Im falschen Film

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Da stehe ich in der schmalen Diele mit der zerknirschten Kate  – die ein Handy am Ohr hat – und einem Typen, der nicht Luke ist und dessen Blick ich nicht deuten kann.

Er wirkt selbstsicher und zeitgleich nervös. Er mustert mich, wie die meisten Menschen, die mich zum ersten Mal sehen. Doch ich trage heute keine Kleidung aus der Frauenabteilung, sondern nur ein taupefarbenes, enges Longsleeve und eine schwarze enge Jeans.

Aber wahrscheinlich ist es das verlaufene Make-up, das ihn irritiert. Da er mich ganz verholen anschaut, streiche auch ich mir nun die störende Haarsträhne aus dem Gesicht und starre ihn an.

Er ist ist mindestens einen Kopf größer als ich, seine letzte Rasur liegt wohl schon ein paar Tage zurück und aus dem Kragen seines T-Shirts ragt die Spitze eines Tattoos. Seine Kleidung ist nichts Besonders, wahrscheinlich legt er keinen Wert auf Mode, doch sein Äußeres ist trotzdem gepflegt.

Das verraten auch seine strahlendweißen Turnschuhe. Neben diesen fallen mir nun auch die zwei großen Reisetaschen auf. Kate die zwischenzeitlich telefoniert hatte, kommt nun aus der Küche zurück und erst jetzt fällt mir auf, dass der Typ, der nicht Luke ist, sich mir immer noch nicht vorgestellt hat.

„Also Jungs, es ist so. Luke und ich habe das Zimmer leider doppelt vergeben", sagt Kate und schaut uns dann nervös an. „Aber ich habe einen Mietvertrag", sage ich und nehme die Tasche von der Schulter, um diesen rauszuholen.

„Ich weiß, Nicolai, aber Luke hat auch einen Vertrag mit ihm hier gemacht." „Also ich habe einen langen Flug hinter mir und würde jetzt einfach gerne auf mein Zimmer", sagt der Braunhaarige, als würde es ihn nicht im Geringsten interessieren, dass mir diese Zimmer genauso zusteht.

Normalerweise hätte ich meine Sachen gepackt und wäre gegangen, um der Konfrontation aus dem Weg zu gehen, aber ich wüsste nicht wohin. Klar könnte ich ein paar Tage bei Ashley unterkommen, aber dann bliebe mir nur noch Tante Ruth.

„Mein Zimmer meinst du wohl." „Ich war zuerst hier. Wie sagt man so schön, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Also, welche Tür ist es?", sagt er zu Kate gewandt und lässt mich links liegen.

„Ich rufe jetzt meine Eltern an", sage ich als letzten Ausweg. „Gut, dann können sie den kleinen Nicky ja abholen." Es folgt ein abschätziger Blick in meine Richtung und dann ein triumphierendes Lächeln in Kates.

„Also Jungs, meint ihr nicht, ihr könnt euch hier irgendwie einigen, bevor es in einem Rechtsstreit endet?" „Kann ich erstmal das Zimmer sehen?", fragt er und Kate geht voran und öffnet die Tür. Er verschwindet im Inneren, während Kate und ich im Türrahmen stehen bleiben.

„Gut, dann teilen wir uns das Zimmer halt. Ich bin in ein paar Monaten sowieso wieder weg. Ich nehme das Bett." Ich bin so überfahren von seiner plötzlichen Kehrtwende, dass ich ihm im ersten Moment gar nicht widersprechen kann und mit ansehen muss, wie er es sich auf dem Bett gemütlich macht.

„Und wo soll ich schlafen?" „Wir haben noch eine Matratze, die kannst du haben", wirft Kate ein. „Der Kleiderschrank gehört mir. Du kannst die Kommode haben", fordere ich. „Von mir aus, habe sowieso kaum Sachen."

„Super Jungs, da fällt mir echt ein Stein vom Herzen. Den Schreibtisch stellen wir raus, dann kannst du dort die Matratze hinlegen. Die Miete teilt ihr euch natürlich. Also ist das wohl für alle 'ne Win-win-Situation."

Noch kann ich dieser Situation nichts Gutes abgewinnen, denn ich habe gerade meine neu gewonnen Freiheit gegen den letzten Rest Privatsphäre getauscht. 

Der Typ, der nicht Luke ist, liegt einfach stumm auf dem Bett, während ich den Kleiderschrank in Beschlag nehme und Kate irgendwann, mit Luke im Schlepptau, die Matratze ins Zimmer schiebt. „Tut mir leid wegen des Chaos, aber cool, dass ihr beide bleibt. Wir werden bestimmt viel Spaß haben", sagt Luke, während er mit mir zusammen den Schreibtisch aus dem Zimmer trägt.

Er sieht verdammt gut aus, nicht so gut, wie das Exemplar in meinem Zimmer, aber von der Bettkante würde ich ihn nicht stoßen. Ashley erst recht nicht, er ist voll ihr Typ mit seinem Sunnyboy-Gehabe. Ich werde sowas von abgeschrieben sein, wenn sie auf ihn trifft. Deshalb hoffe ich, ein Zusammentreffen noch ein wenig hinauszögern zu können.

Mit meiner Kulturtasche bewaffnet gehe ich ins Bad und falle fast tot um bei meinem Anblick im Spiegel. Der ganze Mascara ist verschmiert, worauf mich netterweise keiner meiner neuen Mitbewohner hingewiesen hat. Schnell frische ich mein Make-up auf, als plötzlich mein Zimmergenosse im Bad erscheint.

„Ich bin übrigens Chris", sagt er und hält mir die Hand hin, nach der ich dann beherzt greife. „Nicolai." „Und wie soll ich dich nennen? Nick oder Nicky?" Ich schaue ihn durch den Spiegel aus an. „Nicolai, einfach Nicolai." „Okay", sagt er daraufhin und zieht die Augenbrauen hoch.

Ich muss mich regelrecht von seinen hellbraunen Augen losreißen und beginne mein Parfüm und das Make-Up in das freie Regal zu stellen. „Wieviel Platz brauchst-" Weiter komme ich nicht, denn er greift an mir vorbei und stellt sein Deo und den Rasierschaum in das Regal neben meinen Sache und streift dabei leicht meinen Arm.

Meine nicht vorhanden Haare an den Armen stellen sich auf und überziehen diese mit einer Gänsehaut. „Frierst du schnell?", fragt er darauf hin, aber ich fühle mich ertappt und von meinem Körper verraten. „Nein, eigentlich nicht." Doch nun streife ich schnell meine Ärmel runter. „Gut, ich schlafe nämlich gern bei offenem Fenster."

Ich drehe mich um und stütze mich auf dem Waschtisch ab. „Ich will kein Stress. Ich will einfach, dass das mit uns klappt." „Dann sind wir uns ja einig."

Dann zieht er sich die Hose runter und setzt sich mit seinem nackten Arsch aufs Klo. Natürlich, wer macht das nicht, aber doch nicht im der Anwesenheit eines Fremden. Mit der Hand über meinen Augen, stolpere ich aus dem Bad und weiß nicht, wie ich diese Bilder je wieder aus meinen Kopf bekommen soll.

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