Teil 21 Uttal

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Sanna

Müde kicke ich meine Schuhe in die Ecke, in den letzten Tagen auf meiner alten Station bekomme ich nochmal das volle Programm, den Frühdienst habe ich heute alleine mit der Schülerin bestritten und jetzt möchte ich nur noch auf mein Sofa, eine alte Folge Friends schauen und einen Kaffee trinken. Ich schicke dem Kelly eine kurze Nachricht, dass ich Feierabend habe, wohlwissend, dass er wahrscheinlich erst in einigen Stunden darauf antworten wird. Im besten Fall bin ich dann noch wach, wenn es so läuft wie in den letzten Tagen verpassen wir uns wieder. Mein Frühdienst und sein Künstlerleben sind nicht so wirklich kompatibel, das merken wir immer wieder, meist kriecht er erst am späten Vormittag aus dem Bett, fährt dann zu seinen Terminen und wenn er spätabends von der Bühne kommt, schlafe ich schon. Dass es nicht einfach werden würde, hatte er mir vorhegesagt, aber der Zustand, in dem wir uns aktuell befinden, nervt mich doch ziemlich. Das Piepsen meines Handys lässt kurz die Hoffnung aufflammen, dass er es doch geschafft hat sich ein kleines Zeitfenster freizuschaufeln, als ich jedoch die Nachricht sehe muss ich unweigerlich lachen.

„Hallosannakannstdumorgenzumputzenkommen?"

Die Nonnen haben zwar die Grundfunktionen von WhatsApp verstanden, am Finetunig arbeiten wir allerdings noch. Seufzend sage ich zu, Zeit habe ich zwar, aber die Lust hält sich in Grenzen, allerdings muss ich morgen sowieso an der Kirche sein, da die ersten Leute kommen, um alles für die Ausstellung des Kellys vorzubereiten. Ein wohliger Schauer jagt mir über den Rücken, am Wochenende wird er endlich wieder in Hamburg sein, natürlich um zu arbeiten, aber die Nächte gehören uns und so wie es momentan aussieht sogar ein freier Tag. Seufzend stehe ich vom Sofa auf um mir einen Kaffee zu machen, ich habe das Gefühl gleich einzuschlafen, was bedeuten würde, dass ich heute Nacht zu wenig Schlaf bekomme. Ich bin gerade dabei das Kaffeepulver in die Maschine zu füllen, als es an der Tür klingelt, wer mag das an einem Dienstagnachmittag sein? Ich stelle die Kaffeedose ab, öffne die Tür und gehe automatisch einen Schritt zurück, als ich sehe, wer dort steht. „Moritz...", hauche ich.

„Hi Sanna... Darf ich... Reinkommen?" Unsicher knetet er seine Hände und kurz überlege ich ihn an der Tür abzufertigen, allerdings müssen die Nachbarn nicht mitbekommen, was bei uns los ist und Frau Tüxen, die einen Stock unter uns wohnt, hat ihre Ohren überall, also trete ich einen Schritt zur Seite und lasse ihn in die Wohnung. Verloren steht er im Flur und obwohl er jahrelang ganz selbstverständlich hier ein und aus gegangen ist, wirkt er auf einmal wie ein Fremdkörper, auch ihm scheint es mit der Situation nicht gut zu gehen, denn er macht keinerlei Anstalten, weiter in die Wohnung zu kommen.

„Würdest du eine Runde mit mir spazieren gehen?"

Überrascht sehe ich ihn an, damit habe ich nun nicht gerechnet. „Ja... Klar...", stammele ich und schlüpfe in meine Schuhe. Ganz selbstverständlich schlagen wir unseren alten Lieblingsweg zu den Landungsbrücken ein, außer uns sind jede Menge anderer Menschen unterwegs, die Hamburger genießen einen dieser lauen Frühsommerabende, in denen man es kaum in den Wohnungen aushält, sondern die Zeit in einem Café oder Restaurant verbringt.

„Es tut mir leid Sanna! Wirklich! Ich habe totalen Bockmist gebaut, dich verletzt und hintergangen, das hast du nicht verdient."

Ich stehe mit verschränkten Armen neben ihm und schaue auf die Elbe, eine der Hafenrundfahrtbaken schiebt sich in mein Blickfeld, Touristen, die versuchen alles mit ihren Smartphonekameras aufzufangen, die gelangweilte Stimme des Reiseführers wird vom Wind zu uns herübergetragen, Wortfetzen, die so aus dem Zusammenhang gerissen keinen Sinn ergeben. „Sanna?" In Moritz Stimme liegt so viel Hoffnung, sein Blick durchdringt mich und es fällt mir schwer, standhaft zu bleiben, ich merke, wie meine Mauer mit jeder Sekunde bröckelt.

„Okay.", presse ich hervor.

„Kannst du mir verzeihen?"

Ich sehe ihn lange an, ob ich es kann, steht außer Frage, ich habe ihm schon lange verziehen, es ist Moritz, mein Moritz, mein Fels in der Brandung, mein bester Freund, Moritz, der so lange ich denken kann ein Teil von meinem Leben, ein Teil von mir ist. Ich seufze, will es ihm eigentlich nicht so leicht machen, aber dann ist da wieder sein Blick, der auf mir ruht.

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt