Kapitel 43

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POV Milam

6 Monate später ...

Ich werde geweckt von der Wärme der Sonnenstrahlen in meinem Gesicht. Als ich langsam meine Augen öffne und mich orientiere fällt mir wieder ein wo ich bin - das hier ist nicht mein Bett. Aber es ist das Bett in dem ich in letzter Zeit öfter aufgewacht bin. Ich strecke mich nochmal ausgiebig, bevor ich aufstehe, in meine Jeans schlüpfe und meinen Hoodie überwerfe und ins Bad gehe, wo eine noch relativ neue Zahnbürste für mich bereitgelegt wurde.

Ich lass den Vormittag entspannt angehen und bin gegen Mittag am Campus. Ich arbeite seit einem Monat nicht mehr im Minimarkt, sondern an der Universität bei dem Professor, bei dem ich dieses Semester meine Abschlussarbeit schreibe. Ich hatte Glück, dass die Assistentenstelle ausgeschrieben wurde, als ich gerade meine Bewerbung für die Abschlussarbeit abgegeben habe. Professor Wang benötigt Hilfe bei der Recherche für seine Forschung. Da mein Thema diese relativ gut ergänzt profitiere ich doppelt von diesem Job: Ich verdiene Geld und kann für meine Arbeit indirekt mit recherchieren.

Manchmal denke ich an die Zeit im Minimarkt zurück, der mittlerweile geschlossen wurde. Mein Chef konnte den Laden aufgrund des Personalmangels und seinem hohen Alter nicht mehr halten und hat sich schweren Herzen dazu entschieden, seine Selbständigkeit aufzugeben. Ich werde mich noch lange an die Zeit dort erinnern. Dennoch ist es gut, wie es jetzt ist. In einem halben Jahr werde ich ohnehin einen richtigen Job suchen müssen.

Ich helfe Professor Wang für 4 Stunden heute, anschließend verbarrikadiere ich mich, wie so oft, in der Bibliothek um an meiner Arbeit weiterzuschreiben ... aber was heißt weiterschreiben? Ich hab noch nicht mal eine richtige Gliederung oder genügend Quellen um mit dem eigentlichen Schreiben zu beginnen. Es ist frustrierend, auch wenn ich bereits vorher wusste, dass der Anfang wirklich schleppend sein wird. Als ich das nächste Mal auf die Uhr sehe ist es bereits 19 Uhr vorbei, wo bleiben sie denn heute?

Nochmal gute 30 Minuten später kommen sie endlich: Da wir alle an unserem Abschluss arbeiten treffen wir uns ein paar Mal pro Woche abends hier. Alex sieht mich mit einem entschuldigenden Lächeln an „Sorry man, wir haben noch ein paar Snacks besorgt". Er wirft mir einen Schokoriegel zu, den ich natürlich nicht fange. Ich bücke mich, um ihn aufzuheben und grüße die zwei Kommilitonen, die ebenfalls heute mit uns den Abend verbringen werden. Einer fehlt noch.

Ich wende mich gerade wieder meinem Buch zu, als sich Arme von hinten um meine Schultern schlingen und mir wird augenblicklich warm - da ist er ja endlich. Ein Lächeln umspielt meine Lippen, als ich meinen Kopf in den Nacken lege und Nate in die Augen blicke. „Na du? Viel los auf der Arbeit?" begrüße ich meinen festen Freund, welcher mir einen sanften Kuss auf den Haaransatz drückt. „Passt schon, hab heute nur im Lager ausgeholfen".

Wie das passiert ist? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.

Nachdem ich vor 6 Monaten in das tiefste Loch gefallen bin und in Selbstmitleid gebadet habe hat er mich aufgebaut. Er hat meinen Schmerz gesehen und sich - zugegeben - in mein Leben gedrängelt und mich gezwungen nach vorne zu blicken. Auch, wenn ich ihm nie erzählt habe, was vorgefallen ist, hat er das akzeptiert und mich einfach genommen, wie ich bin. Erst waren es ein paar lockere Treffen mit den anderen, dann immer öfter zu zweit. Und ich muss gestehen er war wirklich hartnäckig.

Irgendwann hab ich mich auf das hier eingelassen. Wir haben gedatet, sind uns näher gekommen und schließlich miteinander im Bett gelandet. Anfangs war es eine Art Ablenkung von einem gewissen Jemand. Ich habe aber dank Nate gesehen, wie schön es ist, offen mit seiner Beziehung und seiner Zuneigung umzugehen. Kein Verheimlichen, kein Ignorieren und keine dummen Prinzipien. Es tut gut, dass es so normal ist mit ihm.

Nate setzt sich auf den leeren Platz neben mich und kramt seine Sachen heraus, beginnt dann ebenfalls mit seiner Recherche. Die anderen drei quatschen mehr und machen Lärm, als dass sie produktiv arbeiten - aber das bin ich mittlerweile gewohnt. Ich stecke meine Kopfhörer in die Ohren und blende die nervigen Geräusche aus, versuche mich auf die Inhalte zu konzentrieren.

„Ich geh mal kurz meine Wasserflasche auffüllen" teile ich den anderen mit und verlasse unseren Tisch, durchquere die Bibliothek und suche den Wasserspender auf, der sich im Vorraum befindet. Die Musik auf meinem Ohr läuft noch immer, als ich meine Flasche aufschraube und sie unter den Spender halte. Ich zucke erneut zusammen, als sich Arme um mich legen, diesmal um meinen Bauch. Nate ist wirklich anhänglich - aber irgendwie auch süß.

„Bleibst du heute über Nacht?" fragt er und ich spüre sein Grinsen an meinem Hinterkopf. Ich drehe meinen Oberkörper, dass ich ihn ansehen kann und überlege gespielt, obwohl die Antwort natürlich auf der Hand liegt. „Hmmmmm ich weiß nicht. Vielleicht?" ziehe ich ihn auf, umarme ihn schließlich kurz und löse mich als ich sehe, dass meine Flasche voll ist.

Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken, als ein gewisser Jemand den Vorraum betritt. Warum heute?
6 Monate habe ich es geschafft, ihn kein einziges Mal zu sehen. Ich habe extra Kurse belegt, die er nicht unterrichtet und die vorzugsweise nicht Montag stattfinden. Meine letzten vier Wochen Praktikum habe ich mich quasi permanent versteckt. Kindisch, ich weiß. Aber anders habe ich es nicht ertragen.

Unsere Blicke treffen sich und er hält in seiner Bewegung inne. Ich spüre förmlich die Distanz zwischen uns und das kleine Schächtelchen ganz tief in mir droht, zu zersplittern. Nate holt mich wieder zurück ins hier und jetzt „Ich geh schon mal vor, bis gleich Baby" und küsst mich flüchtig auf den Mund, bevor er geht. „Ich liebe dich" haucht er an meine Lippen, dann verschwindet er durch die Tür.

Ich erwidere seine Worte nicht. Bis heute habe ich ihm kein einziges Mal gesagt, ich würde ihn lieben. Er mir hingegen sicher 20 Mal. Ich hatte das Gefühl, wenn ich es ihm sagen würde, dann würde ich lügen. Und über das Lügen wollte ich eigentlich hinwegkommen - wegen der Person, die nur knapp fünf Meter von mir entfernt steht und sich nicht mehr rührt.

Ich finde schließlich meinen Willen wieder und folge Nate in die Bibliothek. Ich erwische mich den restlichen Abend immer wieder dabei, meinen Blick durch den Raum schweifen zu lassen - warum ich das tue weiß ich nicht.

Crossing Paths - ManxManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt