Der nächste Tag

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Die Nacht war kurz. Zu kurz. Ich funktionierte nicht ohne mindestens 6 Stunden Schlaf. Das spürte ich vor allem bei der Arbeit. Seit ich aus London weggezogen war, arbeitete ich im Home Office. An diesem Morgen trank ich einen Kaffee nach dem anderen. Auch wenn ich wusste, dass dies keine aufputschende Wirkung auf mich haben würde. Koffein funktionierte bei mir schon lange nicht mehr. Ich schob es auf den übermäßigen Konsum von Energydrinks in meiner Jugend. Ich schaffte es trotzdem, die Calls und das Wichtigste für den Tag zu erledigen, ehe ich seufzend den Laptop zuklappte.
12:30 Uhr. Ob ich Sam schon abholen konnte? Was hatte die Ärztin nochmal gesagt? Ich hatte es vergessen. Das war gestern alles viel zu viel, um mir überhaupt irgendwas merken zu können. Die Hochzeit, der Unfall, die Emotionen. Dieser Typ... wie hieß er noch gleich? Irgendwas mit F. Felix. Ja genau, Felix. Wie dieser komische Hase mit seinen Briefen. Er war nett. Der Typ, nicht der Hase. Nett, aber auch ein bisschen zu neugierig. Ein schickes Auto hatte er auch. Oh Nein.
Ich erinnerte mich an die riesige Delle in der Front seines Wagens, die durch den Unfall mit Sam entstanden war. Die würde ich ihm definitiv bezahlen müssen. Zuerst musste ich mich allerdings um Sam kümmern. Ich googelte den Namen der Tierklinik und rief dort an, um in Erfahrungen zu bringen, wann ich meinen Hund wieder abholen konnte.

Zwei Stunden später fuhr ich los. Ich hatte das Gefühl, mein Navi zeigte mir einen anderen Weg an als den, den wir gestern Nacht gefahren waren, aber letztendlich kam ich doch an.
Nachdem ich mich bei der netten Empfangsdame meldete, ging diese nach hinten, um Sam zu holen. Die Tür öffnete sich und mein, sonst so agiler Hund, trottete hindurch.

„Oh Sammy." murmelte ich mit mitleidigem Blick.

„Er ist noch nicht wieder ganz auf der Höhe, das wird aber wieder. Denken sie daran, dass er in nächster Zeit nicht toben und rennen darf. Hunde neigen dazu, sich in solchen Situationen zu überschätzen." erklärte die Empfangsdame und drückte mir die Leine in die Hand.

„Klar, ich werde darauf achten. Danke." nickte ich ihr zu und verließ mit Sam die Klinik.

Zuhause angekommen stieg ich aus dem Auto, ging zum Kofferraum und öffnete diesen, um Sam so vorsichtig wie möglich aus dem Auto zu hieven.

„Hey." sprach plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und erkannte Felix, der mit einem Kaffeebecher auf dem Bürgersteig stand und mich angrinste. „Na, wurde der Patient entlassen?"

„Oh hey." entgegnete ich. „Ja, ich durfte ihn grade abholen. Was machst du hier?"

„Hab mir grad n' Kaffee von drüben geholt." antwortete er und deutete auf das Café auf der anderen Straßenseite.

„Hast du keine Kaffeemaschine zuhause?" fragte ich etwas verwirrt und er lachte.

„Doch, aber keine Gute. So hab' ich n' Grund, mal das Haus zu verlassen."

„Ah, okay." murmelte ich, wandte mich wieder Sam zu und legte meine Arme unter ihn, um ihn aus dem Auto zu holen.

„Warte, ich mach' das." intervenierte Felix. Er kam ein paar Schritte auf mich zu, stellte seinen Becher auf das Dach meines Autos und drängte sich neben mich. In einer schnellen Bewegung hatte er Sam aus dem Auto getragen und ihn vorsichtig auf den Asphalt gesetzt. Dann streichelte er noch einmal den Kopf meines Hundes, bevor er sich wieder aufrichtete und mir die Leine reichte.

„Danke, aber ich hätte das schon geschafft." sprach ich, als ich die Leine in die Hand nahm.

„Klar." grinste er. „Hast du noch geschlafen gestern Nacht?"

„Wenig." gab ich zu. „Du?"

„Auch."

„Tut mir Leid, dass ich dich so lange aufgehalten habe." entschuldigte ich mich.

„Ach Quatsch. Schlafe sowieso nicht viel, lag nicht an dir. Oder an euch. Außerdem war's ja meine eigene Schuld, mir tut's leid. Der Kleine sieht auch ein bisschen demoliert aus." er deutete auf Sams rasierte Stelle am Bein und wirkte schuldbewusst. „Kann ich das irgendwie wieder gut machen?"

„Mit einem Ochsenziemer würdest du seine Gunst bestimmt wiedererlangen." grinste ich. „Oder mit Käse. Er liebt Käse."

„Käse kriege ich organisiert. Irgendwelche besonderen Wünsche? Gouda, Emmentaler, Cheddar?"

„Er ist da nicht so picky. Er nimmt, was er kriegen kann." erklärte ich.

„Gut zu wissen." schmunzelte Felix. „Und du? Erlange ich deine Gunst auch mit Käse?"

Perplex sah ich ihn an. „Äh, nee." stammelte ich. „Ich bin laktoseintolerant."

Felix presste seine Lippen zusammen, um nicht loszulachen und ich sah peinlich berührt zu Boden. Ich sollte lernen, öfter mal die Klappe zu halten.

„Okay, kein Käse. Was dann?" fragte er nach kurzer Stille.

„Keine Ahnung, Schokolade?!" antwortete ich, eher als Frage formuliert.

Felix schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Dat jestaltet sich hier grade schwieriger als jedacht." lachte er.

„Schokolade. Vollmilch, keine Zartbitter. Gerne mit Nüssen, muss aber nicht." antwortete ich entschlossen.

„Ganze?"

„Häh?"

Er grinste. „Die Nüsse. Ganz oder mit so Stückchen?"

Nun war ich diejenige, die schmunzelnd den Kopf schüttelte. „Ist mir egal. Ich bin da nicht so—"

„Picky. Ich versteh schon." beendete Felix meinen Satz, kniete sich zu Sam herunter und tätschelte liebevoll seinen Kopf.
„Sag mal." begann er nach kurzer Zeit und sah zu mir hinauf. „Du kennst nicht zufällig den Unterschied zwischen einem Anzug und einem Smoking?"

„Was?" fragte ich verwirrt und musste über diese, aus dem Zusammenhang gezogene Frage lachen.

„Egal, vergiss es." lachte Felix und stellte sich auf.

„Nee, sag. Warum fragst du?"

„Ach." winkte er ab. „Ich muss zu einem bestimmten Anlass einen Smoking tragen, aber ich weiß überhaupt nicht, was so die Merkmale davon sind. Ich hab zwar n Anzug im Schrank hängen, aber der ist angeblich nicht schick genug. Es muss ein Smoking sein."

Ich entschied mich dazu, meiner Neugier nicht nachzugeben und zu fragen, zu was für einer hochkarätigen Veranstaltung jemand wie er eingeladen wird. Schließlich kam er mir in seiner kurzen Adidas Jogginghose und seinem lila Shirt jetzt nicht unbedingt wie jemand vor, der zu so etwas eingeladen wird.

„Ich dachte mir schon, dass du's wahrscheinlich auch nicht weißt." redete er weiter, während ich kurz in meinen Gedanken verloren war.

„Das Revers." antwortete ich. „Bei einem Anzug besteht das Revers aus dem selben Stoff wie der Rest, bei einem Smoking aus Satin. Die Knöpfe sind ebenfalls mit Satin verkleidet. Außerdem brauchst du ein Einstecktuch. Bestenfalls aus Leinen. Ah, und man trägt eine Fliege dazu, keine Krawatte."

Überrascht blickte Felix mich an.

„Mein Mann — Ex-Mann." korrigierte ich mich. „Er trug öfter Anzüge und Smokings."

„Mhm." nickte er. „ich bin da nicht so der Typ für, deswegen habe ich von sowas keine Ahnung."

„Ich kann mir dich auch nicht wirklich in einem Smoking vorstellen. No offense." lachte ich.

„Naja, also in nem Anzug seh ick schon heiß aus. Was meinste, wie ick dann erst in nem Smoking aussehe?" grinste er.

„Smoking hot vielleicht." entgegnete ich ein bisschen zu stolz und schüttelte kurz darauf den Kopf. „Oh man, das war nicht mein bester Witz."

„War gar nicht so schlecht." zwinkerte Felix. „Allet klar. Ich muss dann auch mal wieder. Danke für deine Hilfe. Ich hoffe, ich finde was passendes."

„Bestimmt." nickte ich ihm verabschiedend zu und lächelte.

Als unsere Wege sich trennten, machte ich kurz vor der Haustür noch einmal kehrt.
„Hey!" rief ich ihm hinterher und er drehte sich um. „Wegen der Delle in deinem Wagen..."

„Mach dir erstmal keinen Kopp. Wir werden uns nochmal über den Weg laufen. Und wenn nicht, weiß ich ja wo du wohnst." antwortete er breit grinsend, bevor er über die Straße lief.

The night we met - Felix Lobrecht FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt