Der Coolman

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Ab der Hälfte der Fahrtstrecke übernahm Julian das Steuer. Felix belegte den Beifahrersitz und ich setzte mich auf die Rückbank neben Laura. Immer mal wieder checkte ich mein Handy nach einer neuen Nachricht von Tommi ab, doch es kam nichts. Ich wusste, dass er heute zurück nach Deutschland fuhr und vermutete, dass er einfach keine Zeit hatte zu antworten. Mein komisches Bauchgefühl war allerdings noch immer da und so sehr ich mich auch dagegen wehrte, ich konnte es nicht abstellen. Nachdenklich blickte ich durch das Autofenster. Vielleicht ging ihm das alles zu langsam? Vielleicht war das für ihn alles zu viel Aufwand für etwas, von dem er nicht abschätzen konnte, was daraus werden würde. Allerdings konnte ich nun mal nicht ändern, wie ich war. Ohne irgendeine Art von Bindung konnte da einfach nichts laufen und entweder er würde das akzeptieren können oder eben nicht.

„Alles gut dahinten?" fragte Felix und schaute mir durch den Rückspiegel in die Augen, als ich meinen Kopf nach vorne drehte. „Du hast schon wieder diesen Blick drauf."

„Was denn für einen Blick?" fragte ich.

„Diesen Ich überdenke mein ganzes Leben-Blick."

Ich schmunzelte. „Nicht mein ganzes Leben. Nur Abschnitte davon."

Felix sah mich weiter eindringlich an, dann ging sein Blick auf's Handy. „Ich glaube, es wird Zeit, dass Charly mal den Coolman zuhause lässt."

„Den was?" fragte ich lachend und plötzlich ertönten die ersten Klänge von Lenas Satellite, gefolgt von einem weiteren Blick in den Rückspiegel und einem breiten Grinsen.

Love, you know I'll fight for you
I left on the porch light for you
Whether you are sweet or cruel
I'm gonna love you either way

Love, oh love
I gotta tell you how I feel about you
'Cause I, oh I
Can't go a minute without your love

Zu meiner Überraschung konnte Felix den kompletten Text des Liedes auswendig, sang krumm und schief mit und tanzte, so gut es im Auto eben ging, theatralisch zu der Melodie.

Like a satellite
I'm in orbit all the way around you
And I would fall out into the night
Can't go a minute without your love

Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf.

„Komm schon, Charles. Mach mit." rief er durch den Wagen.

„Nur wenn du aufhörst, mich Charles zu nennen." entgegnete ich. „Das war schon beim ersten Mal nicht cool und wird sich auch nicht durchsetzen."

„Da wäre ich mir nicht so sicher." grinste er. „Los, der nächste Refrain ist deiner."

„Ich werde nicht singen." lachte ich humorlos auf.

Felix drehte sich in seinem Sitz so weit herum, wie's ging und sah mich schmollend an.

„Auch nicht, wenn du mich so anguckst." ergänzte ich, doch er gab nicht auf und reichte mir stattdessen seine Hand. Widerwillig legte ich meine Hand darauf.

„Sei keine Miesmuschel." schmollte er weiter und ich konnte seinem Blick nicht lange standhalten.

„Na gut." seufzte ich. „Ein einziges Mal!"

Seine Lippen formten wieder ein Grinsen und als der nächste Refrain losging, sang ich mit ihm, während er weiter meine Hand hielt.

Love, oh love
I gotta tell you how I feel about you
'Cause I, oh I
Can't go a minute without your love
Like a satellite
I'm in orbit all the way around you
And I would fall out into the night
Can't go a minute without your

Love, oh love
I gotta tell you how I feel about you
'Cause I, oh I
Can't go a minute without your love

Felix fing an zu lachen und ich musste unweigerlich mit einsteigen.

„Freut mich ja, dass ihr euren Spaß habt, aber wir fahren grade mit 200 km/h über die Autobahn und ich muss mich ein bisschen konzentrieren." sprach Julian leicht genervt und drehte die Lautstärke der Boxen herunter. Felix warf mir einen entschuldigenden Blick zu, lies meine Hand los und setzte sich wieder grade hin.

Die Rest der Fahrt verlief ruhig. Hin und wieder sangen Felix und ich leise Textpassagen der verschiedenen Lieder vor uns hin, während Laura neben mir selig schlief und Julian sich weiterhin auf die Straße konzentrierte. Irgendwann bemerkte ich, dass auch Felix eingeschlafen war und mit dem Kopf an seinem Nackenkissen lehnte. Ab und an beobachtete ich ihn durch den Seitenspiegel, wie er leise vor sich hin schnarchte, während wir endlich die Grenze zu Österreich erreichten.

„Wir sind da." erklärte Julian, als wir vor einem großen Haus mitten in den Bergen zum Stehen kamen. Felix öffnete verschlafen die Augen und sah aus dem Fenster.

„Endlich." murmelte er mit rauer Stimme. Er streckte sich einmal kurz, schnallte sich ab und stieg aus dem Auto. Laura, Julian und ich folgten ihm. Aus einem kleinen, unverschlossenen Briefkasten am Haus holte Felix die Schlüssel heraus und öffnete die Tür.

„Wow." sprach ich überwältigt, als wir eintraten. Das Haus war rustikal eingerichtet. Alles war in dunklem Holz gehalten. Eine deckenhohe Fensterfront im Wohnzimmer gab einen freien Ausblick auf die Berge. Die Küchenzeile, die an das Esszimmer grenzte, war mattschwarz und bot alles, was es für einen entspannten Aufenthalt brauchte. Kaffeemaschine, Herd, Ofen, Spülmaschine und Waschmaschine.

„Oben sind die Schlafzimmer." erklärte Felix. „Julian und ich holen die Koffer, ihr könnt euch ja schon mal weiter umsehen."

„Komm, wir suchen uns die Schlafzimmer aus." sprach Laura aufgeregt und zog mich an der Hand die Treppe hinauf. Oben teilten wir uns wieder auf.

„Also hier ist ein Badezimmer." rief ich ihr zu, als ich die Tür zu einem der oben liegenden Räume öffnete. „Sogar mit Whirlpool und Sauna!"

„Ich habe die Schlafzimmer gefunden!" rief sie und ich lief durch den Flur rüber zu ihr.
„Guck mal, wie schön! Sogar mit Balkon." sprach sie, als wir in eines der Schlafzimmer spähten.

„Ist das hier auch noch eins?" fragte ich und öffnete eine weitere Tür, die allerdings nur zu einem zweiten, kleineren Bad führte.
„Laura?" fragte ich sie.

„Mhm?" machte diese, während sie Fotos des Schlafzimmers mit ihrem Handy machte.

„Wie viele Schlafzimmer gibt es?"

„Zwei, glaube ich." murmelte sie und drehte sich plötzlich schlagartig zu mir um. „Oh." machte sie, als sie begriff, worauf ich hinaus wollte.
„Ich kann mir auch ein Zimmer mit dir teilen, wenn dir das lieber ist."

Ich lachte. „Alles gut, musst du nicht. Nimm dir ruhig mit deinem Freund ein Zimmer."

„Sicher?" fragte sie unsicher und ich winkte ab.

„Klar. Was soll schon passieren? Notfalls schmeiße ich Felix raus, wenn er zu laut schnarcht." lachte ich.

„Wo schmeißt du mich raus?" fragte Felix, der plötzlich hinter mir auftauchte.

„Wir beide teilen uns ein Schlafzimmer." erklärte ich ihm. „Und wenn du zu laut schnarchst, schmeiße ich dich raus."

„Das wüsst' ick aber." lachte er. „Ick bezahl' den Bums hier schließlich. Sieh du mal lieber zu, dass du dich nicht zu fett machst. Das Bett ist nur 1,60m breit." fügte er mit einem schelmischen Grinsen hinzu.

„Oh, das wird eng." gab ich zu bedenken. „Das ist ja grade breit genug für dich und dein riesiges Ego."

„Kein Problem, dann legst du dich einfach auf mich drauf, dann passt das." zwinkerte er.

„Das hättest du wohl gerne." lachte ich und gab ihm einen kleinen Klaps auf den Hinterkopf. „Und jetzt sieh zu, dass mein Koffer hier hoch kommt."

„Samma?!" empörte er sich. „Sei mal nicht so frech, sonst schläfst du zwischen den beiden in der Besucherritze."

„Davon würde ich abraten." grinste Laura vielsagend und Felix und ich verdrehten synchron die Augen.

The night we met - Felix Lobrecht FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt