Kapitel 13

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Vor ungefähr drei Jahren, direkt nach dem Unfall

Man sagt, dass wenn man stirbt, man anscheinend sein ganzes Leben einmal an sich vorbeiziehen sieht. Als wäre man im Kino und würde einen Film über sein eigenes Leben, mit den guten und den schlechten Dingen sehen.

Bei mir war es aber nicht so. Ich sah ein Leben nicht als Film an mir vorbeiziehen. Alles, was ich sah war Dunkelheit, ewige Dunkelheit, wie eine schwarze Hülle, die mich umgab.   

Ich suchte nach einer Lichtquelle, jedoch vergeblich und ich schrie, in der Hoffnung, jemand würde mich hören, doch niemand konnte es.

Die Schwärze umgab mich und wie in einem Horrorfilm gab es nur noch sie und mich. Es war mein eigener, mein persönlicher Horrorfilm. Allein auf mich angepasst.

Das Sterben war nicht schön, wie alle immer sagten, sondern trostlos. Doch ich war nicht tot, aber auch nicht lebendig. 

Mein Zeitgefühl ging nach und nach verloren. Ich wusste nicht, wie lange ich schon in dieser Hülle gefangen war. Waren es Minuten, Stunden, Tage oder vielleicht Monate?  

Immer wieder flackerte ein kurzer Lichtschein auf. Es versuchte die Dunkelheit zu durchbrechen, aber es schaffte es nicht. Weit entfernt nahm ich Stimmen wahr, aber ich konnte sie nicht verstehen. Ich versuchte mit meiner ganzen Kraft sie zu erreichen, aber erfolglos. Die Schwärze umgab mich wieder, wie eine Hülle. 

Ich kämpfte und kämpfte erfolglos, war gefangen in dieser Schwärze und wusste nicht, wie lange ich noch durchalten konnte.

Irgendwann gab ich auf und übergab mich, meinem Schicksal und in diesem Moment wusste ich, dass nicht alles an diesem Ort schlecht war. Ich fühlte eine unbeschreibliche Leere und Leichte. Alle Schmerzen waren vergessen, ich war hier sicher vor ihnen. 

Dann kamen plötzlich die Bilder von dem Unfall zurück. 

Lyam, wie er bewusstlos im Auto lag, das ganze Blut über ihn verschmiert, vergraben zwischen den Trümmern meines Autos. Ich hatte nicht die Gelegenheit gehabt, ihn noch einmal richtig anzusehen bevor die Schwärze mich übermannt hatte. Alles in mir sträubte sich gegen den Gedanken, dass er diesen Unfall vielleicht nicht überlebt hatte. Er musste es einfach überleben. Viel lieber würde ich an seiner Stelle sterben.

Und dann hörte ich sie. Stimmen, in weiter Entfernung. Sie klangen nicht so verschwommen, wie davor und ich konnte ein paar Wortfetzen von ihnen auffangen. Ich versuchte mich bemerkbar zu machen aber mein Körper sträubte sich und bewegte sich kein Stück.

Über mir konnte ich einen Funken Licht entdecken und versuchte ihn zu erreichen. Fest entschlossen, endlich aus dieser Schwärze zu entkommen, versuchte ich die Wortfetzen zu verstehen. Ich schrie, aber es kam kein Laut über meine Lippen. Verzweifelt versuchte ich das Licht mit einer Hand zu ergreifen. Ich wollte es nicht noch einmal verlieren.

Und dann war ich plötzlich, im nächsten Moment, wieder da. Zurück in meinem eigenen Körper.

Ein Schmerz durchzog mich und lähmte mich. Alles was ich sah, war ein Paar braune Augen, in die ich geradewegs starrte. Im nächsten Moment waren sie verschwunden. Ich wollte mich drehen und wenden, um mehr sehen zu können, aber mein Körper war immer noch wie erstarrt.

Dann überkam mich die Realität. Der Autounfall, Lyam, die Gewissheit, dass alles ein reales Ereignis war, das ich überlebt hatte. Aber was war mit meinem Bruder? Wo war er? 
Die Angst überkam mich und ich wollte nach ihm schreien aber ich bekam nurmehr ein Schluchzen über meine Lippen. Mit meinen Händen spürte ich etwas Hartes unter mir und ich krallte mich verzweifelt daran fest. 

Dann sah ich sie wieder über mir. Das Paar braune Augen und am Rande bekam ich mit, wie eine Stimme etwas sagte: "Sehr schwach....Krankenhaus....sofort!"

Ich wollte etwas sagen, öffnete meinen Mund und schloss ihn wieder. Ich war zu schwach, zu müde. Mein Griff drückte fester zu. Ich wusste nicht woran ich mich festhielt, aber dieser Gegenstand war gerade mein einziger Fels in der Brandung. Das Einzige, das mir in diesem Moment Sicherheit bot. 

"Lyam, Lyam, Lyam", schoss es mir immer wieder durch den Kopf. Ich hatte ihn nicht mehr gesehen. Wo war er nur? Ich war verzweifelt und panisch. Meine Angst, dass ihm etwas passiert war, wurde immer größer. Meine Augen waren panisch aufgerissen.

Im nächsten Moment spürte ich, wie ich mich bewegte, sah neben dem braunen Paar an Augen, noch mehr Augenpaare in allen möglichen Farben. Wie viele es genau waren, konnte ich nicht sagen. Vor mir drehte sich alles. Ich spürte, wie eine Hand meine ergriff und hörte eine mir sehr bekannte, sanfte Stimme. 

"Es wird alles gut meine Kleine."

Mum! Klar und deutlich konnte ich sie erkennen, obwohl ich sonst nichts um mich herum wahrnehmen konnte. Ich glaube, diese Stimme konnte ich immer und überall erkennen. Wie sie plötzlich an meine Seite kam, wusste ich nicht, aber ich wollte sie umarmen, ihre Küsse auf meinen Schläfen spüren, mich in ihre Armbeugen kuscheln. Der Schmerz, der meinen ganzen Körper immer noch durchfuhr, lähmte mich aber weiterhin und machte es unmöglich. Es war aber nicht nur dieser Schmerz, sondern auch die Ungewissheit um Lyam, die mich lähmten. 

Die Wärme der Hand meiner Mum hielt mich knapp bei Bewusstsein. Ich spürte, wie sie an meiner Hand den ganzen Körper hinablief und mich ein wenig wärmte. 

Ich wurde wieder müde, kämpfte dagegen an. Ich wollte nicht schon wieder gehen. 

Mein Griff umklammerte, die Hand und die Wärme meiner Mum immer fester. Ich musste bei Bewusstsein bleiben. Ihr zur Liebe. 

Das Blau das sich über den Augenpaaren befand, verschwamm und wandelte sich in ein Weiß um. Dann hörte ich einen dumpfen Knall, den ich nicht zuordnen konnte. Alles, was ich wusste war, dass Mum an meiner Seite war. Es gab mir eine Sicherheit.  

Immer wieder hörte ich ein Flüstern neben mir an meinem Ohr. 

"Du wirst es schaffen Emily. Es wir alles gut werden. Hörst du?" 

Dann sah ich sie wieder. Die mir allzu bekannte Schwärze baute sich wieder vor mir auf und umhüllte mich. 

"Bitte bleib bei mir Emily!" Ich nahm die Stimme nur noch gedämpft war. Vor mir drehte sich alles und ich schloss die Augen, um dieses Karussell meiner Umwelt auszublenden. 

Ich entglitt der Realität immer mehr, hörte ein Schluchzen entfernt von mir. Dann ein leises entferntes Piepsen. Ich wusste nicht woher es kam, aber es wurde immer schneller und schneller . 

Die Wärme meiner Mum, die zuvor durch meinen Köper floss, verschwand daraus und die schwarze Ewigkeit fing mich mit offenen und rettenden Armen auf.  

Tränen der TrauerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt