Teil 49 Gott Nytt År

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Sanna

„Ich wünsche dir ganz viel Spaß mit Johannes, macht nicht so doll!" Ich lehne mich zur Seite und gebe dem Kelly auf dem Fahrersitz einen schnellen Kuss.

„Danke, dir eine ruhige Schicht, bis morgen früh."

Ich ziehe meine Kapuze auf und steige aus dem Auto, direkt in den Hamburger Nieselregen. „Mistwetter!", fluche ich und lege an Tempo zu, um so schnell wie möglich in die Sicherheit der Klinik zu kommen. In der Umkleide ist nicht viel los, ich bin etwas zu früh für die Nachtschicht dran, aber das Angebot des Kellys mich rumzufahren war bei diesem Wetter mehr als verlockend. Schon von Weitem höre ich die aufgeregten Stimmen aus der Notaufnahme, unwillkürlich werde ich schneller und erfasse innerhalb weniger Augenblicke, was sich dort abspielt. Mo und Florian versuchen einen Mann festzuhalten, der sichtlich erregt ist, wild um sich schlägt und immer wieder laut flucht. Sein Gesicht ist blutüberströmt und immer wieder spuckt er in die Richtung meiner Kollegen. Ich lasse meine Tasche fallen, renne los und brülle nach der Security, zum Glück sind an einem Abend wie diesem deutlich mehr Securitymitarbeiter im Haus und so sind sofort mehrere bullige Männer zur Stelle, die den Mann in Gewahrsam nehmen.

„Danke Sanna.", brummt Mo und wischt sich mit angewidertem Gesichtsausdruck durch das Gesicht.

„Was war los?", will ich wissen, während ich meine Tasche im Personalraum verstaue und ein letztes Mal meine Haare richte.

„Das Übliche, Konsum fragwürdiger Substanzen, dann eine Schlägerei in der Kneipe und als wir ihn hier untersuchen wollten, ist er total ausgerastet. Danke, dass du so schnell reagiert hast. Du weißt schon, worauf du dich hier eingelassen hast?"

Lachend schüttele ich den Kopf. „Wie auch? Silvester war auf der Entbindungsstation immer ein sehr ruhiger und fröhlicher Abend. Ich denke von fröhlich und ruhig sind wir hier weit entfernt?"

„Ich denke innerhalb der nächsten zwanzig Minuten trudeln hier die ersten Verletzten mit fehlenden Gliedmaßen durch Böller ein, später kommen dann die dazu, die sich geprügelt haben und gegen Morgen die ein oder andere Alkoholvergiftung. Mach dich also drauf gefasst, dass du in den nächsten Stunden nicht sitzen wirst, selbst Trinken und Toilette sind wahrscheinlich eher weniger drin. Ich habe schon so viele Mitarbeiter wie möglich rekrutiert, aber freiwillig will ja an diesem Abend auch niemand so richtig arbeiten. Von einigen löblichen Ausnahmen mal abgesehen. Hast du nichts Besseres vorgehabt?"

„Nun, anscheinend nicht lieber Mohammed. Ich steh nicht so auf Partys von daher komme ich gerne her und verbringe den Abend mit etwas sinnvollem." Wir kommen in unserem Gespräch nicht weiter, denn in diesem Moment geht die Tür zur Notaufnahme auf und drei Sanitäterteams kommen herein.

„Okay, Sanna und Holger Raum eins, Florian und Alexa Raum zwei, Ich gehe mit Sven in die Drei. Vivi und Hauke halten hier die Stellung. Falls ihr Hilfe braucht, ruft uns." Ich mag die klaren und verständlichen Anweisungen von Mo, jeder weiß sofort was zu tun ist und wo er hingehört. Mittlerweile sind mir die Abläufe der Notaufnahme geläufig, ich kenne die Routinen und auch ein Abend wie heute macht mir keine Angst mehr. Wir nehmen die Trage in Empfang und während Holger die Werte und Daten entgegennimmt werfe ich einen ersten Blick auf den Patienten. Mo hat Recht gehabt, die rechte Hand des jungen Mannes weist erhebliche Verletzungen auf, die wahrscheinlich von einem Böller stammt, der dort explodiert ist. Als erstes verabreiche ich ein starkes Schmerzmittel, dann trage ich vorsichtig die Verbände ab, die die Sanitäter angelegt haben. „Sorry, das tut jetzt kurz weh.", reagiere ich auf den schmerzverzerrten Blick. Ich versuche so schnell wie möglich und gleichzeitig behutsam die Verbände zu lösen, man erkennt auf den ersten Blick, dass er ein Fall für die Chirurgie ist. Auch dem jungen Mann wird nun klar, dass er mehr als einen kleinen Kratzer hat, denn seine Gesichtsfarbe wechselt von rosig zu kalkweiß innerhalb weniger Sekunden. Bevor er überhaupt realisiert, dass ihm schlecht wird, habe ich ihm bereits eine Nierenschale unter die Nase gehalten und reiche ihm ein Tuch an.

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt