Das Tortendebakel

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„Das war schön", wiederhole ich nun schon zum fünften Mal. Das Wasser prasselt in meinen Nacken und in meinem Inneren läuft mein ganz eigener Porno. Chris hat recht, nach dieser Dusche liebe ich den Geruch von Kokos, denn er erzeugt wunderbare Bilder in meinem Kopf.

Aber mit einer Sache hat Chris unrecht. Das hier wird sich garantiert wiederholen. Wenn er das Ganze auch nur halb so geil fand wie ich, dann wird es ihn wieder in mein Bett treiben. Da bin ich mir ziemlich sicher. Geduld ist vielleicht nicht meine Stärke, aber ich werde warten und ihn mit offenen Armen empfangen.

Nachdem ich mich abgetrocknet habe, föhne ich meine Haare und stopfe dann Chris' und meine Sportsachen in die Waschmaschine. Ich mache immer unsere Wäsche von Anfang an. Wie bei einem alten Ehepaar. Nur mit einem Handtuch um die Hüften verlasse ich schließlich das Bad, als Kate gerade zur Wohnungstür reinkommt.

Sie pfeift mir hinterher. „Sexy, sexy", sagt sie und Luke kommt ganz zufällig aus seinem Zimmer. „Ich koche uns gleich eine Kleinigkeit. Sagst du Chris noch Bescheid?" „Mach ich", rufe ich ihr in die Küche zu, bevor ich tief Luft hole und unser Zimmer betrete.

Chris sitzt auf dem Bett und zieht sich gerade die Socken an. Ich gehe zum Kleiderschrank und überlege wie ich möglichst schnell den Handtuch-Boxershorts-Wechsel vollziehen kann, ohne dass Chris mich sieht. Quatsch natürlich, er hat mich vor wenigen Augenblicken sowieso nackt gesehen. Aber jetzt ist das irgendwie etwas anderes.

Ich drehe mich zu ihm um, mit der Unterwäsche in der Hand und unsere Blicke verschränken sich sofort miteinander, was mich in der Annahme bestärkt, dass er mich angestarrt hat.

„Würdest du dich wegdrehen, wenn ich mich anziehe?", bitte ich ihn. „Klar, ja das mache ich", sagt er und schnappt sich sein Buch, bevor er mir den Rücken zuwendet. Schnell schlüpfe ich in meine Boxershorts und ziehe eine schwarze Stoffhose und einen kuscheligen Oversized-Pullover drüber.

„Ich bin fertig", rufe ich ihm zu, bevor ich mich mit meinem Aufsatz für die Schule aufs Bett fallen lasse. „Ist alles okay zwischen uns?", fragt er nun und ich schaue rüber zu seinem Bett.

Fuck, nein! Nichts ist okay, denn ich will ihm am liebsten die Kleider vom Leib reißen und...Ich nicke. „Alles okay."

„Gut, ich will nicht, dass das wieder komisch zwischen uns wird. Dass du da zu viel reininterpretierst und ich mich wieder wie ein Arsch benehme und dann-" „Pscht", mache ich und lege mich auf den Bauch. „Was?", fragt er irritiert. „Hör auf zu reden. Ich muss jetzt noch was für die Schule machen und du nervst."

Ein kehliges Lachen verlässt seine Lippen. Es ist so sexy, dass ich mich nur schwer auf den Aufsatz vor mir konzentrieren kann, doch dann verstummt Chris und ich entspanne mich langsam wieder.

Eine Stunde später sitzen wir zusammen mit Kate und Luke beim Abendessen. Wir versuchen mindestens zwei mal die Woche zusammen zu essen. Damit wir nicht irgendwann Fremde sind, die nur zusammen wohnen. Wie schlecht die drei mich allerdings kennen, zeigt sich, als Kate die Buttercremetorte auf den Tisch stellt.

„Ist bei der Arbeit übrig geblieben. Das Brautpaar hat sie einfach nicht abgeholt. Da hat wohl jemand kalte Füße bekommen." Auf der Torte steht Monica und George forever, aber Kate schneidet die Torte gerade in der Mitte durch.

Sie sieht fantastisch aus und vor meinem inneren Auge sehe ich mich auch schon Unmengen in mich hineinstopfen. „Für mich bitte nicht", sage ich und mir fällt eine riesige Last von den Schultern. Ich habe den Kreislauf durchbrochen.

„Ach komm, Nicolai. Ein Stück geht doch", sagt Kate, aber ich schüttle den Kopf. Nun schiebt mir Chris sein Stück vor dir Nase. „Das hast du dir verdient."

„Ich will nicht, okay?" sage ich laut. „Kein Problem, dann bleibt mehr für uns", sagt Luke. „Nein, das ist nicht okay. Du hast heute zwei Mal trainiert und du solltest dir wirklich was gönnen", sagt Chris. Am liebsten würde ich jetzt einfach abhauen.

Ich will nicht, dass Chris denkt, dass ich eine Memme bin. Er hat mich heute so begehrt. Ich will das nicht wieder kaputtmachen und ihn darin bestärken, dass ich schwach bin. Aber ich bin es, ich habe heute keine Kraft für diesen Kampf.

„Ich kann das jetzt nicht essen und ihr dürft mich nicht zwingen", sage ich und ich hoffe einfach, dass meine Mitbewohner es drauf beruhen lassen. „Es zwingt dich doch niemand, Nicolai", sagt Kate. „Aber du hast echt 'ne Hammerfigur, du kannst dir doch was gönnen."

Meine Mitbewohner machen mich nervös und der Kuchen vor mir noch mehr. Wäre die Sache mit den Pralinen heute nicht gewesen, hätte ich das nun besser ertragen können. „Der ist wirklich gut", sagt Chris mit halb vollem Mund.

„Ich hatte...ich habe eine Essstörung", sage ich geknickt. Nun stellen Chris und Luke das Essen ein und Kate legt ihre Hand auf meinen Unterarm. „Nicolai, warum sagst du uns denn sowas nicht? Das tut mir so leid. Du bist so schlank, dass hätte ich einfach nicht gedacht."

Ich schaue nur zu Kate, denn ich ertrage Chris' Blick nicht. „Das ist lieb, dass du das sagst, aber bitte las das, denn objektiv betrachte ist das so, aber subjektiv kann ich das nur schwer sehen. Es ist auch alles gut. Ich habe das im Griff, aber an Tagen, wie heute...ist es schwer dagegen anzukämpfen."

Ich erhebe mich vom Tisch, denn ich habe alles gesagt. „Nicolai, bleib doch bitte hier", ruft Kate. „Alles gut, ich muss jetzt nur mit meiner Mutter sprechen", sage ich bevor meine Stimme versagt. Dann flüchte ich in unser Zimmer.

Nach drei Freizeichen nimmt sie bereits ab, aber ich schluchze einfach ins Telefon. „Nicolai, was ist los? Geht es dir nicht gut? Hattest du einen Rückfall?" Langsam beruhige ich mich wieder.

„Nein Mama, alles gut. Ist heute nur alles zu viel", sage ich nachdem ich mich einigermaßen beruhigt habe. „Nicolai, hast du dich übergeben?" „Nein", sage ich sofort. „Ich habe den anderen gerade von meiner Essstörung erzählt. Du kannst Kate sprechen, wenn du magst." „Ich glaube dir, Nicolai. Ich weiß, dass du mich nicht anlügen würdest."

Autsch, das tut weh. Aber sie ist soweit weg, es bringt nichts, wenn sie sich auch noch Sorgen um mich macht. Dann bitte ich sie, mir ein bisschen von Toni und ihrem neuen Job im Krankenhaus zu erzählen, bis schließlich Chris ins Zimmer kommt und ich das Telefonat beende.

Er setzt sich neben mir aufs Bett. „Es ist meine Schuld, oder?"

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