„Chris", sage ich und starre ungläubig auf die Gruppe Frauen und Männer, die zusammen mit Mr. Nebresco den Raum betreten. Ich schiebe das Mädchen in der rosa Ballettkleidung ein Stück zur Seite, um besser sehen zu können. Er ist es zweifellos. Er trägt eine schwarze Jogginghose und ein Tanktop und seine Tätowierung an Brust und Hals ist deutlich zu sehen.
Z wie kann mich bitte jemand zwicken.
Im nächsten Moment geht die Musik an und die Gruppe beginnt zu tanzen. Ich schaue nur zu Chris. Mit weit geöffnetem Mund stehe ich da, aber ich bin nicht der Einzige. Ich weiß nicht, wie sich diese Missgeburt von Tanzstil nennt, aber eins weiß ich ganz genau. Das da werde ich ganz bestimmt nicht tanzen.
Nachdem die Musik verstummt ist, multipliziert sich der Geräuschpegel um ein Vielfaches und das liegt nicht an dem aufkommenden Applaus. Alle um mich herum diskutieren wild miteinander, aber ich stehe nur da und urplötzlich verschränken sich Chris' und mein Blick miteinander.
Er schaut mich fassungslos an, schüttelt langsam den Kopf, aber bricht nicht einmal den Blickkontakt ab.
„Ruhe! Ruhe, habe ich gesagt. Jetzt beruhigen Sie sich alle bitte." Nur langsam kehr Stille im Tanzsaal ein. „Dieses Jahr wird es eine Fusion von dem klassischen Ballettstück, was sie bereits einstudiert haben, und einem Tanz aus dem Contemporary HipHop geben."
Das Kind hat also einen Namen, leider ist es hässlich wie die Nacht.
„Nein, nein...", stammele ich immer wieder vor mich her. Das wird mir alles kaputt machen. „Ruhe bitte", ertönt wieder die Stimme von Madame Cortes. „Ich weiß, dass kommt alles überraschend für Sie. Aber Sie haben alle die gleiche Ausgangsposition. Keiner von Ihnen hat dadurch einen Nachteil. Wir werden Sie nun in vier Gruppen einteilen."
Ich sehe mich suchend nach meiner Tanzgruppe um, aber sie alle stehen ein Stück weiter hinten und ehe ich mich versehe, erhalte ich eine Zahl und dann sehe ich, wie Julien ein Mädchen an die Seite drück und ebenfalls in meiner Gruppe landet. Fuck!
„Was ein Zufall! Sieht so aus, als würden wir in Zukunft wieder mehr Zeit miteinander verbringen." „Was willst du, Julien?" „Ich will dich am Boden sehen. Ich will sehen, wie du versagst." Hass und Feindseligkeit liegen in seinem Blick.
Wenn ich dachte, der Tag wäre schlecht, wegen des Frühstücks in der WG, dann ist das hier ein Desaster. Ich lasse Julien links liegen. Ich kann meine Kraft, von der ich sowieso schon zu wenig habe, nicht auch noch an ihn verschwenden.
Dann sehe ich Mr. Nebresco und Chris, der in unsere Richtung zeigt. Jetzt bin ich es, der den Kopf schüttelt. Als Chris näher kommt, richte ich den Blick zu Boden. „So, hallo alle zusammen. Ich bin Chris und für die nächsten Wochen euer Dozent. Ich denke, wir werden alle gut zusammenarbeiten. Wir wechseln jetzt den Tanzsaal und dann könnt ihr mir mal zeigen, was ihr so drauf habt."
Chris geht voran und wir trotten hinterher. Zwei Mädchen und ein Junge sind ebenfalls aus meinen Ballettstudio in meiner Gruppe. Die anderen sieben kenne ich nicht, bis auf Julien. „Was hältst du davon?", fragt mich Francis. „Ich halte nichts davon. Würde mich nicht wundern, wenn die von der Akademie es genau so hassen wie wir."
„Stellt ihr bitte mal das Reden ein", sagt Chris und schaut mich direkt an. Dann holt er eine Rolle Kreppband aus der Tasche und reißt es in Stücke. „Sagt mir doch bitte eure Namen, dann mache ich euch Namensschilder, bis ich eure Namen alle drauf habe." Nacheinander schreibt er unsere Namen auf das Band.
Er kommt bei mir an und der Blick seiner warmen, braunen Augen jagt mir einen heißen Schauer den Rücken rauf. Meine Gedanken sind nur bei letzter Nacht. Ich kann an nicht anderes denken, als an seine Lippen. „Und du bist?", fragt er, weil ich nicht reagiere. „Nicolai." „Gut Nico" „Nein Nicolai!"
Als er mir wenige Augenblicke später mein Namensschild gibt, steht dort „NicoLAI". Warum tut er das?
Aber ich sehe ihn nur noch von hinten, wie an der Musikanlage steht und plötzlich erklingen sehr vertraue Klänge. „So, dann zeigt mir doch mal, was ihr gelernt habt. Wir starten mit dem ersten Akt."
Wir bringen uns in Position und ich spüre Juliens provozierenden Blick auf meinen Rücken, aber ich atme nur tief ein und beginne zu tanzen. Ich ärgere mich, dass mein Kopf so voll ist und ich nicht richtig bei der Sache bin. Den Sprung am Ende hätte ich normalerweise viel besser hinbekommen. Aber heute ist leider nichts normal.
„Super, dass sieht alles schon recht gut aus. Jetzt zeige ich euch, wie es nach diesem Teil weiter geht." Er dreht an der Musikanlage und es hört sich an, als hätte jemand abrupt den Radiosender gewechselt. Die Musik, die daraus ertönt, ist eine Vergewaltigung für meine Ohren. Auch die Tatsache, dass Chris beim Tanzen noch heißer aussieht, als sowieso schon, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Fusion ein Fehler ist.
Nach seinem Tanz sind wir dran und ich nach den zwei Stunden kaputt, wie nie. Als ich aus dem Ballettstudio trete, steht Chris lässig neben der Tür gelehnt. Seine Sporttasche hat er über der Schulter hängen und dann schnipst er seine Zigarette auf den Gehweg. „Hey", sagt er und ich antworte mit „Hey", denn mehr habe ich auch nicht zu sagen.
„Warum hast du nicht erzählt, dass du Ballett tanzt?" „Wann hätte ich das machen sollen? An den vielen Abenden, an denen du mich über meine Hobbys ausgefragt hast?" Er läuft neben mir den Gehweg lang, doch ich habe meinen Schritt beschleunigt, denn ich will nur weg von ihm. „Und was hältst du von der Geschichte?" „Von dem Tanz? Es wir mir alles kaputt machen. Ich hasse es."
„Warum?", fragt er irritiert. „Manche Dinge sollten vielleicht nicht fusionieren, oder?", sage ich und fange seinen Blick ein. Dann setze ich meinen Weg fort. „Fährst du nicht mit dem Bus?", fragt Chris, der neben der Bushaltestelle stehen geblieben ist. „Nein, ich laufe. Muss den Kopf frei bekommen."
Er greift nach meinem Arm und hält ihn fest, aber nur kurz. „Wegen gestern, Nicolai. Das tut mir wahnsinnig leid, ich weiß nicht, was da in mich gefahren ist. Bitte, können wir das einfach vergessen?"
Wie stellt er sich das vor? Der gestrige Abend wird noch lange der Stoff meiner feuchten Träume sein. Ich will ihm nicht verzeihen, denn er hat mir mit seiner Aktion verdammt weh getan. Aber da ich immer jeglicher Art von Konflikt aus dem Weg gehe, gebe ich auch hier schließlich nach.
„Okay, Schwamm drüber. Aber ich habe einen gut bei dir." „Versprochen." „Gut, du musst mir nämlich da bei etwas helfen..."
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Baumkronenschüchternheit
RomanceAchtung! Diese Geschichte wird überarbeitet! „Ich will dir nicht wehtun", flüstert er. „Ich weiß doch längst, dass du es tun wirst. Ich habe mich schon darauf vorbereitet. Also warum vorher nicht ein bisschen glücklich sein?" Der 17-jährige Nicolai...