27 Familjeplanering

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Patrick

Lauter Applaus empfängt mich, einige Paddy Rufe, die auch auf solchen Veranstaltungen immer wieder auftauchen. Ich lächele, nicke, verweile mit meinem Blick für einige Sekunden auf einzelnen Personen, das gibt ihnen das Gefühl gesehen zu werden, es stellt Bindung her, dass ich dabei gar nicht wirklich darauf achte, wem ich da ins Gesicht sehe, muss ja niemand wissen. Einige Gesichter kommen mir natürlich trotzdem bekannt vor, je öfter eine Person in meinem Blickfeld auftaucht umso eher merke ich sie mir, manchmal eine ermüdende Prozedur.

Etwas verloren stehe ich vorne vor dem Pfarrer, die ersten Minuten sind immer die schlimmsten, wenn ich nicht genau weiß wohin mit meinen Händen, wenn ich noch kein Mikrofon in der Hand habe und nicht meinen Text abspulen kann. Ich lächele etwas nervös, gebe vor zuzuhören, nicke ab und an und warte auf meinen Einsatz. Als das Wort an mich übergeben wird schalte ich von jetzt auf gleich in den Profi Modus um, ich erzähle über mein Herzensprojekt die Peacebell, erzähle darüber, was mir wichtig ist und was mich dazu getrieben hat. Mit jedem Satz werde ich ruhiger und routinierter, werde mehr zum Fisch im Wasser. Das hier kann ich, hier bewege ich mich mit schlafwandlerischer Sicherheit, das ist mein Tanzbereich auf dem mir niemand etwas vormachen kann.

Nach meinem Vortrag greife ich zur Gitarre und singe gemeinsam mit der Gemeinde Hewenu Shalom alechem, ein Lied, das mir sehr am Herzen liegt, danach Holy, als die ganze Kirche in den Refrain einstimmt bekomme ich Gänsehaut, immer wieder ein magischer Moment. Dann ist es geschafft, ich werde verabschiedet, bedanke mich und wende mich dann der wartenden Presse zu, der Teil, der mir am wenigsten gefällt. Zur Presse habe ich seit jeher ein gespaltenes Verhältnis, ich habe einen strengen Fragenkatalog, den alle kennen und ich breche jedes Interview ab, bei dem ich kein gutes Gefühl habe. Das hat mir zwar einen gewissen Ruf beschert, macht mir den Umgang mit der Presse allerdings einfacher. Mein Blick gleitet suchend durch die Kirche, während ich meine vorbereiteten Antworten abspule, es dauert etwas, bis ich Sannas Lockenkopf erblicke, sie diskutiert gerade mit Thomas, legt ihren Kopf in den Nacken und lacht herzhaft. Eine Welle des Glücks durchströmt mich, wie viel lieber würde ich jetzt dort stehen, neben ihr, vollkommen frei. Stattdessen lächele ich in Kameras und versuche mich souverän durch die vielen Fragen zu steuern. Als das Interesse endlich abebbt verabschiede ich mich und verschwinde durch die kleine Tür in die Sakristei, nur wenige Sekunden später ist Sanna bei mir und ich kann sie endlich in meine Arme schließen.

„Hallo Popstar.", murmelt sie und schmiegt sich an mich, ich schlinge meine Arme um sie und atme tief durch, merke, wie die altbekannte Mischung an Adrenalin und Dopamin durch meinen Körper schießt, ich fühle mich ein wenig wie betrunken.

„Hey Fangirl. Hast du hier noch was zu tun oder können wir abhauen?"

„Ich denke, Sanna ist fertig für heute, seht zu, dass ihr nach Hause kommt, so viel Glück hält ja keiner aus!" Thomas ist in der Sakristei aufgetaucht und scheucht uns vor sich her. Ich fackele nicht lange, dies Angebot werde ich definitiv nicht ausschlagen und greife nach Sannas Hand, um sie mit mir nach draußen zu ziehen.

„Aber... Ich muss doch noch...", will sie protestieren, doch ich unterbreche sie direkt.

„Nichts musst du, du hast in den letzten Tagen genug getan und jetzt gehört der Rest des Abends uns."


Sanna

Müde liege ich in den Armen des Kellys, mein Bein ist über seine Hüfte geschlungen und ich genieße die Wärme, die sein Körper ausstrahlt, was bei den sommerlichen Temperaturen, die draußen herrschen, wirklich ungewöhnlich ist.

„Kommst du eigentlich morgen Abend zu meinem Konzert?", seine Stimme klingt schlaftrunken, wahrscheinlich wäre es klüger demnächst vom Sofa ins Bett umzuziehen, aber auch ich fühle mich zu schläfrig, um mich groß bewegen zu wollen.

„Nachtdienst.", murmele ich und gähne ausgiebig.

Achso." Irre ich mich oder klingt er enttäuscht? Wahrscheinlich möchte er mich gerne dabei haben, aber wenn ich ehrlich bin, ist der Drang bei mir gar nicht so groß ihn auf der Bühne zu sehen, ich bin mit der Kellyversion, die hier auf meinem Sofa liegt ganz zufrieden.

„Sag mal, bist du eigentlich deinen kompletten Urlaub unterwegs? Oder hättest du ein wenig Zeit für mich?" Er dreht sich etwas, so dass er mich anschauen kann, was aber auch bedeutet, dass einige Zentimeter Platz zwischen uns sind, mit leisem Bedauern nehme ich diese Trennung wahr.

„Nein, drei Wochen mit meiner Großmutter sind dann noch zu viel des Guten, auch wenn meine Schwester mit ihrer Familie mit dabei sein wird. Also, um deine Frage zu beantworten, ich komme gerne zu dir, ich war noch nie in München."

„Erzähl mir von deinen Geschwistern, ich weiß irgendwie noch gar nichts über sie."

Ich schmiege mich wieder an ihn und der Kelly legt seinen Arm erneut um meine Hüfte. „Ich habe eine jüngere Schwester und einen älteren Bruder, Ida und Emil, ich bin also das Sandwichkind. Emil und seine Frau haben zwei Kinder, Michel und Lucy, die zwei gehen schon in die Schule, ich glaube Lucy sogar schon aufs Gymnasium, so ganz genau weiß ich das immer nicht, ich bin die typische Tante, die zu Weihnachten und zum Geburtstag einen Umschlag mit Geld schenkt und froh ist, wenn sie weiß, wer wer ist. Ida hat drei Kinder, Tilda, Klaas und Hanna, keine Ahnung, warum sie sich das angetan hat, das wäre mein persönlicher Untergang." Ich kichere leise, bemerke allerdings, wie sich der Kelly neben wir merklich anspannt. „Alles gut?"

„Ja, alles gut.", kommt seine Antwort, wie ich finde einen Tacken zu schnell. „Du kannst mit Kindern nicht so viel anfangen, oder?"

„Das hast du sehr nett umschrieben.", gebe ich lachend von mir. „Ich bin mit Kindern einfach nicht kompatibel, ich finde sie laut und klebrig und einfach anstrengend, sowas kommt mir nicht ins Haus." Ich stocke, als ich merke, dass sich seine Miene verändert hat. „Hey, was ist los?"

„Nichts... Ich... Ich... Ich muss das nur erstmal verdauen."

Ich setze mich schnell auf und sehe ihn besorgt an, langsam dämmert wir, was das Problem ist. „Du möchtest Kinder?", vermute ich leise. Es folgt ein stummes Schulterzucken und es durchfährt mich eiskalt, was, wenn das ein Grund ist, um sich von mir zu trennen? Am Thema Kinderwunsch sind schon ganz andere Paare zerbrochen.

„Schon... Also bislang kamen sie in meiner Planung immer vor." Auch er setzt sich auf und fährt sich durch die Haare, Traurigkeit liegt in seinen Augen und eine Spur von Distanziertheit.

„Okay.", stoße ich resigniert aus und stehe auf. „Das ist natürlich... Ungünstig." Stumm stehen wir voreinander, mein Blick wird von seinem gefesselt, es ist mir unmöglich wegzusehen.

„Ja, so ziemlich, weil ich nämlich..." Er räuspert sich und greift nach meinen Händen. „Ich mag dich Sanna, sehr sogar, ich habe lange nach einem Menschen wie dir gesucht."

Zitternd und mit geschlossenen Augen, lausche ich seinen Worten, warte auf den Aufschlag, wenn er mir sagt, dass er mich zwar mag, aber er nun nicht weiter mit mir zusammen sein kann.

„Hey, schau mich an.", sanft hebt er mein Kinn, unsicher blinzele ich ihn an. „Du hast Angst, dass ich dich jetzt in den Wind schieße, oder?" Ich nicke langsam, natürlich ist das meine Angst und es liegt ja auch nahe. „Und wenn ich das gar nicht möchte?"

„Was möchtest du nicht?" Ich gebe mir Mühe nicht zu weinen, die Blöße will ich mir nicht geben.

„Dich verlieren! Ich will dich nicht aufgeben Sanna, nicht so. Ich will uns nicht aufgeben, so lange du noch ein uns möchtest." Hoffnungsvoll sieht er mich an, ich muss mir auf die Lippen beißen, zu sehr werde ich von meinen Emotionen überrannt, statt einer Antwort schlinge ich meine Arme um ihn und küsse ihn.

„Natürlich! Sofern du mich noch willst, auch wenn meine Planung anders aussieht als deine."

Ich schiebe alle schrillenden Alarmglocken zur Seite, es ist mir in diesem Moment egal, was in einem Jahr ist oder zwei, was wir machen, wenn sein Kinderwunsch doch zu groß wird, all das interessiert mich nicht, ich weiß, dass das sehr blauäugig ist, aber ich will jetzt in diesem Moment nichts anders, als ihn zu spüren, ihn ganz nah bei mir zu haben, alles andere wird die Zeit bringen, wer weiß schon, was die Zukunft bringt.

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt