Teil 33 Krasch

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Sanna

Vollkommen fertig, aber über das ganze Gesicht strahlend blickt mir Paddy durch den Handybildschirm entgegen. „Es war großartig Sanna! So viel Energie von den Menschen, ich habe das Gefühl, dass sie mich aufgeladen haben, wie einen Akku. Ich weiß gar nicht, wie ich heute Nacht schlafen soll, wahrscheinlich machen wir einfach durch!" Ein weiteres Gesicht schiebt sich in meinen Fokus.

„Heeeeeeeeeeeeey Sanna Schätzchen! Dein Freund hat heute Abend die Bühne sowas von abgerissen!" Anerkennend klopft er Paddy auf die Schulter und prostet mir mit etwas zu, das sehr hochprozentig aussieht. Es freut mich den Kelly so glücklich zu sehen, die letzten Wochen waren hart und haben ihn viel Kraft gekostet, viel mehr als er zugeben würde.

Die Tür des Pausenraumes wird aufgerissen und Mohammed steckt seinen Kopf in den Pausenraum. „Sanna, es sind zwei RTWs angekündigt, zwei Minuten!"

„Alles klar!" Entschuldigend wende ich mich wieder dem Handy zu. „Sorry Leute, die Arbeit ruft. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend, macht nicht so doll." Ich zwinkere den Beiden zu, die mittlerweile in einer dichten Rauchwolke verschwunden sind und schließe das Handy wieder in meinem Spind ein. Mittlerweile habe ich eine gewisse Routine auf der neuen Station entwickelt und bewege mich recht sicher. Was ich schnell festgestellt habe, ist, dass es auf der Wöchnerinnenstation wesentlich ruhiger zugeht, Hektik ist dort nicht an der Tagesordnung. Hier in der Notaufnahme geht es oft um Sekunden, wir müssen schnell entscheiden wer welche Behandlung benötigt und nicht immer können wir helfen, etwas dass mich immer wieder beschäftigt. Der Tod ist hier Teil des Alltags. Ich stecke mir noch schnell ein Stück Schokolade in den Mund, Zucker hilft mir, um über die Nacht zu kommen und öffne die Tür zur Station. Direkt schlägt mir die Geschäftigkeit und der Lärm der Notaufnahme entgegen, mit schnellen Schritten gehe ich in Richtung Schockbox, um dort den oder die Patienten entgegen zu nehmen. „Was gibt es?", will ich von Mo wissen.

„Zwei Verletzte, stark alkoholisiert, eventuell Überdosis, einer der Verletzten ist in die Alster gefallen, ein anderer hat versucht ihn zu retten. Wir haben zwei kritische Zustände, der Rest der Truppe wurde vorsorglich mitgenommen ist aber wohl stabil."

Ich nicke, greife mir die Box mit den Handschuhen, stopfe mir einige als Ersatz in die Kitteltasche und prüfe, ob ich alle notwendigen Utensilien bereitliegen habe. Die Tür wird aufgerissen und mehrere Tragen werden hineingeschoben, ich höre Mo, der laut die jeweiligen Nummern der Behandlungsräume brüllt. Ohne einen Blick auf den Patienten zu werden greife ich nach der Trage und ziehe sie in den Behandlungsraum, für den ich zuständig bin. Wie im Tunnel höre ich, was der Sanitäter mir zu erzählen hat. „Männlich, 36 Jahre alt, 2,1 Promille, hat laut seinen Kumpels alles Mögliche durcheinander getrunken und nicht näher definierte kleine bunte Pillen geschluckt. Ist dann in die Alster gefallen und untergegangen. Einer seiner Freunde war so geistesgegenwärtig und hat ihn aus dem Wasser gefischt. Wir hatten im RTW immer wieder Aussetzer der Atmung, daher haben wir intubiert, Kreislauf ist stabil nach drei Gaben Atropin. Körpertemperatur ist bei 34,9, Blutdruck bei 100/60, schwankend."

Ich nicke, gebe alle Werte in den PC ein und bereite alles für eine Blutentnahme vor. Die Polizei wird sicherlich ein umfangreiches Drogenscreening anordnen, so viel weiß ich mittlerweile. Jetzt werfe ich einen genaueren Blick auf den Menschen auf der Liege und mir stockt der Atem. „Till? Oh mein Gott Till, was ist passiert?" Vor mir liegt der Drummer der Black Thornes, die Haare kringeln sich feucht auf seinem Kopf und er sieht blass aus. Mein Blick huscht zu den Vitalzeichen, momentan scheint alles ruhig zu sein. Vorsichtig streiche ich ihm über die Stirn. „Till, was hast du nur getan?", flüstere ich. Ich kenne ihn gefühlt mein ganzes Leben, wir sind zusammen erwachsen geworden, er hat nie über die Stränge geschlagen, war immer derjenige der mit Alkohol sehr vorsichtig umgegangen ist, wenn alle anderen am Joint gezogen haben, hat er jedes Mal abgelehnt. Er hat noch nicht mal Zigaretten geraucht. Dass ausgerechnet er mit diesem Alkoholwert im Blut und komplett zugedröhnt hier vor mir liegt, ist mir vollkommen unverständlich. Die Tür zum Behandlungszimmer wird aufgeschoben und ich höre meinen Namen. „Moritz! Um Gottes Willen, was ist passiert? Was ist mit Till los? Geht es dir gut? Was ist mit dir?" Ich springe auf und mustere meinen Freund. Er zittert am ganzen Körper, sieht blass und müde aus, seine Pupillen sehen riesig aus und ich würde alles verwetten, dass auch er auf irgendeinem ungesunden Trip ist. „Moritz? Sag was!" Unsanft schüttele ich ihn.

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt