Teil46 Men det hände på den tiden

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Sanna

„Marten, Ruben, aufhören! Sofort!" Meine Stimme hallt laut durch die Kirche und sofort hören die zwei Hirten auf, sich gegenseitig mit den Stoffschafen zu bewerfen. „Meine Güte, könnt ihr euch nicht mal fünf Minuten benehmen? Gleich ist die Kirche hier voll, in allen Bänken werden Leute sitzen, die euch zusehen! Wollt ihr da durch Blödsinn glänzen? Wollt ihr, dass die Leute sich über euch lustig machen?" Schuldbewusst lassen die Zwei die Köpfe hängen, die Schafe rutschen aus ihren Händen und purzeln die Stufen hinunter.

„Schuldigung Sanna!", kommt es von ihnen unisono.

Seufzend drehe ich mich um, als jemand an meiner Hand zupft. „Sanna, ich muss mal Pippi!" Clara, einer der winzig kleinen Engel steht vor mir, ungeduldig trippelt sie von einem Bein aufs andere, es scheint also dringend zu sein.

„Komm mit!", schnell greife ich nach ihrer Hand und bringe sie hinüber in das angrenzende Gemeindehaus. „Brauchst du Hilfe mit dem Kleid?"

„Ja", piepst sie und sieht mich aus großen, blauen Augen an.

Zehn Minuten später sind wir zurück in der Kirche und ich stelle erleichtert fest, dass die Hirten sich anscheinend dazu entschlossen Frieden miteinander zu schließen. Jedes Jahr das Gleiche, jedes Jahr sind es die Hirten, die durchdrehen und sich irgendwann prügeln. Ich kann nur hoffen, dass das Publikum nachher so einschüchtern wirkt, dass sie friedlich sind. „So, wisst ihr was, ihr lasst jetzt alle Schafe und Felle und Stöcke hier liegen und rennt mal zwei Runden um die Kirche. So schnell ihr könnt! Okay?" Mehrere große Augenpaare schauen mich an, wissen wohl nicht genau, ob das ein Scherz sein soll. „Nun husch! Bevor die ersten Leute kommen! Powert euch aus!" Johlend verlassen die Kinder die Kirche und ich gönne mir fünf Minuten, um in Ruhe durchzuatmen. Mit meinem Handy verziehe ich mich in eine der Bankreihen und entsperre das Display.

„Der Termin hier zieht sich, ich melde mich dann später bei dir. Bis wann geht der Gottesdienst?" Die letzte Nachricht vom Kelly ist schon eine Ewigkeit her. Wer zum Geier legt auf den 24. wichtige geschäftliche Termine? Ich weiß, dass in den USA eher der 25. Dezember wichtig ist, aber der kleine, egoistische Teil in mir stampft wütend mit dem Fuß auf.

„Gegen 18°°Uhr sollte hier Ruhe eingekehrt sein, bist du dann schon bei deinem Termin? Egal wann, melde dich!"

Innerlich verfluche ich Anna, die mich so lange bearbeitet hat bis ich zugesagt habe heute Abend zu ihr und ihrer Familie zu kommen, arbeiten wäre wahrscheinlich die bessere Option gewesen.

„Sanna, sollen wir kurz den Ablauf durchgehen?"

Seufzend erhebe ich mich und gehe zu Thomas in die Sakristei, um noch einmal alle Details durchzugehen.

„Wie sind die Kinder drauf?", will er wissen. In diesem Augenblick wird die Kirchentür aufgerissen und die lärmende Meute kehrt zurück.

„Noch Fragen?"

Er schüttelt lachend den Kopf. „Nope, alles wie immer. Du weißt, dass alles gut gehen wird, dass sie lammfromm sein werden, sobald wir einziehen."

„Klar.", seufze ich. Ich mache das hier schon seit Jahren und jedes Jahr ist es nervenaufreibend und am Ende wird alles gut. Ich scheuche die aufgeregte Bande zusammen und erkläre ihnen noch einmal ganz genau, wie wir in die Kirche einziehen werden. Mittlerweile hört man von draußen bereits das anschwellende Stimmengewirr, die Kirche füllt sich zusehends. Ich richte schnell die letzten Dinge, lege das Mikrofon bereit, kontrolliere, ob das Lektorat vollständig ist und atme ein letztes Mal tief durch. Mein Blick gleitet suchend über die Menschen in den Kirchenbänken, kurz hatte ich die Hoffnung, dass der Kelly mich überrascht und auf einmal dort sitzt. Ich versuche nicht zu sehr enttäuscht zu sein, als ich lediglich Anna sehe, die mir lächelnd zuwinkt. Wie in jedem Jahr sehe ich viele bekannte Gesichter, Menschen, die mich in meiner Kindheit begleitet haben, aber die später Hamburg verlassen haben. Jedes Jahr pünktlich zu Weihnachten kehren sie nach Hause zurück, ein bisschen so, wie im Lukasevangelium. Als die kleine Glocke unser Eintreten in die Kirche ankündigt, weicht meine Nervosität einer Abgeklärtheit. „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn." „Der Himmel und Erde erschaffen hat!", und dann geht es los. Ungewohnt brav trotten die 15 Kinder vor mir her, verschämt winken sie ihren Familien zu, nur um gleich darauf wieder ernst und konzentriert nach vorne zu sehen. Stopp am Altar, leise bis Drei zählen, Kniebeuge und dann ab in die erste Bankreihen. Erleichtert atme ich auf, die erste Hürde ist geschafft, alle sitzen brav und ich kann meinen Platz neben Thomas einnehmen. Hinstellen, Gebet, sitzen, Begrüßung, das alles rauscht an mir vorbei, erst als Thomas mir stumm zunickt kehrt die Aufregung zurück. Mit kurzen Worten erzähle ich, dass jetzt das Krippenspiel kommt, dass die Kinder hart dafür gearbeitet haben und wünsche allen viel Spaß.

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt