Der Schock

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„Ja, mit mir ist wirklich alles okay. Stehe nur unter Schock. Feiert ruhig weiter. Der Mann, dem das Auto gehört... warte. Wie heißen sie nochmal?" wandte ich mich meines Handys ab und blickte den Typen an, der vor mir nervös auf und ab lief und in unregelmäßigen Abständen an seiner Zigarette zog.

„Felix." murmelte er.

„Felix hat uns in die Tierklinik gefahren. Sie haben Sam sofort aufgenommen. Wir warten jetzt auf Neuigkeiten."

„Okay, ruf mich bitte sofort an, wenn du weißt, wie es dem Dicken geht, ja?" tönte die Stimme meiner Schwester am anderen Ende der Leitung.

„Mache ich. Bis später."

Seufzend blickte ich auf die Uhrzeit auf meinem Handy.

„Er ist schon seit über einer Stunde da drin." murmelte ich und legte meinen Kopf verzweifelt in meine Hände. Ungeduldig wippte ich mit meinem linken Bein auf und ab.

„Tut mir echt leid. Ich habe ihn zu spät gesehen." erklärte der blonde Mann mir erneut. Das waren auch seine ersten Worte gewesen, nachdem alles passiert war und er geschockt aus seinem Auto sprang, um Sam zu helfen.

„Nein, es ist meine Schuld." sprach ich geknickt. „Ich hätte schneller reagieren müssen, als ich gesehen habe, wie sich seine Haltung veränderte. Ich... ich hätte ihn anleinen sollen. Er ist noch nie einfach so über die Straße gelaufen. Ich dachte..." kurz überlegte ich. „Ach, keine Ahnung was ich dachte. Jedenfalls... danke für's her fahren."

Felix nickte. „Is' doch klar man. Als ob ick den Kleenen einfach liegen lasse und weiter fahre."

„Gibt bestimmt Menschen, die das getan hätten." erwiderte ich nachdenklich und mein Blick fiel auf den Autoschlüssel in seiner Hand.
„Den Schaden an ihrem Auto bezahle ich ihnen natürlich."

Der Mann vor mir lachte kurz humorlos auf. „Mach dir darum erstmal keine Gedanken. Und hör auf mich zu siezen. Schätze mal, wir sind im selben Alter, oder nicht? Wie alt bist du? Anfang 30?"

„33." antwortete ich.

„Sag ich ja. Selbes Alter."

„Mhm." machte ich und blickte erneut auf die Uhr meines Handys. Ich betete zu allen Göttern, die mich irgendwie hören konnten, dass es Sam gut ging. Er war bei Bewusstsein, als wir ihn herbrachten. Das deutete die Tierarzthelferin schonmal als gutes Zeichen. Allerdings konnte er nicht laufen, weshalb wir ihn aus dem Auto auf eine Trage hiefen und in's Behandlungszimmer tragen mussten.

„War das dein Mann da eben am Telefon?"

„Mhm?" aus meinen Gedanken gerissen schaute ich zu Felix hoch, der auf meinen rechten Ringfinger deutete. „Oh. Nein. Nein, das war er nicht. Das war meine Schwester. Ich bin nicht... ich lasse mich grade scheiden."

„Warum trägst du den Ring dann noch?"

„Neugierig bist du überhaupt nicht, oder?" entgegnete ich schmunzelnd.

Felix zog die Schultern hoch. „War nur ne Frage. Wäre ich verheiratet und die Ehe wäre gescheitert, würde ich den Ring nicht mehr tragen wollen."

„Ich habe meine Gründe." antwortete ich und versuchte den Fokus auf ihn zu lenken. „Du bist also nicht verheiratet?"

„Ich glaube nicht an die Ehe. Find' das Konzept fragwürdig und absolut overrated." sprach er und grinste breit.

„Sieht deine Freundin das genau so?" fragte ich.

„Versuchst du grade herauszufinden, ob der Mann, der deinen Hund angefahren hat, Single ist? Wenn dein Männergeschmack wirklich so fragwürdig ist, verstehe ich die Scheidung."

„Was?! Nein!" verteidigte ich mich. „Ich versuche nur, hier ein Gespräch zu führen. Ich wollte nicht—"

„Schon gut." lachte Felix. „Das war ein Spaß."

Ich setzte grade dazu an, etwas zu sagen, als sich die Eingangstür zur Klinik öffnete und eine zierliche, kleine Frau heraustrat.
„Frau Roberts?"

„Ja?" antwortete ich und stand in Windeseile von der Bank auf.

„Ich bin Dr. Wilken, die Tierärztin. Wir haben Sam untersucht und geröntgt. Er scheint keine inneren Verletzungen zu haben, aber das linke Hinterbein ist gebrochen. Wir würden ihn gerne heute noch operieren wollen."

Ich atmete erleichtert auf. „Okay. Das heißt, er kommt durch, ja?"

„Auf jeden Fall." beruhigte mich die Ärztin. „Er hat Glück gehabt. Wäre das Auto schneller gefahren, hätte es schlimm ausgehen können."

Felix und ich tauschten einen kurzen Blick aus.

„Bis sie Sam wieder mit nachhause nehmen können, wird es ein paar Stunden dauern. Ich empfehle ihnen, solange nach Hause zu fahren. Ruhen sie sich aus, sie stehen sicher unter Schock. Machen sie sich keine Sorgen, wir werden uns gut um ihn kümmern. Am frühen Nachmittag können sie ihn wieder abholen." erklärte sie weiter.

Ich nickte. „Ja gut, okay."

Die Tierärztin verabschiedete sich mit einem zuversichtlichen Lächeln und trat wieder in die Praxis.

„Das sind doch gute Neuigkeiten, oder?" fragte Felix und steckte sich erneut eine Zigarette an.

„Ja." antwortete ich und konnte wahrlich den Stein spüren, der von meinem Herzen fiel. Nur ein gebrochenes Bein. Das war gut. Ich konnte Sam schon bald wieder mit nach Hause nehmen.

„Komm, du hast die Ärztin gehört. Du solltest ein paar Stunden schlafen. Ich fahre dich heim."

Wie ferngesteuert folgte ich ihm die paar Meter zu seinem Auto und als ich mich in den dunkelbraunen Ledersitz fallen ließ, schossen mir plötzlich die Tränen in die Augen.

„Fuck, sorry. Das ist einfach... die Erleichterung, schätze ich." entschuldigte ich mich bei Felix, als dieser meinen Zustand bemerkte.

„Alles gut. Versteh ich. Ich bin auch echt erleichtert. So'n toter Hund in meiner Vita wäre jetzt echt beschissen gewesen." erwiderte er witzelnd.

„Ernsthaftigkeit ist nicht ganz so dein Ding, oder?" fragte ich ihn, während ich versuchte, mich zusammen zu reißen.

„Humor ist meine Art, das zu verarbeiten." erklärte er.

„Hast'n komischen Humor."

Er schmunzelte. „Das höre ich öfter."

Als ich mich wieder beruhigt hatte, erklärte ich Felix wo ich wohnte und wir fuhren los. Die Klinik war nicht weit von meiner Wohnung entfernt, so dass der Wagen schon nach kurzer Zeit wieder Halt machte.

„Wir sind fast Nachbarn." bemerkte Felix und sah aus dem Seitenfenster nach draußen. „Siehst du das Haus da links mit der dunklen Haustür? Da wohne ich."

Er hatte recht. Zwischen unseren Wohnungen lagen nur ein paar Häuser.

„Dann werde ich Sam jetzt wohl lieber immer an die Leine legen, damit du ihn nicht nochmal anfährst." entgegnete ich.

„Ja ey, besser ist es." sprach er und grinste.

„Ich werde dann mal hochgehen und mich ein bisschen hinlegen. War ne lange Nacht. Danke für's fahren." erklärte ich, schnallte mich ab, öffnete die Tür des Wagens und stieg aus.

„Ey! Warte kurz. Wie heißt du eigentlich?" fragte Felix, beugte sich nach vorn und kramte in seinem Handschuhfach herum.

„Charleen, aber alle nennen mich Charly." antwortete ich.

„Allet klar, Charly." grinste er und hielt mir ein kleines Kärtchen hin. „Da steht meine Nummer drauf. Kannst mir ja Bescheid sagen, wie's Sam geht. Würde mich freuen."

Ich zögerte kurz, nahm das Kärtchen im nächsten Moment aber an mich und lächelte. „Mache ich."

The night we met - Felix Lobrecht FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt