Teil 30 Hej samman

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Patrick

„Und du bist sicher, dass deine Schwester uns nicht vergessen hat?" Unsicher sehe ich mich auf dem Parkplatz um, seit zwanzig Minuten warten wir auf Ida, bislang ist von ihr nichts zu sehen.

„Sie hat vorhin geschrieben, dass eine Straße versperrt ist und sie einen Umweg fahren muss, es dauert etwas, wir sollen noch einen Kaffee trinken."

„Kaffee? Jetzt? Es ist gleich 17 Uhr, nicht unbedingt die beste Zeit, um noch einen Kaffee zu trinken, oder?"

Grinsend zieht Sanna mich zurück in den Flughafen. „Die Schweden sind verrückt nach ihrer Fika, wir können das den ganzen Tag über machen."

Ich huste erschrocken auf. „Bitte was?" Das Wort klingt so fremd und gleichzeitig so unanständig, dass ich das Gefühl habe mich verhört zu haben.

„Na Fika halt. Das ist... Wie erkläre ich das am besten. Wie Kaffee und Kuchen, nur anders." Sie kichert leise, wahrscheinlich sehe ich recht dämlich aus der Wäsche. „Die Fika ist den Schweden heilig, ganz in Ruhe Kaffee trinken und Kuchen essen. Jemanden während seiner Fika zu stören geht überhaupt nicht. Abends gibt es oft noch eine Kvällsfika, irgendwann zwischen Abendessen und ins Bett gehen, da gibt es dann eher kleine Snacks, wenn Besuch da ist auch mal ein Smörgåsbord, darauf wirst du dich heute Abend einrichten dürfen."

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.", seufze ich, die schwedische Kultur ist mir fremder als angenommen, ich habe das Gefühl auf einem anderen Planeten zu sein.

Sanna, die meine Unruhe zu bemerken scheint, drückt vorsichtig meine Hand. „Das ist nicht so kompliziert, wie es sich anhört. Wir Schweden haben eine Vorliebe für Kuchen und süßes Gebäck und lassen es uns nicht nehmen, einmal am Tag Pause zu machen und eben dieses zu genießen, mit einer guten Tasse Kaffee dazu. Daher wahrscheinlich auch der Name, in Schweden heißt es Kafi, daraus wurde, so munkelt man, Fika. Und da man hier schon recht früh zu Abend isst, gibt es oft spät am Abend noch etwas zu essen. Warmes Mittagessen ist hier gar nicht so bekannt, meist isst man ein belegtes Brot, das sogenannte Smörgås. Das hat aber mit den belegten Broten, wie man sie aus Deutschland kennt herzlich wenig zu tun, oft sind das kleine Kunstwerke. Ein Smörgåsbord ist dann so eine Art kleines Buffet, du wirst schon sehen."

„Deine Oma muss sich aber für uns nicht so viel Arbeit machen.", wende ich ein, vor Augen habe ich eine kleine hutzelige 80 Jährige Person, die wahrscheinlich besseres zu tun hat, als uns zu bewirtschaften.

„Das sag ihr bloß nicht, das ist eine persönliche Beleidigung für sie. So lange sie kann wird sie es sich nicht nehmen lassen ihre Familie zu bewirtschaften. Aber ich denke, dass Ida sie da gut unterstützt haben wird. Sie ist übrigens gleich da, wir sollten nach draußen gehen." Sanna schwenkt ihr Handy und schultert den Rucksack. Zielstrebig verlässt sie das Flughafengebäude und ich habe Mühe hinter ihr herzukommen. So muss sie sich in München gefühlt haben, dort kenne ich mich aus, wie in meiner Westentasche, hier ist es jetzt Sanna die mich zum Parkplatz leitet.

„Hej Sanna!" Eine winzige Frau, mit den gleichen widerspenstigen Locken wie Sanna hüpft aufgeregt an einem Auto auf und ab. Sanna lässt ihren Koffer einfach stehen und fällt ihr in die Arme. Es dauert etwas, bis sie sich voneinander lösen. „Äh, das ist meine Schwester Ida. Ida, das ist Patrick.", stellt sie uns vor.

„Hej, schön dich endlich kennenzulernen." Auch mir fällt sie um den Hals, was ich mehr oder weniger über mich ergehen lasse, im Normalfall vermeide ich mit Fremden zu intensiven Körperkontakt. „Sorry, ich hab mir gedacht dass du jetzt zur Familie gehörst, ich wollte dich nicht überrumpeln." Sie öffnet den Kofferraum und schiebt zwei Kindersitze zur Seite. „So, jetzt sollte Platz für euer Gepäck sein. Oma und die Kinder sind schon total aufgeregt Sanna endlich wiederzusehen und den geheimnisvollem Fremden an ihrer Seite kennenzulernen. Es ist glaube ich das erste Mal, dass Sanna jemanden mitbringt. Abgesehen von Moritz, aber der war ja immer wie ein zweiter Bruder für mich. Wie geht's dem eigentlich? Wollte er nicht mit?"

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt