Die Hochzeit

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Prolog

„Schön, dass du hier warst." bedankte sich meine Schwester, während sie mich herzlich drückte. „Ich weiß, dass das nicht leicht für dich gewesen sein muss. Nach all dem mit John..." mitleidig blickte sie mich an.

„Hey, wenn meine kleine Schwester heiratet, kann ich mir das doch nicht entgehen lassen." erwiderte ich mit einem versöhnlichen Lächeln und blickte noch einmal an ihr herunter. Das traditionell weiße Kleid mit, für meinen Geschmack, etwas zu viel Tüll, lies sie wie eine Prinzessin wirken.
„Tut mir Leid, dass ich schon gehen muss. Ich muss Morgen früh raus und Sam kann auch nicht zu lange alleine bleiben."

Sie winkte ab. „Natürlich, das verstehe ich. Gib dem Dicken einen Kuss von mir."

„Mache ich."

„Sarah! Kommst du? Es wird Zeit, den Brautstrauß zu werfen!" rief eine der Freundinnen meiner Schwester ihr zu.

Entschuldigend sah sie mich an. „Pass auf dich auf, ja? Es ist dunkel und... ja. Berlin ist Nachts nicht der ungefährlichste Ort."

Ich musste schmunzeln. „Das war London auch nicht und ich lebe noch. Keine Sorge, mir passiert nichts. Genieß deinen Abend. Ich melde mich, wenn ich in meiner Wohnung angekommen bin."

„Gut." lächelte sie.

Die Tür meiner Wohnung fiel hinter mir in's Schloß. Erleichtert atmete ich auf. Ich hatte es geschafft. Und es war gar nicht so schwer, wie ich gedacht hatte. Meine Angst, die Hochzeit würde böse Erinnerungen wieder aufleben lassen, war umsonst. Naja... fast. Ein bisschen komisch war es schon. War ich doch diejenige gewesen, die vor gut zwei Jahren ebenfalls im weißen Kleid vor dem Altar stand. Voller Hoffnung und Zuversicht auf eine tolle Zukunft mit einem noch tolleren Ehemann. Dachte ich jedenfalls.
„John..." murmelte ich nachdenklich vor mich hin.

Ich bin Zuhause. Habt noch einen schönen Abend. Ich wünsche euch das Beste.
Ich schickte die Nachricht an Sarah ab, als ich vier Pfoten auf dem dunklen Holzboden tippeln hörte.

„Na mein Schatz?" begrüßte ich meinen Golden Retriever Rüden Sam, der mit kleinen müden Augen auf mich zu trottete. „Lass mich eben kurz umziehen, dann können wir noch eine kleine Runde drehen." erklärte ich ihm und als könne er mich verstehen, lief er vorne ran in's Schlafzimmer.

Ich zog die vielen Klammern aus meinen blonden Haaren und ließ die Strähnen über meine Schulter fallen. Dann öffnete ich den Reißverschluss meines knielangen, lavendelfarbenen Kleides und schlüpfte heraus. Aus meinem Schrank zog ich eine schwarze Jogginghose und einen hellblauen Hoodie. Obwohl es tagsüber sehr warm war, wurde es zum Abend hin immer kälter, weshalb ich mich dazu entschied, auch noch meine schwarze Lederjacke über zu ziehen. Ich zog mir eins der vielen Paar Sneaker an, die im Flur standen und nahm die Leine vom Haken der Garderobe. Sam war bisher immer hundertprozentig abrufbar gewesen, weshalb er so gut wie nie an der Leine lief. Zur Vorsicht nahm ich sie trotzdem immer mit.
„Komm!" rief ich ihn und als mein Hund durch die Tür in's Treppenhaus lief, schloß ich die Tür hinter uns.

Es war relativ ruhig auf den Straßen. Bedachte man den Fakt, dass es Kreuzberg war. Hin und wieder fuhr ein Auto an uns vorbei und auf der anderen Straßenseite standen ein paar Jugendliche mit Bierflaschen vor dem Späti. Sam lief ruhig vor mir her, schnupperte hier und da und schaute immer wieder mal kurz nach hinten um sicher zu gehen, dass ich noch da war. Gedankenverloren sah ich mich um. Niemals hätte ich gedacht, dass ich jemals wieder nach Berlin ziehen würde, als ich vor einigen Jahren nach London gegangen war, um dort für ein aufsteigendes Unternehmen zu arbeiten. Bevor ich das tat, war diese Stadt hier meine Heimat. Ich kannte jede Straße, jede Ecke, jeden Winkel. Fühlte mich Zuhause. Dieses Gefühl war verschwunden. Es hatte sich viel verändert und ich fühlte mich wie eine Fremde. Ein Außenseiter, der nicht hier her gehörte. Alles, was für mich damals normal war und den Charme Berlins ausmachte, ekelte mich heute nur noch an. Im Gegensatz zu London war Deutschlands Hauptstadt eine einzige, riesige Müllhalde. Und ich? Ich war eine der vielen Millionen Kakerlaken in ihr.

Als wir um die Ecke bogen, blieb Sam plötzlich stehen und blickte aufmerksam zur anderen Straßenseite. Ich verfolgte seinen Blick und entdeckte einen Fuchs, der zwischen den, von Laternen angestrahlten Büschen hervor trat.
„Sam." sprach ich ihn an, um seine Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken, doch seine Ohren schienen auf Stumm gestellt. Der Fuchs blieb stehen und sah zu uns herüber.
„Sam." wiederholte ich. „Komm, wir gehen weiter." doch der Rüde dachte nicht daran, sich zu bewegen. An seiner Körperhaltung erkannte ich, dass er sich bereit machte, über die Straße und zu dem Tier zu laufen. Ich sah nach rechts auf die Straße, wo zwei Scheinwerfer sich uns rasch näherten. Grade, als ich vorsichtig einen Schritt auf ihn zu ging, um ihm die Leine anzulegen, lief Sam zielstrebig los. Alles ging so schnell.
„Nein!" rief ich erschrocken, als ein lauter Knall und quietschende Reifen die Stille der Nacht durchbrachen.

The night we met - Felix Lobrecht FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt