4. Kanelbullar

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Von: mpk. management@sony.de
An: svensson83@gmail.com
Betreff: Meeting

Hallo Sanna,

ich wollte mich noch einmal bei dir bedanken, dass du mir bei der Durchführung der Ausstellung hilfst, heute Morgen warst du so schnell verschwunden, dass ich nicht mehr die Gelegenheit dazu hatte. Ich habe dir etwas Infomaterial in den Anhang gepackt, damit du dich in die Materie einlesen kannst.
Herzlichst
MPK

Mein Blick wandert über die E-Mail, aber ich kann keinen Anhang entdecken. Schulterzuckend beginne ich die Nudeln zu verschlingen, ich sollte dringend ins Bett, morgen habe ich wieder Frühdienst. Wer auch immer den aktuellen Dienstplan gewürfelt hat, gehört dafür geschlagen. Ich weiß, dass es nicht einfach ist alle Kollegen mit ihren Wünschen und Besonderheiten unter einen Hut zu bekommen, aber dieser stetige Wechsel vom Spät- zum Frühdienst und zurück mach mich mürbe, am liebsten würde ich mich ins Bett legen und drei Wochen schlafen. Das daraus nichts wird zeigt mir unerbittlich der Nachtdienstblock, der in den kommenden Tagen auf mich zukommt. Manchmal beneide ich Moritz um seine wenigen Stunden, natürlich hat er auch Nachtdienste oder längere Blöcke mit Schichten, aber danach für gewöhnlich mehrere Tage frei, bei mir reicht es meist nur für die vorgeschriebenen zwei Tage, wenn nicht wieder jemand ausfällt und ich einspringe.
Wieder der Ton einer eingegangen Mail.

Von: mpk. management@sony.de
An: svensson83@gmail.com
Betreff: Jetzt aber

Sorry, ich bin nicht so geübt wenn es um Anhänge geht, darum kümmert sich normalerweise mein Team, jetzt müsste der Anhang da sein.
MPK

Schmunzelnd klicke ich nun auf das kleine Icon und sehe dann dem Balken zu, der den Fortschritt des Downloads anzeigt.
"Wie war eigentlich dein Treffen gestern?", holt Moritz mich aus meinen Gedanken zurück. Er hat sich mittlerweile ein Schinkenbrot gemacht und sitzt mir nun gegenüber, die Beine lässig auf dem Tisch abgelegt.
"Füße vom Tisch, du weiß, dass ich das hasse.", weise ich ihn zurecht. "War ganz gut, ich fahre im September jetzt mit den Messdienern weg und Thomas hat mal wieder ominösen Besuch angeschleppt, der irgendeine Kunstausstellung bei uns machen will, da hänge ich auch mit in der Planung drin."
"Sanna, Sanna, Sanna... Wenn die Gemeinde dich und deine Arbeit bezahlen müsste könntest du glatt in der Klinik kündigen, weißt du das?"
Ich beiße mir auf die Lippen, das altbekannte Thema, Moritz findet, dass die Gemeinde mich ausbeutet, sich darauf verlässt, dass es ausreichend Menschen gibt, die alles am Laufen hält und dass die unbesetzte Stelle der Gemeindereferentin so nie neu besetzt wird. "Ach komm, das macht mir doch Spaß.", erwidere ich lahm, ich habe heute Abend keine Lust auf Grundsatzdiskussionen. Ich weiß, wie Moritz zur Kirche und zu Religion im Allgemeinen steht. Er ist in einer streng jüdischen Familie aufgewachsen, mit allen über 600 Ge- und Verboten, ein Korsett an Traditionen und Ritualen. Tu dies nicht, iss jenes nicht, mach das nicht, schon früh hat er sich gegen jede Form von Religiösität gewehrt, was zu heftigen Konflikten mit seinen Eltern geführt hat. Einmal hat er mich mit nach Hause genommen, damals, in der sechsten Klasse. Frau Rosenbaum, seine Mutter, hat mich von oben bis unten gemustert und dann sehr hitzig mit ihrem Sohn gesprochen, in einer Sprache, die ich nicht verstanden habe. Moritz hat sich dann tausend Mal bei mir entschuldigt und mit hochroten Ohren etwas davon gestammelt, dass er einen Zahnarzttermin vergessen hätte und ich leider gehen müsse. Danach hat er mich nie wieder zu sich eingeladen. Ein paar Jahre später hat er mir erklärt, dass in orthodoxen Familien Frauen und Männer und auch Mädchen und Jungs keinen Kontakt zueinander haben dürfen Als er mich damals mit nach Hause gebracht hat, war seine Mutter ziemlich entsetzt und hat ihm jeglichen Kontakt zu mir verboten. Kurz vor Moritz 18. Geburtstag wollten seine Eltern ihn nach Israel schicken, damit er sich dort auf Brautsuche begeben kann, das war der komplette Bruch mit seiner Familie und den Traditionen. In einer Nacht- und Nebelaktion ist er ausgezogen, erst in ein kleines Einzimmer Appartement in einer zwielichtigen Hamburger Gegend, später dann zusammen mit mir in die kleine Dachgschosswohnung, die auch jetzt noch unser Zuhause ist. Für mich, die aus einer heilen Großfamilie stammt, in der der Zusammenhalt immer groß ist, wäre es unvorstellbar mit meinen Eltern zu brechen, Moritz geht relativ gelassen mit seiner Situation um. Einzig mit seiner Großmutter Elisheva pflegt er sporadischen Kontakt. Sie ist sehr liberal und war damals diejenige, die Moritz Eltern dazu gedrängt hat, ihm einen nicht jüdischen Vornamen zu geben, damit der Junge es einmal leichter haben wird. Aaron Israel Moritz Rosenbaum ist nun alles andere als nicht jüdisch, aber zumindest sein dritter Vorname suggeriert anderen, dass er ein stinknormaler junger Mann ist.

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