10. Nattliga tankar

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Sanna

„Hey Sanna, aufwachen!"

Mühsam versuche ich meine verklebten Augen zu öffnen und reibe mir stöhnend meinen schmerzenden Nacken, anscheinend bin ich wieder einmal über meinen Büchern eingeschlafen. Ich brumme etwas und richte mich langsam auf. „Wie spät isn das?"

„Halb vier, ich habe gedacht, dass du vielleicht langsam in dein Bett möchtest." Leahs Stimme klingt leise, sanft und dankbar nehme ich die Tasse mit dem dampfenden Tee an, den sie mir reicht. „Meinst du nicht, dass du dich ein wenig übernimmst? Du musst doch nachher wieder arbeiten, oder?"

Ich puste über die dampfende Flüssigkeit und schließe kurz die Augen. In wenigen Stunden klingelt bereits wieder der Wecker und ich fühle mich jetzt schon komplett gerädert, aber es nützt ja nichts. „Die Prüfung ist in drei Tagen und ich hinke mit dem Stoff hinterher. Ich habe nur diesen einen Versuch, wenn ich durchfalle, sind zwei Jahre Schufterei für die Katz, vom Geld gar nicht erst zu sprechen. Ich muss da jetzt durch, ob ich will oder nicht."

Nachdenklich sieht Leah mich an, in den letzten Tagen hat sie sich recht rar gemacht, versucht, uns nicht zur Last zu fallen, das rechne ich ihr hoch an, trotzdem würde ich gerne wissen, wie lange sie unser Sofa noch als Schlafstätte nutzen möchte. „Was ist das eigentlich mit Moritz und dir?"

Ich atme scharf ein, mit so viel Direktheit habe ich nicht gerechnet, eigentlich hat Leah in den letzten Tagen recht wenig mit mir gesprochen. Anscheinend hatte sie dafür ausreichend Zeit, uns zu beobachten. „Was soll mit uns sein? Wir sind gute Freunde, Kollegen, Mitbewohner.", versuche ich das Thema zu umschiffen, leider vergebens.

„Und wer soll das glauben Sanna? Ich mag sehr konservativ leben, aber auch ich habe Augen im Kopf und ich sehe die Blicke zwischen euch, diese zufälligen Berührungen. Ich fände es schön, wenn aus euch ein Paar werden würde, ich glaube, dass du Moritz guttust."

Ich muss mich beherrschen, um nicht schallend loszulachen. „Tut mir leid, wenn ich dich enttäusche Leah, aber über diesen Punkt sind wir längst hinweg, wir haben es miteinander versucht, aber als Liebespaar funktionieren wir einfach nicht."

„Mmh..." Nachdenklich stützt sie das Kinn auf die Hand. „Ich könnte schwören..."

„Was könntest du schwören?", will ich alarmiert wissen.

„Nichts.", sie winkt ab. „Wahrscheinlich sehe ich Dinge, die nicht existieren, projiziere meine eigenen Wünsche auf euch. Und ich habe Moritz ja viele Jahre nicht mehr gesehen."

„Was ist eigentlich mit dir und deinem Mann? Habt ihr noch Kontakt?", lenke ich nun gekonnt von mir ab. Ein flüchtiger Blick zur Uhr verrät mir, dass es wenig Sinn macht, sich jetzt noch ins Bett zu legen und so setze ich einen extra starken Kaffee auf, in der Hoffnung, dass dieser mich durch den Tag bringt.

„Es ist schwierig, sehr schwierig. Weißt du, ich bin so erzogen worden, dass die Ehe ein heiliger Bund ist, Ekzekiel und ich, das sollte auf Dauer halten und bei allen Differenzen liebe ich ihn noch, das ist mir in den letzten Tagen klar geworden. Ich weiß aber nicht, ob die Liebe stark genug ist, um das, was uns trennt auszuhalten. Aber der Wunsch nach Hause zurückzukehren wird mit jedem Tag stärker."

Entgeistert sehe ich Leah an und zum ersten Mal fehlen mir die Worte. Wie kann sie freiwillig zu einem Mann zurückkehren wollen, der sie so unterdrückt, ihren Willen missachtet und ihre Gesundheit aufs Spiel setzt? Das will einfach nicht in meinen Kopf hinein.

„Ich weiß, das ist schwer zu verstehen aber... Wir kennen uns, seitdem ich 13 bin, seitdem sprechen wir davon zu heiraten, ich war 16 als er mir den Antrag gemacht hat, 17 bei unserer Hochzeit und knapp 18 beim ersten Kind. In unserer Kultur ist das alles etwas anders."

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt