Kapitel 18

49 7 0
                                    

Vor ungefähr drei Jahren...

Ein streng monotones und immer wiederkehrendes Piepsen brachte mich zurück zum Bewusstsein. Benommen blinzelte ich kurz und schloss meine Lieder sofort wieder stöhnend, als ein Lichtstrahl mein Gesicht erreichte . Irgendwann öffnete ich sie halb und hob meinen Arm um meine Augen ein wenig zu schützen. Er war schwer wie Blei, aber ich bemühte mich ihn an Ort und Stelle zu lassen. Mit halbgeöffneten Liedern blickte ich durch das kleine Zimmer, in dessen Bett ich nun lag. Kahle weiße Wände, halb geschlossene, hellblaue Vorhänge und an der Wand gegenüber von mir ein Bild, dass ich nicht erkennen konnte, was es darstellen sollte. Wahrscheinlich war das wieder so ein Psychologie-Ding, in dem jeder was anderes sieht, ich jedoch konnte rein gar nichts daraus deuten. Sollte dieses Bild etwa die Patienten von deren Leiden ablenken? Pff....

Ich wollte meinen Kopf heben, als mich ein stechender Schmerz durchfuhr, als würde jemand mit einem Messer direkt in meine Brust stechen. Er lähmte meinen ganzen Körper und ich konnte nicht beschreiben, welche Körperregion am meisten weh tat, aber ich wollte es nicht darauf ankommen lassen, es herauszufinden.

Gerade war ich dabei meine Augen wieder zu schließen, als sich die weiße Tür öffnete und eine, mir sehr wohl bekannte Person, leise in das Zimmer huschte.

"Mum?", krächzte ich mühsam. Meine Stimme war immer noch nicht zurückgekommen und jedes Wort und jeder Atemzug strengten mich an. Am liebsten würde ich sofort wieder in diese schwarze Ewigkeit zurückfallen, in der ich keine Schmerzen gespürt hatte.

"Shh...du musst dich schonen Emily. Reden strengt dich jetzt zu sehr an Maus." Sie ließ sich neben mir auf einen der weißen Plastikstühle sinken und nahm dann meine Hand in ihre. Sachte streichelte sie darüber. Meine Mum war eine wunderschöne Frau, auch jetzt, obwohl ihre tiefen Augenringe zeigten, dass sie lange kein Auge mehr zu gemacht hatte. Ich streckte meine zweite Hand nach ihr aus und ein weiterer Schmerz durchzog meinen Körper, dabei fiel mein Blick auf meine verbundene Hand, aus der eine Kanüle ragte. An dieser war eine Infusion angeschlossen und langsam tröpfelte ein Tropfen nach dem anderen, aus der Flasche direkt in meine Blutbahn.

Dieser Moment zeigte mir, dass dieser Horror von Albtraum Realität war und ich war mittendrin.

"Lyam?", flüsterte ich und nahm all meine Kraft für dieses eine Wort zusammen.

Mum's Hand krallte sich fester um meine. "Shh...ich sagte doch du sollst nicht sprechen Maus."

Meine Kiefermuskeln spannten sich an, während meine Gedanken zu einem einzigen Strudel verschwommen. Schon an Mum's Reaktion merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Wo war Lyam? Warum war Mum so abweisend bei der Frage? Wie geht es Lyam? Warum, Wieso, Weshalb.....

Meine Gedanken kreisten nur so und mein Kopf dröhnte. Ich merkte, wie mein Atem wieder schneller wurde. Ich war kurz davor zu hyperventilieren.
Kopfschmerzen, Halsschmerzen, müde, schwindelig. Warum war mir auf einmal so furchtbar kalt?
Die Schmerzen wurden immer schlimmer und ich merkte, wie ich wieder wegkippte. Irgendetwas Kaltes legte sich auf meine Stirn und nur entfernt nahm ich wahr, wie eine fremde Stimme mich beruhigen wollte.
"Du musst tief ein und aus atmen Emily."
Ich bemühte mich zu tun, was die Stimme von mir verlangte.
Ein, aus, ein, aus.
Meine Bauchdecke hob und senkte sich langsam, aber wirklich beruhigen konnte ich mich nicht.
Neben mir sagte meine Mum etwas, aber ich vergaß es in der gleichen Sekunde sofort wieder. Ihre Hand streichelte über meinen Kopf. Abwesend nahm ich wahr, wie immer mehr Ärzte in das kleine Zimmer strömten. Weiße Kittel da, weiße Kittel hier. Mein Oberteil wurde hochgerissen, etwas Kühles legte sich auf meine Brust, an der Infusion wurde herumgefummelt und plötzlich mein Gesicht von irgendetwas umschlossen.
"Bald wird es besser." Die sanfte Stimme meiner Mutter erklang an meinem Ohr, aber ich war mir nicht sicher.
Ich war mir leider wirklich nicht sicher.
Würde es wirklich wieder gut werden?

Es wurde besser, aber erst nach zwei Tagen. Nach zwei endlos langen Tagen, in denen Ärzte ständig an mir herumfummelten und niemand mir etwas darüber sagen wollte, was mit Lyam ist und wie es ihm geht. Die Gedanken, die sich dabei heimlich in meinen Kopf schlichen, brachten mich fast um. Vielleicht hatte ich deswegen schon so oft diese Nahtod Erfahrungen erlitten. Wer wusste das schon so genau, ob es wirklich nur an den physischen Ursachen lag.
Mittlerweile bekam ich auch endlich wieder ein wenig Essen runter, ohne es wieder hochzuwürgen oder, den Schmerzen wegen, erst gar nicht hinunterzukommen.
Okey, es war nur klare Brühe aber wenigstens etwas.
Ich löffelte mir gerade eine Ladung in meinen Mund, als meine Mutter in das Zimmer kam. Wie die letzten zwei Tage, trug sie wieder eine Sporttasche voll mit meinem Zeug mit sich und räumte diese in den kleinen Kasten neben meinem Bett.
Ihr Kopf steckte in den Regalen und ihre Stimme war dumpf, als sie anfing zu sprechen.
"Wie geht es dir Maus?"
"Besser", nuschelte ich mit dem Löffel im Mund.
Wie jedes Mal, wenn sie vor mir stand, brennte mir diese eine einzige Frage auf der Zunge.
"Lyam...er...."
Mum musste wohl meine Gedanken gelesen haben, denn diese Worte trafen mich unverhofft. Sie hatte ihren Kopf aus dem Schrank zurück gezogen und lehnte sich, in meine Richtung blickend, daran an. Ihr Blick war ernst und es lag ein Schatten darin, den ich noch nie gesehen hatte.
"Was ist mit ihm?" Ich stützte mich mit meinen Händen auf, während meine Stimme kläglich brach.
Langsam kam Mum auf mich zu und setzte sich neben mir auf die Bettkante.
"Zuerst sollst du wissen...ich hab dir nichts gesagt, da du so schwach warst und ich dich nicht noch mehr beunruhigen wollte. Dein Kreislauf ist schon ohne diese Belastung ständig zusammengebrochen."
"Mum! Sag mir verdammt nochmal einfach was mit ihm los ist! Diese Ungewissheit bringt mich sonst noch um!"
Ihre Hand ergriff wieder die meinige und ich sah, wie sie einmal schwer schluckte.
"Du musst jetzt stark sein, okey?"
"Ist er tot?" Meine Augen brannten, Tränen kündigten sich an.
Gott! Scheiße! Er war tot!
"Nein Emily! Nein!"
Verwirrt hob ich meinen Blick.
"Er liegt seit dem Unfall im Koma Emily. Sein Kreislauf ist einfach zu instabil, dass die Ärzte ihn wieder zurückholen könnten. Aber sie sind zuversichtlich, dass sie ihn, wenn keine Komplikationen dazwischen kommen, in den nächsten Tagen aus dem Koma holen können."

Die Worte trafen mich, wie ein Messerstich und ich spürte nichts mehr, ich wollte einfach nur noch zu ihm. Ein sanfter Griff hielt mich zurück und ich schrie auf. Weinen konnte ich nicht, der Schock ließ es wohl nicht zu. Das Einzige, was ich konnte war schreien. Immer lauter schreien und alles zu verfluchen, warum es ihn getroffen hatte. Ich schlug um mich, die Hände meiner Mutter an meinen Rücken. Ich schrie weiter bis ich keine Stimme mehr hatte und auf dem Bett keuchend zusammen sackte.
"Shh Maus. Es wird alles gut. Er ist ein starker Kämpfer."

Wie konnte sie so zuversichtlich sein?
Würde wirklich alles wieder gut werden? So wie früher?
Ich wusste es nicht und werde es nie wissen können.

Tränen der TrauerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt