Mit der einen Hand halte ich meinen brummenden Schädel fest und mit der anderen suche ich nach Halt auf der Matratze. Ich hebe die Decke an, unter der meine Hose immer noch in den Kniekehle hängt und mein Oberteil mit Sperma verklebt ist. Also doch kein Traum.
Was zum Teufel ist das? Mein Blick fällt auf die andere Seite des Zimmers, von dem aus das fiese Schnarchgeräusch kommt. Wenn Chris getrunken hat, ist es noch schlimmer als sonst schon. Aber warum liegt er in meinem Bett und ich alleine in seinem?
Nach einem wilden Kampf mit meinem Oberteil streife ich es endlich über den Kopf. Wechsele dann noch schnell meine Hose, bevor ich an mein Bett herantrete und den schlafenden Chris beobachte. Mein Kissen hat er fest umklammert, meine Decke unter einem Bein begraben. Nur in Boxershorts liegt er da und alleine der Gedanke an das, was darin steckt, lässt mich wieder hart werden.
Zu gerne würde ich mich zu ihm ins Bett legen. Zu gerne wüsste ich, warum er heute Nacht vor mir geflohen ist, wo wir uns gegenseitig doch so glücklich gemacht haben. Doch natürlich habe ich nicht den Mut, ihn zu wecken und ihn zu fragen, ob er Interesse an einer zweiten Runde hat.
Als ich in die Küche komme sitzt dort Kate und von Luke ist weit und breit nichts zu sehen. „Guten Morgen, wie war die Nacht?", frage ich sie und nehme am Kopfende Platz. „Super, wenn man nichts trinkt, geht es einem am nächsten Morgen gleich viel besser. Und dir? Brummt der Schädel?" „Kaum", sage ich, obwohl er kurz vorm Zerspringen ist.
Dann beobachte ich sie, aber nichts verrät, ob sie gestern mit Luke geschlafen hat. „Wo ist Luke?" „Bei einem Geburtstagsbrunch." „Wo ist Chris?", fragt sie im Gegenzug und grinst. „In meinem Bett. Also-" „Erzähl mir alles", unterbricht sie mich. „Nicht das, was du denkst. Er ist in meinem Bett eingeschlafen und dann musste ich halt in seinem schlafen." „Langweilig." „Was dachtest du denn?" „Mhm, weiß nicht. Dass ihr übereinander hergefallen seid und er dich gefickt hat."
Der Inhalt des Glases Orangensaft ergießt sich in einem Rinnsal über dem Tisch, als Chris in Kates Rücken die Küche betritt. Er wirft mir einen vernichtenden Blick zu und schüttelt dann langsam den Kopf. Kate ist derweilen mit der, durch mich verursachten, Schweinerei auf dem Tisch beschäftigt.
Doch ich kann meinen Blick nicht von Chris abwenden. Erstens, weil ich nicht weiß, was er mit sagen will und zweitens, weil ich ihm komplett verfallen bin. Nun hat auch Kate den Braunhaarigen in ihrem Rücken entdeckt. „Ach, guten Morgen, Chris! Willst du auch noch was frühstücken?" „Nein danke, Kate. Ich muss noch weg." Dann wendet er sich ab, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.
Ich fühle mich, wie der One-Night-Stand, der es gewagt hat bis zum Frühstück zu bleiben. Mein dummes Herz tut einfach so verdammt weh und ich frage mich, was ich schon wieder falsch gemacht habe.
Am Nachmittag gehe ich wieder zu Tante Ruth und habe ihr gerade gezeigt, was wir für die Abschlusspräsentation tanzen. Natürlich nur den klassischen Teil und nicht das Rumgehopse, was Chris uns beibringt. Ich liebe es mit ihr übers Balletttanzen zu reden. Sie holt eine alte Kiste heraus in der sich noch ihre Ballettschuhe befinden. Eine Stück Geschichte.
„Hast du je deine Entscheidung bereut, das Tanzen für die Liebe aufgegeben zu haben?" Sie lächelt milde. Wer ist diese Frau? Wie konnte ich all die Jahre so ein falsches Bild von ihr haben? „Bei jedem Streit mit deinem Großonkel. Aber das kam nicht häufig vor. Ja, bedauert, dass nicht beides möglich war. Aber bereut habe ich es nie."
Ich nicke und lege die Ballettschuhe zurück in die Kiste. „Warum fragst du das? Gibt es da bei dir vielleicht jemanden? Ein..." Sie stockt und mustert mich von oben bis unten. „Einen Jungen?" Keine Ahnung, warum es mich erröten lässt, über die Liebe mit Tante Ruth zu sprechen.
Vielleicht, weil ich keine Ahnung habe, wie sie über gleichgeschlechtliche Liebe denkt. Vielleicht lässt mich auch der Junge - der eigentlich ein Mann ist -, an den ich denken muss, rot werden.
„Ja, es gibt da jemanden." „Und er will nicht, dass du tanzt?" „Oh, doch er ist selber Tänzer, aber..." „Er mag dich nicht so, wie du ihn?", schlussfolgert sie. Ich schüttele den Kopf, diese Erkenntnis kommt zu früh. Heute Nacht waren wir uns so nah, aber für Chris war es nur sexuell. Er war nicht mit dem Herzen dabei, was auch den Blick am Frühstückstisch erklärt.
„Dann schlag ihn dir aus dem Kopf. Geh ihm aus dem Weg. Sorge dafür, dass er dich nicht ablenkt, deine Ziele zu erreichen." Ich nicke, denn ich will ihr nicht erklären müssen, dass ich mir neben dem Zimmer auch noch den Tanzsaal mit ihm teile.
Doch Chris aus dem Weg zugehen erweist sich nicht als größtes Problem, denn er spricht die nächste Zeit kein Wort mit mir und kommt nur zum Schlafen in unser Zimmer. Immer wenn ich versuche ein Gespräch zu beginnen, wimmelt er mich ab. Sei leise, ich lese gerade. Ich muss nochmal weg. Mein Zimmergenosse ist um keine Ausrede verlegen.
Mein Herz heilt dadurch jedoch nicht schneller. Ganz im Gegenteil. Ich will, dass er mich wieder mag, dass er auf mir rumhackt, mich aufzieht. Aber nichts, bis zu der Tanzstunde zwei Wochen nach unserem Tête-à-tête.
Inzwischen sind wir bei den Tanzschritten –wenn man das so nennen kann – vom zweiten Akt angekommen und ich bin realistisch gesehen immer noch nicht der Beste, aber weitaus auch nicht mehr der Schlechteste. Ich halte mich aber in letzter Zeit lieber im Hintergrund, um Julien und auch Chris aus dem Weg zugehen.
Wir sind gerade bei der Hälfte des Aktes angekommen, als Chris plötzlich die Musik ausstellt. „Nicolai, was soll der Scheiß?", hallt es durch den ganzen Tanzsaal. Das Mädchen neben mir zuckt sichtbar zusammen. Nie zuvor hat der Tanzsaal ein Schimpfwort gehört. Wenn geflucht wird, dann bitte auf Französisch und in einem angemessenen Rahmen.
Ich schaue Chris irritiert an, aber sage kein Wort. „Willst du hier alle durcheinander bringen?"
„Was?"
„Du warst die ganze Zeit neben dem Takt!"
„Nein, das war ich-"
„Setz dich an den Rand. Die Anderen machen ohne dich weiter", unterbricht er mich und wendet sich dann wieder der Musikanlage zu.Wuttränen bilden sich in meinen Augen. Einen Scheiß war ich neben dem Takt. Dann trifft mich auch noch Juliens hämischer Blick und ich stürme raus aus dem Ballettsaal. Ich höre noch, wie Chris mir nachruft. „Ich habe dir nicht erlaubt das Training zu beenden. Das wird Konsequenzen haben."
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Baumkronenschüchternheit
RomanceAchtung! Diese Geschichte wird überarbeitet! „Ich will dir nicht wehtun", flüstert er. „Ich weiß doch längst, dass du es tun wirst. Ich habe mich schon darauf vorbereitet. Also warum vorher nicht ein bisschen glücklich sein?" Der 17-jährige Nicolai...