5. Leah

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"Ähm, was kann ich für Sie tun?" Kritisch mustere ich die junge Frau, die vor mir steht, ihr Aussehen schreit danach, dass sie irgendeiner Glaubensrichtung angehört, die mit mir über Gott und die Welt sprechen möchten. "Es tut mir leid, ich möchte nicht mit Ihnen über Gott sprechen und ich kaufe auch nichts. Einen schönen Tag noch." Ich will die Tür schließen, doch zu meiner Verwunderung hält die Frau mich auf.

"Ich suche Aaron Rosenbaum, bin ich hier richtig?", ihre Stimme klingt fein und leise, ich muss mich anstrengen, um sie zu verstehen, umso mehr erstaunt mich, die Kraft, mit der sie die Tür aufgehalten hat.

"Äh? Wer will das wissen?" Wieder wandert mein Blick an ihr herunter, eine neue Flamme wird es nicht sein, nach so vielen Jahren kenne ich seinen Geschmack nur zu gut und der biedere wadenlange, schwarze Rock und die weiße, gestärkte Bluse entsprechen nicht seinem Muster.

"Wohnt Aaron hier?", ihre Augen blitzen stechend auf, irgendwie kommen sie mir bekannt vor. "Ich bin Leah Goldschmidt." Sie reckt das Kinn und sieht mich wieder herausfordernd an.

Falls mir der Name etwas sagen soll, dann muss ich sie leider enttäuschen, es klingelt bei mir überhaupt nicht. "Moritz, also Aaron ist zur Zeit nicht da, er ist einkaufen.", erwidere ich daher.

"Kann ich auf ihn warten, bitte, es ist wichtig. Ich bin seine Schwester." Jetzt klingelt es bei mir, Moritz kleine Schwester, natürlich. Wir haben uns seit einer kleinen Ewigkeit nicht mehr gesehen und irgendwie sah sie damals ganz anders aus.

"Oh Gott, Leah? Bist du das? Entschuldige bitte, dass ich dich nicht erkannt habe, wie lange ist es her? Zwanzig Jahre? Damals warst du noch ein Kind und jetzt... Und seit wann bist du blond?", kritisch mustere ich die blonden Locken, die sanft über den Rücken bis zu den Ellenbogen fallen.

Jetzt ist sie es, die die Augen zusammenkneift und nachdenken muss. "Sanna? Oh mein Gott, ihr lebt also wirklich zusammen?" Kurz kichert sie, dann wird sie wieder ernst. "Darf ich reinkommen? Bitte!"

Ich trete zur Seite und lasse sie in die Wohnung. "Soll ich Moritz anrufen, dann macht er sich bestimmt direkt auf den Weg. Wie kommt es, dass du ihn besuchst, es hat sich noch nie jemand aus der Familie blicken lassen, die Einzige, die sich regelmäßig meldet, ist eure Oma." Leah lächelt gequält, erst jetzt fällt mein Blick auf die Reisetasche, die sie dabei hat. "Möchtest du länger bleiben?"

"Ich... Ich..." Ihre Stimme bricht und sie beginnt zu schluchzen, okay, es sieht nicht nach einem harmlosen Höflichkeitsbesuch aus.

"Setz dich doch erstmal." Ich bugsiere sie zur Couch und schicke Moritz eine kurze Nachricht, dass er sich bitte beeilen möge. Keine zehn Minuten später höre ich endlich den Schlüssel im Schloss, erleichtert springe ich auf und renne zur Tür, aus Leah habe ich immer noch kein vernünftiges Wort herausbekommen. "Endlich bist du wieder da."

Irritiert sieht Moritz mich an, er sieht abgehetzt aus, wahrscheinlich hat er sich wirklich beeilt. "Was ist denn los? Deine Nachricht klang so kryptisch und nach einem absoluten Notfall."

"Leah ist da und irgendwas ist passiert, ich bekomme aber nicht heraus, was."
Moritz lässt den vollen Baumwollbeutel fallen und hastet ins Wohnzimmer.
"Leah, um Himmelswillen, was ist passiert? Was machst du hier?" Seit seinem Auszug hat Moritz keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern und Geschwistern gehabt, wir leben halt in zwei unterschiedlichen Welten, hat er immer wieder gesagt und so getan, als wenn ihm dieser Bruch nichts bedeuten würde.

"Oma hat mir deine Adresse gegeben, ich brauche einen Platz, an dem ich unterkommen kann, zumindest für kurze Zeit."

"Klar kannst du bleiben, aber... Du bist doch verheiratet, was ist mit deinem Mann? Weiß er, dass du hier bist?"

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt