Freunde oder so

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Wütend knalle ich meine Ballettschuhe in die Ecke der Umkleide und wische mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Nicht dieser beschissene Tanz wird mir alles kaputt machen, sondern Chris selbst und meine verdammten Gefühle für ihn.

Nach und nach kommen die anderen Jungen in die Kabine. Ich lese meine Ballettschuhe vom Boden auf und stopfe sie mit meinen anderen Sachen in meinen Sporttasche. Ich will nicht, dass Julien mich so sieht, denn ich bin auf dem besten Weg dorthin, wo er mich haben will.

Doch als ich durch die Tür gehen will, kommt er gerade rein und packt meinen Oberarm. „Du hast sowas von verloren", gibt er mir noch mit dem auf den Weg. Ich reiße mich los und mache mich auf den Weg nachhause.

So kann es einfach nicht weitergehen. Gerade einmal einen Monat stehe ich auf eigenen Beinen und habe schon alles in Schutt und Asche gelegt.

Als ich nachhause komme, ist keiner da, doch ich bleibe auf meinem Bett sitzen und warte auf Chris. Der Untermietvertrag liegt zu meinen Füßen, ich werde ihn gleich noch brauchen. Jede Faser in meinem Körper spannt sich an, als Chris zur Tür reinkommt.

„Wo warst du?", schreit er mich an und bleibt vor meinem Bett stehen. Ich werde von seiner Dominanz regelrecht erdrückt, leider stehe ich total darauf, dabei wäre es besser ihn zu hassen. „Ich war hier. Was soll die Frage?"
„Du solltest nach der Stunde nochmal zu mir kommen. Du untergräbst meine Autorität. Wie stehe ich denn jetzt da?"

„Bekomme ich eine Abmahnung?"
„Ja, allerdings."
Ich werde schon wieder so wütend, dass mir die Tränen in den Augen hochsteigen, aber ich kann jetzt nicht schon wieder einknicken und vielleicht scheue ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht einen Konflikt.

„Schön, dann kann ich dir ja auch sagen, dass du dastehst, wie der Idiot, der du bist", schluchze ich. Ohne das Schluchzen wäre die Beleidigung besser rübergekommen, aber ich kann es nicht ändern. Trotzdem wirft ihn das total aus der Bahn. Gerade von mir hat er keine Widerworte erwartet.

Ich nutze den Moment des Schweigens, der eingetreten ist und stehe auf. „Hol deinen Vertrag raus. Zeit für einen von uns zu gehen. Wer den Vertrag zuerst unterschrieben hat, darf bleiben und der andere geht."

„Das ist doch Schwachsinn."

Aber ich verharre, so wie ich bin, mit dem Vertrag in der Hand. Er wühlt in mehreren Taschen und zieht schließlich ein zusammengefaltetes Stück Papier unter zwei Pullis hervor. Dann reicht er es mir entgegen.

Luke hat ein anderes Formular verwendet als Kate und so finde ich zuerst nicht das Datum. Ich lasse die Verträge sinken, dann entreißt mir Chris beide. Ich hätte wetten können, dass Kate zuerst mit mir den Vertrag gemacht hat, aber so war es nicht.

„Gut, dann werde ich gehen", sage ich bestimmt und kann es gerade so verhindern, dass meine Stimme bricht. Ich hole den Koffer aus der Zimmerecke und gehe dann zum Kleiderschrank und stopfe alle Sachen wahllos hinein. „Nicolai, sei nicht albern", redet Chris auf mich ein, aber ich ignoriere ihn und lege mir in Gedanken schon ein Plan zurecht, wie es weiter gehen soll. Doch dann reißt mich Chris an den Armen herum.

„Nicolai, hör mir zu." „Lass mich los,", sage ich und versuche mich aus seinem Griff zu befreien. Ich bin kein Schwächling und deshalb hat Chris auch ernsthaft Probleme meine Hände festzuhalten. Außerdem bin ich wie im Wahn. Will nur schnell aus dieser Wohnung und zu Ashley, um mich dort auszuheulen.

Endlich befreie ich einen Arm, aber leider erwische ich Chris mit meinen Fingernägeln im Gesicht, welches er auch sofort vor Schmerz verzieht. Ich habe ihm einen Cut neben dem rechten Auge verpasst. „Das wollte ich nicht", schluchze ich und bin schon auf dem Weg zur Tür, als er mich erneut zu sich heranzieht, mich aber nun fest umklammert.

Ich komme mir vor wie ein Idiot. Da stehe ich, bewegungsunfähig, weil Chris meine Arme fest an meinem Körper gepresst hält und heule, weil mir die Sicherungen durchgebrannt sind. Ich weiß, warum ich sonst jegliche Art von Konflikten umschiffe, denn am Ende ziehe ich immer den Kürzeren.

„Nicolai, bitte beruhige dich. Wir finden bestimmt eine Lösung." Ich kann nicht über Lösungen nachdenken. Ich denke nur an seinen nackten Hals, seine Tätowierung und mein Verlangen, meine Lippen auf seine Haut zu drücken. Behutsam gebe ich einen Kuss auf seinen Hals und dann noch einen und noch einen. Ich sehe neben der feuchten Spruch an Küssen auch die Gänsehaut, die sich über seinen Hals erstreckt.

„Nicolai, hör bitte auf." Ich komme seiner Bitte nicht nach, vielmehr bahnt sich nun auch meine Zunge ihren Weg über seine Haut. „Nicolai!"

Wenn ich dachte, ich wäre ein Idiot, fühle ich mich nun wie der größte Idiot von allen. Chris drückt mich von sich weg und gibt meine Arme wieder frei. Er fährt sich durch die Haare und weiß nicht, was er mit mir tun soll. „Genau deshalb habe ich mich von dir ferngehalten. Damit du kapierst, dass das mit uns nichts wird."

Nicht weinen, nicht weinen. „Weil du mein Dozent bist?", frage ich niedergeschlagen. „Ja, auch deshalb. Aber eigentlich braucht das auch keine Begründung. Die Message ist anscheinend ja sowieso nicht angekommen."

Okay, dann heule ich jetzt doch eine Runde. „Doch sie ist angekommen. Du hasst mich." „Nicolai." Nein, nicht dieses „Nicolai", das meine Mutter auch so gut drauf hat und alles immer nur noch schlimmer macht. Ich vergrabe mein Gesicht in den Handflächen und schluchze laut.

Als Nächstes spüre ich Chris' Arme die sich um meinen Körper legen. „Ich hasse dich doch nicht. Ich mag dich sogar mehr, als ich zugeben würde. Aber das mit uns hier klappt nur, wenn wir die Finger voneinander lassen, okay?"

Nein, nichts ist okay. Ich bin nicht damit einverstanden. Ich nicke.

Dann legt er eine Hand an mein Gesicht und wischt mit dem Daumen die Tränen weg. „Hör auf zu weinen, okay? Dein ganzes Make-up ist schon wieder im Eimer." Schnell fahre ich mir mit den Ärmel der Bluse durchs Gesicht. „Also bleibst du?", fragt er mit einem Hundeblick.

„Du kannst ja nur nicht alleine die Miete bezahlen." „Da könntest du vielleicht recht haben", sagt er lachend und tatsächlich muss ich etwas schmunzeln, aber die Erschöpfung wegen des Streits macht sich schnell wieder bemerkbar.

„Können wir das also einfach alles vergessen?" „Was willst du vergessen?" Ich will, dass er es wenigstens einmal sagt, bevor wir so tun, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen. Ich will, dass er sich ein letztes Mal daran erinnert, wie ich ausgesehen habe, als ich unter seiner Berührung gekommen bin.

„Das Rummachen, die Ballettstunde heute, unser Streit." Ich nicke und dann greife ich nach seinem Gesicht. „Nicht, Nicolai", sagt er und packt meine Hand am Handgelenk. „Ich will mir nur angucken, wie sehr ich dich erwischt habe." Ich drehe sein Gesicht ein Stück zur Seite. Es ist nicht so schlimm, wie anfangs gedacht. Der Cut blutet kaum noch.

„Können wir erzählen, dass ich dich niedergestreckt habe?", frage ich grinsend. „Du mich? Das hättest du wohl gerne." Er stösst mich aufs Bett und kitzelt mich aus, bis ich nur noch um Erbarmen flehe. „Freunde?", fragt er und hält mir seine Hand hin. Ich nehme sie. „Freunde."

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