Das Vortanzen

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„Was ist das?", fragt Chris völlig verwirrt unter mir. „Das nennt man Wecker. Ich muss zur Schule", sage ich und schalte den Handywecker aus. „Soll ich dich begleiten?"

Wie süß und fürsorglich er ist. Wie gerne ich ihn jetzt einfach küssen würde. Die Haare stehen in alle Richtungen ab. Die Augen nur halb offen. Seine warme Hand an meiner Wange. „Nein, du sollst gesund werden. Wie willst du mich sonst eine Runde weiter bringen?"

Ich steige über ihn aus dem Bett und ziehe mich schnell um. „Chris, was hast du eigentlich Luke und Kate erzählt?" Er richtet sich im Bett auf. „Dass du bedrängt wurdest, aber du nicht drüber reden willst." Ich atme erleichtert aus. „Ich danke dir... und bis später."

In der Schule treffe ich auf Ashley, die mir mit einem vernichtenden Blick meinen Schulrucksack übergibt. „Ashley, tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe." „Spar es dir. Mit Chris ist wohl alles wieder in Ordnung und schon bin ich abgeschrieben." Sie stapft ohne mich zu beachten auf das Schulgebäude zu. „Ashley, warte doch mal."

Ich war in letzter Zeit wirklich ein beschissener Freund. „Ich dachte, wenigstens du hast mich lieb. Aber sieht wohl so aus, als wäre ich ganz alleine. Aber kein Problem, ich bin emanzipiert, ich kann auch alleine gehen."

Wo kommt denn auf einmal diese Stimmungsschwankungen her? Und wo will sie alleine hingehen?

Da fällt es mir wie Schuppen vor die Augen. Der Abschlussball! Es hat sie niemand gefragt. Warum hat niemand diese tolle Mädchen gefragt? Dabei hat sie schon das Kleid, aber niemanden mit dem sie hingehen kann.

Ich greife ihre Hand und dann gehe ich vor ihr auf die Knie. „Ich weiß, ich bin ganz schön spät dran, aber vielleicht habe ich ja Glück und du bist noch frei. Ashley, würdest du mit mir auf den Abschlussball gehen?" „Nicolai, steh auf. Die Anderen gucken schon", sagt sie und zerrt an meinem Arm. „Nur wenn du ja sagst." „Ja, natürlich gehe ich da mit dir hin und jetzt kommt, bevor wir uns zum Gespött der ganzen Schule machen."

Das Gespött der ganzen Schule wäre mir lieber, als das des Ballettstudios. Natürlich hat sich der Vorfall rumgesprochen und ich spüre die Blicke auf meinem Rücken und ich höre das Getuschel.

„Straf sie einfach mit Erfolg", lautet Chris Rat und das tue ich. Ich trainiere so hart wie niemals zuvor, bis zur totalen Erschöpfung. Es lenkt mich ab.

Am meisten quält mich immer noch der Gedanke, was passiert wäre, wenn ich nicht hätte fliehen können. Aber Chris ist für mich da und hört sich jeden Abend mein Gejammer an. Auch Ashley habe ich eingeweiht, was befreiend war und so befreie ich meinen Kopf, so gut es geht, von den negativen Gedanken.

Gott sei Dank ist Chris nach zwei Wochen wieder ganz der Alte und unsere Gruppe, denke ich, ziemlich gut vorbereitet. Nach einer Stunde ruft er mich und ein anderes Mädchen noch einmal zu sich. Er gibt ihr ein paar Tipps und sie strahlt ihn überglücklich an.

„So jetzt zu dir", sagt er, während ich ihr noch kopfschüttelnd hinterherschaue. „An der einen Stelle ist deine Bewegung immer noch zu fließend und ich habe so eine Vermutung woran das liegt. Zieh bitte die Hose aus, wenn das okay ist." „Bitte, was?" „Trägst du Unterwäsche?"

Natürlich trage ich Unterwäsche, schließlich will ich nicht, dass das in meiner Hose ständig mitschwingt. Ich trage einer dieser sexy hautfarbenen Sportslips. „Ja, schon."

„Dann runter mit der Hose." Nachdem ich mich meiner Hose entledigt habe, tanzt er mir die Stelle vor. „Jetzt du, aber bleibt in der Position vor der Drehung." „Wie soll ich das machen-" „Ich halte dich fest."

Mir ist gar nicht wohl bei der Sache, aber er ist der Boss, also beginne ich zu tanzen, bis Chris mich plötzlich festhält und dann schiebt sich seine warme Hand über meinen Oberschenkeln. Gott, er muss doch wissen, was das mit mir macht. Autsch!

Er bohrt einen Finger in meinen Oberschenkeln. „Ich glaube du machst die Drehung zu schnell, da du die Position nicht halten kannst, weil dir hier ein paar Muskeln fehlen." Mit einer Drehung setzt er mich wieder auf meine Füße.

„Ich gebe dir ein paar Übungen und dann wird dein Tanz einfach perfekt sein... Bist du schon aufgeregt?" „Ich bin mehr als das."

Dann, anderthalb Wochen später, ist es soweit. Alle Gruppen sowie die Juroren und Tanzlehrer haben sich im großen Tanzsaal versammelt. Heute wird sich zeigen, wer in die nächste Runde kommt und damit einer der größeren Rollen tanzt, wenn nicht sogar die Hauptrolle.

Ich habe die Nacht kaum geschlafen, aber wenn ich so in die Gesichter der anderen schaue, sehe ich auch bei ihnen die Anspannung. Quälend langsam vergeht die Zeit, bis endlich unsere Gruppe an der Reihe.

Ich suche Chris Blick, der mir zu nickt, dann setzt die Musik ein und ich beginne zu tanze. Ich tanze so wie niemals zuvor in meinem Leben. Die letzten Klänge der Musik verstummen und ich bekomme mein Grinsen gar nicht mehr aus meinem Gesicht. Ich war gut. Das weiß ich.

Die Mädchen werden nach vorne gerufen und zwei Stück von ihnen kommen unter Freudenschreien weiter. Das gleiche Prozedere, wie bei den anderen Gruppen zuvor auch. Dann sind wir Jungen an der Reihe. „Das war eine ordentliche Leistung von euch allen, aber natürlich können nicht alle eine Runde weiter kommen. Francis, herzlichen Glückwunsch. Du bist dabei."

Ich drücke meinen Tanzkollegen kurz an mich. „Nicolai, das war eine hervorragende Darbietung. Wenn nicht sogar die beste an diesem Tage. Aber uns ist zu Ohren gekommen, dass du dich im Training schwer getan hast. Stimmt das?"  

Ich schaue zu Chris, in der Hoffnung, dass er mir hilft. „Ja, das ist richtig." „Julien hat heute zwar nicht die Leistung gebracht, die du gebracht hast, aber er war im Training immer besser. Richtig?" Ich nicke. „Also, was denkst du sollten wir nun tun?"

Ich fühle mich unwohl, alle Augen sind auf mich gerichtet. Warum wollen sie, dass ich was dazu sage? Warum treffen sie nicht einfach ihre Entscheidung? „Also...also, ich finde es wichtig, dass man Leistung bringt, wenn diese erforderlich ist..." Chris nickt mir zu. „...aber es wäre trotzdem ungerecht, wenn Julien keine Chance bekäme, weil wie Sie sagten, war er mir sonst immer überlegen."

Chris starrt mich entsetzt an. Ich sehe wie Julien mich von der Seite anschaut, wage es aber nicht in sein Gesicht zu blicken. „Gut, dann ist die Entscheidung wohl gefallen."

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