POV Aris
Wieder eine Woche ist ins Land gezogen - seit ich mehr Zeit mit der Lehre verbringe vergehen die Wochen generell wie im Flug. Scheint wohl so zu sein, wenn man etwas tut, das einem Freude bereitet. Ich sitze in meinem Arbeitszimmer und sortiere Unterlagen für meine Kurse, suche Altklausuren heraus und bereite Materialien vor. Es herrscht Chaos: Überall liegen Ordner herum, Papiere Stapeln sich und ich verliere allmählich den Überblick. Ein Hoch auf die Digitalisierung! Nicht.
Als mein Handy beginnt auf meinem Schreibtisch zu vibrieren ahne ich schon, wer mich anruft. Mein Blick bestätigt meinen Verdacht schließlich: Es ist mein Vater. Augenverdrehend nehme ich das Telefonat an
„Hi Das, was gibt's?" versuche ich möglichst freundlich zu klingen. „Ah du bist ja doch erreichbar. Bist du heute wieder am Campus?" Er weiß genau wo ich bin, weshalb ich nur brumme, anstatt ordentlich zu antworten.
„Na gut, wie auch immer. Bitte richte der reizenden Lydia doch aus, dass wir an Weihnachten ein Familienwochenende in den Bergen planen. Sie soll sich den Termin bitte frei einplanen." „Natürlich. Sie weiß aber noch nicht, ob sie kann. Weißt du, sie hat auch eine Familie" bemerke ich nüchtern.Lydia hat mir schon zu verstehen gegeben, dass sie darauf wirklich keine Lust hat. Beziehung hin oder her, aber es gibt Grenzen - ich respektiere das. Meine Eltern sehen das aber offensichtlich anders.
„Aber wo wir gerade dabei sind..." spricht er weiter „... Ihr seid bereits über ein halbes Jahr zusammen. Meinst du nicht, es wäre an der Zeit für eine Verlobung? Du bist Mitte 30, es wäre langsam Zeit" Was zum Teufel? Ich hatte gehofft, ich hätte mehr Zeit, meine Fake-Beziehung zu genießen, bevor wieder Druck ausgeübt wird. „Dad! Nein, das ist zu früh. Gib mir noch Zeit." fordere ich.„Ich weiß ja, dass du nach deiner letzten Verlobung und deiner komischen sexuellen Verirrung Zeit gebraucht hast. Aber du und Lydia seid doch angemessen zusammen. Oder gibt es da etwas, das wir wissen sollten?" fordert er mich heraus, während seine Worte mir einen Stich versetzen. Sexuelle Verirrung also - Auch nach all den Jahren tut es noch weh, dass ich mein wahres Ich und alles, was damit einhergeht, verleugnen muss. Manchmal würde ich gerne die Karten auf den Tisch legen, ihnen alles erzählen und in diesem Zug im besten Fall auch gleich die Firma verlassen.
Es wäre ein riesen Skandal. Der einzige Sohn der Hemford entzieht sich seiner Bestimmung und ist obendrauf noch homosexuell. Ich male mir bereits die Schlagzeilen aus. Aber das würden sie nicht zulassen. Eher würden sie mich mit ihren vielen finanziellen Mitteln dazu zwingen, nach ihrer Pfeife zu tanzen - wie mich das ankotzt.
Während ich noch mit meinem Vater diskutiere klopft es an der Tür, ich rufe „Herein" und die Tür öffnet sich langsam. Ich vergesse meinem Vater weiter zuzuhören, als Milam vor mir steht, sein Blick auf den Boden gerichtet. Was will er hier? ich spüre, wie meine Hände schwitzig werden und mein Herz beginnt zu rasen.
„Dad ich muss auflegen" sage ich in mein Smartphone, als Milam direkt wieder gehen will. Natürlich protestiert mein Vater aber ich wimmle ihn ab. „Nein ich muss wirklich los ... ja ich sag Lydia Bescheid, bis bald". Mein Handy lege ich auf den Tisch und richte mich abrupt auf.
„Komm rein, was kann ich für dich tun?" versuche ich möglichst neutral zu wirken, obwohl in mir gerade ein Sturm tobt.
„Ehm, entschuldigen Sie die Störung Mr. Hemford ..." Okay, wir sind wohl wieder beim Sie angekommen, auch gut „... Professor Wang hat mich geschickt, Sie haben Unterlagen für ihn herausgesucht und ich soll sie abholen." druckst er weiter herum.Eigentlich sollte doch sein neuer Assistent vorbei kommen, das hat Wang zumindest per Mail angekündigt. Aber Moment, kann es sein? Der Minimarkt existiert nicht mehr.
„Achso, ja Sekunde noch ich suche gerade noch einen Ordner" antworte ich ihn und mache mich daran, den Ordner aus dem Schrank zu kramen. „Die Ordner da auf dem Regal sind auch für ihn, der letzte Ordner kommt sofort." Dann tritt eine wirklich unangenehme Stille zwischen uns ein. Als ich endlich den Ordner gefunden habe gehe ich zum Regal, wo ich erst den Ordner auf den Stapel lege und diesen schließlich hochhebe. Bei Milam angekommen reiche ich sie ihm. Als er mir den Stapel abnimmt berühren sich unsere Hände, nur für eine Millisekunde.
Diese Millisekunde reicht aber aus, um mir einen Stromschlag durch den Körper zu jagen. Ich trete einen Schritt zurück und erst jetzt fällt mir auf, dass er mich mittlerweile ansieht - wie lange haben wir schon Blickkontakt? Wir starren uns förmlich an, sicher eine Minute ohne, dass jemand etwas weiteres sagt.
„Also dann ... Danke Ihnen für die Ordner, ich sollte gehen." Sagt er, wobei seine Worte eher an ein Flüstern erinnern. Er wendet sich ab, geht durch die Tür und ich gehe ihm hinterher, da er mit den ganzen Unterlagen unmöglich die Tür schließen kann. Ich erwische mich dabei, ihn zu mustern. Seine schmalen Schultern und seine dünne Taille, die er noch immer durch einen Oversize-Hoodie versucht zu verbergen. Sein Hintern, der in seiner dunklen Jeans wirklich gut zur Geltung kommt ... ich starre, ganz eindeutig.
Er ist so nah, wie lange nicht mehr. Ich müsste nur meine Hand ausstrecken, dann würde sie auf seinen Körper treffen. Aber ich tue es nicht. Ich will keine Grenzen mehr überschreiten und vor allem will ich ihn nicht verletzen. Elsa hatte neulich in der Bibliothek recht: Ich hänge immer noch an ihm, aber irgendwann muss auch ich loslassen.
Und ist nicht die Tatsache, dass der andere glücklich ist Grund genug endlich loszulassen?
„War schön, dich zu sehen Aris." murmelt Milam und entfernt sich schnellen Schrittes von mir.
Loslassen - am Arsch.
Wie soll ich loslassen, wenn der Kerl plötzlich meinen Namen sagt? Und das auch noch mit dieser unschuldigen Stimme, die mich schon in der Vergangenheit immer verrückt gemacht hat?War auch schön dich zu sehen, Milam.
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Crossing Paths - ManxMan
General FictionZwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Der eine ein erfolgreicher Geschäftsmann, der sich mit One-Night-Stands über Wasser hält. Der andere ein Student ohne Dating-Erfahrung. Eigentlich würden sich die Wege der beiden niemals kr...