.
Zu mehr war ich im Moment nicht Imstande.

Langsam kramte ich die restlichen Dinge zusammen, warf sie in meine Tasche und zog den Reißverschluss zu.
Draußen auf dem Flur wurde ich noch einmal von meinem Arzt aufgehalten.
"Miss Campbell. Sie müssten bitte noch die Abschlussdokumente unterschreiben. Folgen Sie mir kurz zum Schalter."
Er deutete mit seinem Arm zu einem kleinen Informationsschalter und ich folgte ihm stumm.

Tränen der TrauerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt