Machogehabe

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Vor dem Ballettstudio übergebe ich unauffällig Chris meine Tasche und treffe mich dann im Einkaufszentrum mit Kate. Sofort harkt sie sich bei mir unter, als würden wir uns schon Ewigkeiten kennen.

„Ich wollte mich bei dir bedanken."
„Wofür?", frage ich scheinheilig.
„Du weißt, wofür. Für den Abend zu zweit gestern."
„Chris brauchte meine Hilfe."
„Ja, natürlich brauchte er das", sagt sie lächelnd. „Seit wann stehst du eigentlich auf ihn?" Ihre Frage hängt sekundenlang in der Luft. Sie hat mich ertappt.

„So offensichtlich?" Jetzt macht sie sich von meinem Arm los und springt wie ein kleines Kind neben mir her. „Ich wusste es, ich wusste es." Sie hat mich reingelegt. „Du wusstest es gar nicht."
„Nein, gewusst nicht, aber zwischen euch brennt die Luft. Das sieht doch ein Blinder."
„Findest du? Ich habe das Gefühl, dass er ständig auf mir rumhackt."
„Was sich liebt, das neckt sich."

Kate ist so verknallt, dass ihre Sicht durch ihre rosarote Brille wohl etwas getrübt ist. „Wie findet du das?", fragt sie und zeigt auf ein schwarzes Paillettenkleid in einem Schaufenster. „Steht dir bestimmt gut."

Zehn Minuten später kommt Kate in eben diesem Kleid aus der Umkleide. Sie sieht heiß aus und das weiß sie auch. „Das wird Luke umhauen."
„Meinst du?" Ihre Frage ist rhetorisch. Ich mag Kate, sie hat ihren Platz in der Welt scheinbar schon gefunden. Sie weiß, was ihr steht und sie weiß, was sie will.

„Trägst du auch Kleider?" Ich muss grinsen bei ihrer Frage. Tatsächlich habe ich, seit dem ich ein Kind war, nie wieder ein Kleid getragen. Es geht mir nicht darum, weiblich durch Kleidung zu wirken. „Nein, ich habe auch gar nichts gegen Kleidung für Männer. Nur gibt es einfach so viele tolle Sachen für Frauen. Körperbetonte Kleidung, fließende Stoffe. Ich liebe Spitze. Aber Kleider oder Röcke sind an mir für mich undenkbar." „Okay, also darf es was Verspieltest sein?" „Ja, ich denke schon."

Sie zieht mich weiter in den nächsten Laden, in dem ich eine tolle Bluse, die sich super auf der Haut anfühlt, anziehe, aber Kate verzieht das Gesicht. Dann klingelt mein Handy und ich rolle genervt mit den Augen. Chris schreibt mir, dass ich nicht vergessen soll zu essen. Also holen Kate und ich uns einen leckeren Smoothie und bummeln dann weiter.

Im nächsten Geschäft probiere ich ein halbtransparentes Oberteil an, aber ich fühle mich unwohl. Danach schmeiße ich mich in ein schwarzes ärmelloses Oberteil mit einem kleinen Stehkragen. An der Vorderseite hat es Spitzenvolants.

„Das ist es", kreischt Kate und klatscht in die Hände. Dann schließt sie noch die Knopfleiste in meinem Nacken und ich betrachte mich im Spiegel. „Meinst du..." „...Chris gefällt es?", ergänzt sie meinen Satz. Ein roter Schimmer legt sich auf meine Wangen. „Ja, das denke ich schon."

Zuhause angekommen, schmeiße ich mich erschöpft aufs Bett. Das ganze Zimmer duftet nach dem frisch geduschten Chris. Ich liebe seinen Geruch, wenn er frisch geduscht ins Zimmer kommt. Aber ich hätte auch nichts gegen den verschwitzen Chris, der sich über meinen nackten Körper beugt.

„Wow, hast du Kate in ihrem Kleid gesehen? Sie sieht echt heiß aus. Vielleicht muss ich Regel Nummer sechs heute doch brechen. Was meinst du?" Ich rolle genervt mit den Augen. Ich hasse sein Machogehabe.

„Tu dir keinen Zwang an. Vielleicht bin ich dich danach endlich los, wenn du aus der WG fliegst."
„Dramaqueen, beruhig dich. Was ziehst du an?", fragt er mich, während er sein schwarzes Hemd überzieht. Ich nehme das Oberteil aus der Tüte und schmeiße es ihm zu. „Nett", sagt er und wirft es zurück. „Mach dich fertig. Wir wollen auf dem Weg noch einen Happen essen."

Gut gelaunt macht sich unser Vierer-Grüppchen auf den Weg und ich frage mich, wem Luke und Kate etwas vormachen wollen. Ich sehe jeden Moment Kates Kleid fallen, so sehr zieht Luke sie mit seinen Blicken aus. Dann holen wir uns noch was zu Essen auf die Hand. Aber natürlich findet Chris dort wieder eine Gelegenheit auf mir rumzuhacken, weil ihm mein Essen nicht hochkalorisch genug ist.

Selbstredend bin ich, am Club angekommen, der Einzige, der seinen Ausweis zeigen muss, jedoch erfüllt mich dies auch ein wenig mit Stolz. Ich bin achtzehn und habe das Recht hier zu sein, wie jeder andere. Ashley würde vor Neid erblassen. Sie ist nämlich erst siebzehn.

Drinnen angekommen, schnappen wir uns einen Stehtisch. Luke und Chris holen die Getränke, während ich meinen Blick über die tanzende Meute schweifen lasse. „So Kate, für dich ein Cosmopolitan und für dich ein alkoholfreier Pina Colada." Luke stellt den Drink vor mir ab und Kate sieht mich verschwörerisch an. Dann tauschen wir die Cocktails.

„Hey, du darfst keinen Alkohol", protestiert Chris, aber ich werte seine Worte als reine Provokation. „Ich dachte, ich bin nur einmal jung und soll mich mal entspannen... Daddy." Das „Daddy" verfehlt seine Wirkung nicht. Während Luke und die Dame in unserer Runde nur lachen, meine ich zum ersten Mal sowas wie Verlegenheit bei Chris zu sehen.

Doch der Moment geht schnell vorüber, denn schon ist der Braunhaarige auf der Tanzfläche und verwandelt sich in Mr. Sexy.
Vielleicht hat die Art von Tanzstil, die er praktiziert, tatsächlich eine Daseinsberechtigung, denn hier in der Disko funktioniert sie sehr gut. Schon bald hat er nicht nur meine Aufmerksamkeit, sondern auch die der ein oder anderen Frau. Auch meine zwei verbliebenen Mitbewohner zieht es auf die Tanzfläche, während ich mir noch etwas Mut antrinke. Aber ich bleibe nicht lange allein, denn ich werde tatsächlich von einem Typen angesprochen.

„Deine Freunde sollten sich schämen, so jemanden wie dich hier alleine zu lassen", sagt er, als er sich zu mir an den Tisch gesellt. Doch noch bevor ich antworten kann, schiebt sich Chris zwischen mich und den Typen. „Wo bleibst du denn? Ich dachte, du wolltest tanzen?" „Nein, ich-" Doch schon zieht er mich auf die Tanzfläche, wo seine Hand sich ihren Weg von meiner Wange runter zu meiner Hüfte bahnt, bevor ich mich mit einer Drehung von ihm löse.

Spät in der Nacht verlassen wir erst wieder den Club. Ich bin inzwischen mehr als angetrunken und kann mich selbst nicht wirklich leiden. Ich habe mich bei meinem Zimmergenossen untergehakt und kichere wie blöde, bei allem, was er erzählt.

Luke und Kate verschwinden jeder in ihren Zimmer, aber ich biege ab in die Küche, während Chris ins Bad geht. Ich wüsste zu gerne, ob Kate sich gleich noch zu Luke ins Zimmer schleicht. Ich hole mir einen Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, denn ich habe totalen Brand. Mein Mund gleicht der Sahara. Ich lehne am Tisch und ziehe die halbe Flasche weg, als Chris ebenfalls in die Küche kommt. „Bekomme ich 'nen Schluck ab?" Ich reiche ihm die Flasche und er leert sie in einem Zug. „Hätte nicht gedacht, dass du dich so bewegen kannst."

„In meinem ersten Leben war ich Beyoncé, habe ich das nicht erwähnt?", sage ich und gehe dann in die Hocke und komme mit einer lasziven Bewegung und mit einer Hand auf seiner Brust wieder oben an.

Der Blick, der mich trifft, ist für mich nicht zu deuten. Vielleicht, weil ich zu betrunken bin, vielleicht, weil Chris selbst nicht weiß, was er mir sagen will. Doch ehe ich mich versehe, greift der Braunhaarige in meinen Nacken, zieht mich an sich ran und presst seine heißen Lippen auf meine.

Baumkronenschüchternheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt