Teil 35 Hem

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Patrick

Hochkonzentriert rase ich über die Autobahn, in den letzten Stunden bin ich mindestens drei Mal geblitzt worden, weil ich sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen missachte.

„Willst du nicht zumindest Mal bei Sanna anrufen? Nicht dass wir hier durch die Republik heizen und dann ist sie gar nicht zu Hause.", kommt es vom Beifahrersitz.

„Wenn sie nicht zu Hause ist, dann wird sie im Krankenhaus sein, dann fahre ich dorthin.", brumme ich und treibe die Tachonadel an den 200er Bereich.

„Du weißt, dass du gerade überhaupt nicht logisch und rational handelst, oder?" Johannes greift nach meinem Handy, das in der Mittelkonsole liegt. „Pin?"

„Wenn sie im Krankenhaus ist, dann wird sie nicht an ihr Handy gehen."

„Ich schreib ihr eine Nachricht. Also, Pin?" Ich murmele die Zahlen und konzentriere mich wieder auf die Straße. „So, ich habe ihr geschrieben, dass du unterwegs bist und so schnell wie möglich da sein wirst. Aber bitte Paddy, vielleicht solltest du ein bisschen langsamer fahren, ich möchte schon gerne im Ganzen ankommen."

Zähneknirschen drossele ich das Tempo etwas. Nachdem ich heute Vormittag im Halbschlaf Sannas Nachricht gelesen hatte, habe ich sofort alle Termine für den heutigen Tag abgesagt und meine Klamotten ins Auto geworfen. Johannes, der mitbekommen hat, wie konfus ich mich verhalten habe, hat sofort angeboten mitzufahren. Er muss eh zurück nach Hamburg und wenn ich ehrlich bin, ist es mir ganz Recht, nicht alleine zu sein. Till gehört mit zu Sannas engsten Vertrauten, es muss sie unheimlich fertig machen, wenn es ihm schlecht geht.

Endlich taucht Hamburg auf der blauen Anzeigetafel auf, ich setze den Blinker, verlasse die Autobahn in Richtung Elbtunnel und kann nur hoffen, dass ich nicht mitten in den Feierabendverkehr rausche. „Hat sie schon geantwortet?", will ich wissen.

Johannes schüttelt den Kopf, „Nein und auch noch nicht gelesen. Vielleicht ist sie wirklich noch im Krankenhaus. Fahren wir trotzdem erst zu ihr?" Ich nicke, das wird wohl das Beste sein. „Hast du einen Schlüssel für die Wohnung?"

„Nein, so weit sind wir noch nicht, ich war ja auch lange nicht mehr hier, im Sommer das letzte Mal. Danach war ich auf Tour und sie mit ihrem Schichtdienst ist ja auch nur so semi flexibel."

Johannes pfeift anerkennend. „Schwierig, schwierig. Ein Künstlerleben mit einem Schichtplan zu vereinbaren ist heftig. Ich bin froh, dass wir das Problem nicht haben. Ina hat viel Verständnis für mich und mein Tourleben und ich für ihres."

„Na, Sanna hat schon Verständnis, so ist das nicht. Ich bin derjenige, der sich umstellen muss. Mein Terminplan ist langfristiger organisiert als ihr Schichtplan. Aber ich bin halt auch etwas flexibler." Dieses kurze Geplänkel tut mir gut, ich denke kurzzeitig nicht daran, wie schlecht es wohl Sanna gehen mag.

Angestrengt kneife ich die Augen zusammen und scanne den Straßenrand nach einem Parkplatz ab. Auch wenn Sanna in einer ruhigen Seitenstraße lebt, so sind Parkplätze hier rar. Endlich sehe ich die Rücklichter eines anderen Wagens, der soeben aus einer Lücke herausfährt, ich setze den Blinker und entere den Parkplatz, bevor mir jemand zuvorkommt.

„Soll ich noch mit hochkommen?", will Johannes wissen, doch ich schüttele den Kopf.

„Nein, ich will ihr jetzt nicht auch noch fremde Menschen antun, trotzdem danke, dass du mitgekommen bist, es war gut, nicht alleine im Auto zu sein. Ich melde mich." Wir umarmen uns kurz, dann schultere ich meine kleine Reisetasche und laufe die Straße zurück, bis ich vor Sannas Haus stehe. Meine Nachricht hat sie immer noch nicht gelesen, vielleicht ist sie wirklich noch im Krankenhaus. Glücklicherweise verlässt jemand das Haus, als ich die Tür erreiche. Schnell schlüpfe ich in den Hausflur und sprinte die knarzenden Stufen bis nach oben. Kurz hole ich Luft und drücke dann auf den Klingelknopf. Es dauert eine ganze Weile, bis ich endlich Schritte höre, ich werde unruhig, anscheinend ist Sanna doch zu Hause. Langsam wird die Tür geöffnet. „Du?", stoße ich ungläubig hervor, als ich Moritz sehe, der blass und mit dicken Augenringen im Türrahmen steht.

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt